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Gegen Machtkonzentration

In seinem neuen Buch "Ego" kritisiert "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher eine Ökonomisierung des Geistes. Das Buch selber liefert nach Ansicht des Germanisten Roland Reuß ein Beispiel für Schirrmachers Thesen, indem es schon jetzt bei Onlinehändlern "unter Wert, also unter dem Buchpreis" angeboten wird.

Roland Reuß im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 19.02.2013
    Doris Schäfer-Noske: Der Schauerroman "Frankenstein" habe hier wohl Pate gestanden. Das Buch sei unzeitgemäß, falsch und einseitig. Die Thesen darin zeugten von Paranoia und die Quellenarbeit des Autors sei unseriös. Solche Kritiken waren schon zu lesen, bevor Frank Schirrmachers neues Buch "Ego" erschienen ist. Darin malt der Autor das Schreckensbild des Informationskapitalismus an die Wand. "Ohne dass wir es gemerkt haben", schreibt Schirrmacher, "haben Ökonomen den Seelenhaushalt des modernen Menschen zu ihrer Sache gemacht." Gestern ist das Buch in die Buchläden gekommen, heute bereits kann man es über Amazon günstiger bekommen im Zustand "gebraucht, wie neu". Inwiefern bestätigt das denn die Thesen des Buches, habe ich den Heidelberger Germanisten Roland Reuß gefragt?

    Roland Reuß: Wir können jetzt beobachten - und dafür ist das schirrmachersche Buch selber ein extrem gutes Beispiel -, dass Amazon mit dem Aufkauf von Antiquariatsportalen und der Aufforderung von Einzelhändlern, sich dort bei ihnen auf der Website als Anbieter einzuklinken, versucht, den Faktor der Buchpreisbindung zu kippen, und dabei ist ihnen im Grunde jedes Mittel recht. Sie würden auch Bücher unter Wert verkaufen, also unter dem Buchpreis, selbst wenn sie dabei drauflegen, wenn nur mittelfristig kein Bewusstsein mehr dafür existiert, was Buchpreisbindung eigentlich heißt. Und an so einer Stelle liefern diese Überlegungen, die Schirrmacher in seinem Buch angestellt hat, so was wie eine allgemeine Horizontbeschreibung, die wir dann faktisch in concreto auch versuchen müssen, dann in politische Handlungen zu überführen. Weil das eine ist zu sagen, es ist alles ganz schlimm - und natürlich ist das auch wirklich ganz schlimm -, und das andere ist aber, wenn uns dann gewissermaßen nur noch die Ohnmacht bleibt, dass wir sagen, ja wir sind letztlich schon immer ausgebeutet und wir können eigentlich gar nichts dagegen machen, dann verstärkt das im Grunde nur die Möglichkeiten, die diese Konzerne, die wirklich über extrem viel Geld verfügen, haben in dem Markt. Und unsere Gesellschaft zahlt dann insgesamt über Sozialkosten und so weiter den Preis. Es geht ja hier bei Amazon schon los, etwa dadurch, dass sie mit diesem ganzen gigantischen Logistikunternehmen natürlich permanent die Straßen kaputtmachen. Wenn Sie einmal über die Autobahn fahren, haben Sie diese ganzen Laster, und die fahren natürlich für uns. Anstelle unserer Einzelhändler vor Ort fahren die die Waren dann dem Kunden direkt vors Haus. Das ist auch ökologisch ein extremes Problem.

    Schäfer-Noske: Wenn wir jetzt noch mal zu dem Inhalt des Buches kommen - das erinnert ja schon ein bisschen auch an das, was ja schon der Staatstheoretiker Thomas Hobbes geschrieben hat: "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf." Kritiker des Buches, von denen es ja sehr viele gibt, sagen, es habe längst eine Gegenbewegung eingesetzt. Was ist denn inhaltlich an dem Buch von Herrn Schirrmacher überhaupt neu?

    Reuß: Ich würde schon sagen, wenn man sich das mal genauer anliest, haben wir eine ganze Menge von Sachen, die doch überraschend instruktiv sind - etwa die Frage, auf welche Weise einerseits langfristige strategische Überlegungen von großen IT-Unternehmen auf das Bewusstsein von Personen einwirken, und gleichzeitig mit demselben Kapital - es ist irgendwie halt Kapital im Umlauf, was keiner mehr so richtig unter Kontrolle bringen kann. Es ist nicht so, dass da jetzt noch Menschen große Entscheidungen treffen, sondern dieses an den Märkten umlaufende Kapital, das verändert innerhalb von Sekunden seinen Wert und verschiebt sich da und da hin. Man hat den Eindruck, das ist auch richtiggehend außer Kontrolle geraten.

    Gleichzeitig hat man eben diese doch sehr bedenkliche Menge an Konzentration bei vier, fünf Großkonzernen. Ich nenne Apple, Amazon, Google und natürlich Microsoft - die sich jetzt ein bisschen zurückhalten, aber nach wie vor halt ein gefährliches Unternehmen sind - und die überall, wirklich überall reingreifen: Öffentliche Bibliotheken, die ihre ganzen Metadaten an Google verscherbeln, und zwar für nichts, nur damit sie sozusagen nicht selber die Infrastruktur für Daten-Retrieval aufbauen müssen - also im Grunde völlig groteske [...] Aktionen, bei denen man sich auch fragt, ob die überhaupt politisch auf irgendeine Art und Weise mal diskutiert werden.

    Schäfer-Noske: Das heißt, da müsste jetzt regulierend eingegriffen werden? Frank Schirrmacher mahnt ja auch zu Korrekturen durch die Politik.

    Reuß: Ja logisch! Also sehen Sie doch: Es gibt ja Schritte. Ein Monopol, was Amazon versucht einzurichten, basiert ja auf einer extremen Zubutterung von Geldern zunächst mal. Wenn Sie auf die Amazon-Webseite gehen, ist es so, dass sie Ihnen garantieren, dass Sie für Bücherlieferungen keine Portokosten bezahlen. Und die französische Nationalversammlung hat daraus dann den Schluss gezogen, nach genauer Analyse eines solchen Sachverhaltes, dass die Bücher eben nicht portofrei ausgeliefert werden dürfen, sondern dass das Porto komplett bezahlt werden muss, und in dem Augenblick hat der lokale Buchhandel wieder eine Chance. Und genauso, finde ich, ist die Politik aufgefordert, diesen Logistikwahn, der muss einfach besteuert werden.

    Schäfer-Noske: Der Heidelberger Germanist Roland Reuß war das zu den Thesen des neuen Buches von Frank Schirrmacher "Ego - das Spiel des Lebens".


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.