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"Gegen Müdigkeit im ökumenischen Bereich ankämpfen"

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, sieht die Ökumene nicht als gescheitert an. Beide christlichen Kirchen hätten in den letzten 40 Jahren viel erreicht. In der Debatte um den Ausbau der Kleinkinderbetreuung rief er zu Fairness auf. Es sei bekannt, dass viele berufstätige Eltern auf einen Betreuungsplatz angewiesen seien.

Moderation: Hartmut Kriege |
    Kriege: Kardinal Lehmann, in diesen Tagen hat Europa die Unterzeichnung der Römischen Verträge gefeiert. Mit ihnen wurde eine neue Ära in Europa eingeläutet, wirtschaftlich wie politisch. Seit über 60 Jahren lebt Europa nach den verheerenden Wirkungen des Zweiten Weltkrieges und rückblickend über die Zeit des Kalten Krieges hinweg in Frieden, auch Deutschland. Die beiden christlichen Kirchen in unserem Lande haben in diesem europäischen Geflecht von Anfang an ihren Platz gehabt und gefunden, viele Bestimmungen beispielsweise des bundesdeutschen Grundgesetzes sind für die beiden christlichen Konfessionen wie maßgeschneidert. Wie stellt sich für Sie, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, die katholische Kirche in Deutschland dar, auch – und gerade – am Vorabend von Ostern, dem höchsten christlichen Fest?

    Lehmann: Zunächst einmal können wir ja nur froh sein, dass wir diese einmaligen 60 Jahre ohne größere Kriege haben in Europa, dürfen aber nicht vergessen, dass es im ehemaligen Jugoslawien doch auch schwere Auseinandersetzungen gab – eine Mahnung, dass wir nicht gesichert sind für alle Zeiten. Aber ich denke, jetzt ist es unbedingt an der Zeit, dass wir einen neuen Schwung für ein neues Europa gewinnen. Es sind viele Enttäuschungen da, vieles zieht die Menschen nicht mehr so an. Ich glaube auch, dass man weiterkommen muss mit einer Formulierung von verbindlichen geistigen, ethischen Grundlagen in einem Verfassungsentwurf. Und deswegen ist ein Atemholen, das Einlegen einer gewissen Pause, wo man auch dankbar neuen Mut holt, wichtig. Aber es wird natürlich auch das ganze Gewicht erkennbar, wie schwer es ist, mit den 27 Staaten das einig zu lösen. Man ist doch sehr schnell gewachsen, ohne dass man zusammengewachsen ist.

    Kriege: Und wenn Sie den Blick auf die Kirche selbst mal richten: Wie stellt sie sich dar?

    Lehmann: Also, die Kirche ist hier natürlich außerordentlich vielgestaltig. Wir haben in Deutschland mit unseren evangelischen Schwestern und Brüdern da vieles gemeinsam, was gar nicht so leicht gesagt werden kann von unseren eigenen Nachbarkirchen in Frankreich oder auch in Italien. Das betrifft vor allen Dingen auch das Engagement der Kirche im gesellschaftlichen, innenpolitischen Bereich. Unsere Nachbarn in Paris sagen uns öfter: Das wird von uns nicht erwartet, dass wir etwa zur Sonntagsarbeit Stellung nehmen. Oder dass sie sagen: Wir haben für diese und jene Aufgabe nicht die Leute. Also, da müssten wir selber auch noch einmal erst zusammenwachsen, obwohl da tatsächlich viel geschehen ist. Es gibt natürlich auch manche Enttäuschungen im Blick auf die Gesetzgebung in dem vereinten Europa – ob das die Zulassung von bestimmten Sorten von Embryonenforschungen sind, wo eben dann nach unserer Überzeugung menschliches Leben getötet wird, ob es manche Prozesse sind, die im Blick auf aktive Sterbehilfe in unseren Nachbarländern laufen – Belgien, Holland. Also, man muss immer auch dafür kämpfen, dass die Leute das Positive, was dieses Europa uns allen eigentlich bringen kann, sehen und dass das andere das nicht zudeckt. Es ist für mich auch gar keine Frage, dass es eine Überlebens-Hauptfrage ist, dass wir in dieser rasanten Globalisierung, wo vieles in anderen Ländern auch uns ein Stück weit massive Konkurrenz macht und wir nur existieren können, wenn wir viel stärker gemeinsam operieren. Aber es ist nicht zu übersehen, dass gerade auch osteuropäische Länder da oder dort andere Wege gehen möchten. Es ist nicht so einfach mit den Tschechen, es ist nicht so einfach mit den Polen. Das geht auch bis in unterschiedliche Auffassungen über Marktwirtschaft und soziale Marktwirtschaft und dergleichen. Es geht, glaube ich, auch darum, dass wir uns fragen: Wie weit reicht in Europa die Frage eines Beitritts der Türkei? Sie ist ein bisschen verschoben, aber im Grunde genommen stellt sich die Frage nach wie vor. Es gibt also genug zu tun.

    Kriege: Sie haben es schon gesagt, die Kirche will nicht abseits stehen, sie will sich einmischen, Einfluss nehmen auf administrative wie gesetzgeberische Vorhaben von Staat und Politik. Wie weit muss oder wie weit darf und kann Ihrer Ansicht nach diese Einmischung der Kirche gehen oder auch nicht gehen? Verstehen sich die Kirchen möglicherweise sogar als ethischer Gradmesser für Politik und Gesellschaft oder, um es mal salopp zu sagen, dass am kirchlichen Wesen Staat und Gesellschaft genesen sollen?

    Lehmann: Es wäre nicht das erste Mal, dass es so ist. In der Spätantike hat zum Beispiel das staatliche Leben nicht mehr funktioniert. Den Bischöfen sind Aufgaben zugefallen, die sie eigentlich nicht gesucht haben, sondern sie mussten sie um des Überlebens willen der Gesellschaft übernehmen, bis zur Gerichtsbarkeit zum Beispiel auch hin. Aber heute in einer säkularisierten Welt, in einer ganz anders geführten Welt kann das nicht unsere Aufgabe sein, auch nicht unser Bestreben. Aber ich denke mir, wenn Spielregeln fundamentaler Art im Blick auf die Humanität, vor allen Dingen im Blick auf die Menschenrechte, verletzt werden, dürfen wir nicht schweigen, ob gelegen oder ungelegen. Und ich denke, das wird immer wieder auch getan, zum Ärger von so manchen. Aber manchmal gelingt es eben dann doch, etwas zu verhindern oder neue Wege zu finden, Dinge neu anzugehen. Aber ich sehe eigentlich zuerst uns selber herausgefordert, dass wir möglichst in der Kirche ein Beispiel geben, und dass von da aus auch Anregungen und Impulse entstehen für das Zusammenleben. Das ist ja gar nicht so ganz selten. Manchmal gibt es da überraschende Dinge, dass plötzlich ein Prinzip der katholischen Soziallehre – wie die Subsidiarität –, die vorher eigentlich nur in speziellen Kreisen bekannt waren, in Staatsverträgen zu Europa, im Vertrag von Maastricht – aufscheint. Und ich denke, das ist ein ganz, ganz wichtiges Prinzip, dass nämlich in jeder Gesellschaft man alles von unten mit eigenen Kräften erfüllt, was möglich ist, und dass man nicht ständig von oben hineinregiert, wo es nicht notwendig ist – dass aber dann, wenn die kleinere Gemeinschaft überfordert ist und an ihre Grenzen kommt, subsidiär eben ergänzend und unterstützend die größere Gemeinschaft zur Hilfe kommt – da, wo der Staat heute sich notwendigerweise schwer tun muss.

    Kriege: In drei Fällen werden Sie besonders gefordert – Sie und Ihre evangelische Schwesternkirche. Einen Fall haben Sie schon genannt, den Embryonenschutz. Die anderen Fälle von Einmischung wären etwa die Frage nach der Notwendigkeit von Auf- und Ausbau der Kindertagesstätten in den Ländern und Gemeinden sowie deren Finanzierung, an der es ja möglicherweise scheitern könnte. Sodann aber auch die Notwendigkeit und Umsetzbarkeit der so genannten Patientenverfügung. Welche Positionen in beiden Fällen – sicherlich unterschiedlich zu bewertenden Fällen – bezieht die Kirche da?

    Lehmann: Also, zunächst einmal sind wir ja von der Geschichte her schon eigentlich Experten in Fragen frühkindlicher Erziehung. Schon im 19. Jahrhundert kamen die Kindergärten von den Kirchen her, zwei Drittel der Kindergärten in unserem Land sind in der Trägerschaft der Kirchen. Und wir haben immer gesagt, wir sind auch bereit, die Kindergärten im Blick auf die Ein- bis Dreijährigen zu öffnen, unter der Voraussetzung, dass das finanziert werden kann. Deswegen kann es hier auch keine falschen Töne geben; wir wissen, dass viele Familien bei der Notwendigkeit, dass beide Eltern berufstätig sind, angewiesen sind auf einen Betreuungsplatz. Das sind nicht alle, aber es sind sehr viel mehr, als man denkt. Und wenn denen ein Angebot gemacht werden kann, damit sie sich eher entschließen können, die Verantwortung für Kinder zu übernehmen, dann kann das nur in unserem Sinne eigentlich sein. Zugleich werden wir uns aber natürlich auch wehren gegenüber Bestrebungen, dass der Staat zu viel in die Privatsphäre der Eltern und der Familien hineinregiert, das ist ja noch nicht so weit weg von uns. Hilfen sind ja hier immer etwas dialektisch Verführerisches. So notwendig sie sind – sie können auch eine Handhabe werden, um Macht auszuüben und dergleichen. Und deswegen ist der Streit nicht überflüssig über diese Dinge, aber er muss fair geführt werden nach allen Seiten. Es ist auch natürlich falsch, wenn man also meint, die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen allein führt sozusagen zu einer größeren Zahl von Kindern. Es sind viele andere Voraussetzungen und Grundhaltungen notwendig für die Menschen. Sie müssen ein eigenes Vertrauen in die Zukunft haben. Das muss, denke ich, mit der Frage der Kinderbetreuungsplätze gesagt werden. Dafür wollen wir auch stark mitreden. Ich glaube, dass es bei der Patientenverfügung noch nicht ausgemacht ist, wie das geht. Die Diskussion im Bundestag war ja sozusagen ein Test. Ein Gesetzesentwurf liegt noch nicht vor; das soll erst im Herbst kommen von zwei verschiedenen Seiten her. Die Fraktionen werden keinen Fraktionszwang ausüben, das ist bei dieser Frage auch, wo es auf das Gewissen des Einzelnen ankommt, absolut richtig und wichtig. Aber ich habe bei der Lektüre des Protokolls der Debatte den Eindruck, dass auch nicht mehr so ausgeschlossen werden kann, wie ich es selber eigentlich dachte, dass man unter Umständen auf ein Gesetz verzichtet. Wir wissen ja auch nicht, wie die Anwendung ist, und dass wir die letzte Verantwortung dem Arzt und den Angehörigen sowieso nicht nehmen können und auch nicht wollen! Trotzdem ist die Debatte in jedem Fall sinnvoll. So viele Differenzpunkte gibt es ja letzten Endes auch nicht, ich glaube, man kann auch darüber wegkommen. Die Frage ist eben: Wie bindend ist die Patientenverfügung? Es gibt da natürlich ganz besonders schwierige Fälle. Das ist der Fall etwa des so genannten Wachkomas, die hohe Zahl der Demenzkranken im letzten Stadium. Es gibt natürlich sehr beängstigende Dinge. Manche Leute, die glauben, dass man auch – als Arzt zum Beispiel – Selbstmord attestieren soll, obwohl das die allermeisten Ärzte das radikal ablehnen, weil das Arztbild auch verändert würde, wenn ein Arzt ein Helfer zum Tod wird. Aber ich bin nicht so sicher, ob man alle diese Einzelheiten juristisch regulieren kann und soll, ob man am Ende dann so ein mögliches Gesetz doch stärker abspeckt.

    Kriege: Lassen Sie mich zu diesen sozialen Fragen vielleicht noch eine vierte hinzufügen – die Frage der Migranten. Der Umgang mit den Migranten in unserem Land ist weiter eine offene Frage, weil politische Lösungen immer noch nicht in Sicht sind. Nun muss man auch auf ein Phänomen aufmerksam machen, das in Zukunft wohl noch die anderen Gruppen, die wir ja bislang kennen, übertreffen wird – die so genannten Klima-Migranten, also Menschen, die aus immer trockener werdenden Gegenden in den noch milden Norden drängen. Wie weit nimmt die Kirche diese Forderung eigentlich in den Blick, gerade auch über ihre Hilfswerke?

    Lehmann: Zunächst haben wir ja als erste große gesellschaftliche Gruppe aufmerksam gemacht, dass zwischen 500.000 und einer Million so genannte Illegale bei uns wohnen. Ich bin froh und dankbar, dass wir für die dringendsten Bedürfnisse auch Mittel und Wege gefunden haben, diesen Menschen etwas näher zu kommen, vor allen Dingen dadurch, dass die Malteser eine Migranten-Medizin geschaffen haben. Das ist ein Beispiel, dass hier auch – unabhängig zunächst einmal von den gesetzlichen Möglichkeiten, wenn auch jetzt nicht gegen sie – gehandelt werden muss. Und im Allgemeinen stellen wir ja auch fest, dass, wenn solche Initiativen da sind, und die glücken im Nachgang auch manchmal, dann gesetzlich gehandelt wird und geändert wird. Ich war überrascht, dass bei der so genannten "Berliner Erklärung" der Feier der Römischen Verträge am 25. März in die Schlussredaktion aufgrund spanischer Initiative eigens noch eine Formulierung hineinkam, dass man also nicht nur den Terrorismus abwehrt und die Kriminalität, sondern auch die illegalen Einwanderer. Es ist vielleicht gut, dass das Stichwort genannt wird, aber das in einem Atemzug zu nennen mit Terrorismus und Kriminalität, das verdunkelt im Grunde auch ein Stück weit das Problem. Und wenn Europa jetzt stärker wird – und hoffentlich stärker wird –, dann muss es auch viel stärker werden, um in dieser globalisierten Welt, wo die Menschen sowieso viel näher aufaneinander rücken, dass in solchen Notlagen auch ein Stück weit einfach Abhilfe geleistet wird. Sonst dürfen wir uns nicht wundern, wenn eines Tages, etwa bei radikalisierten Klimaveränderungen in der Tat wieder eine Völkerwanderung entstehen könnte, die über uns weggeht. Ich denke mir immer, was war im vierten, fünften, sechsten Jahrhundert eigentlich los, wo ganze Völker aufgebrochen sind, die nicht aufgehalten werden konnten, wo ganz elementare Lebensinteressen, aber auch kriegerische Eroberungsgelüste mit im Spiel waren. Menschen in Verzweiflung – die sind zu vielem fähig. Und wir wissen ja nicht genau, wie wir den Klimawandel deuten müssen. Ich sehe in einer neuen Stärke Europas eine Folge und wichtige Verantwortung, um mit den Entwicklungsländern hier neue Wege der Hilfe zu suchen. Und wenn jetzt in den nächsten Wochen und Monaten der G8-Gipfel sein wird in Deutschland, dann ist es – glaube ich – Zeit, dass wir aufwachen.

    Kriege: Sie haben gerade die Verflechtung nochmal aufgezeigt, die auch die Kirchen betreffen und die Politik. Wäre es dann nicht wichtiger Ihrerseits auch vielleicht nochmal darauf zurückzukommen, dass Sie die Möglichkeiten, die der Europäische Verfassungsvertrag bereithält, im Paragraphen 52 Absatz 3, das Gespräch mit den Kirchen gleichsam als Angebot und Möglichkeit vorgesehen ist, sehr viel stärker bei den Kirchen in den Blick kommt als unbedingt jetzt ein Beharren auf dem jüdisch-christlichen Erbe in einer Präambel, die möglicherweise doch nur dann in den Archiven verschwinden wird?

    Lehmann: Also, ich denke, man muss beides sehen. Ich habe, soweit die Diskussion vielleicht viel zu einseitig auf die Präambel gerichtet war, immer wieder betont, dass es auf die Einlösung großer kultureller Werte, die auch von der Antike herkommen, in dem konkreten Artikel über die Menschenrechte ankommt und nicht nur auf das hehre Bekenntnis am Anfang, das in der Tat etwas luftig und etwas wolkig bleiben kann. Auf der anderen Seite ist es auch eine Frage der Ehrlichkeit, seine Herkunft einzugestehen und zu sagen, auf welchen Schultern man eigentlich steht und wo die Fundamente also sind. Aber in der Tat haben wir natürlich immer wieder auch diese Kontakte, das Einbezogenwerden in gewisse Projekte sofort angemahnt. Wir haben das ja bei uns im Land durch die evangelischen, katholischen Büros, wo wir schon im Frühstadium auch von der Gesetzgebung her eine Beratungsmöglichkeit haben. Wir sind in Brüssel mit den Kirchen auch der Orthodoxie durchaus auch präsent, aber es ist eigentlich immer so eine Bittstellerpose. Man muss sozusagen antichambrieren, um Ahnung zu haben, was da und dort geplant wird. Die Gewerkschaften haben ein verbrieftes Recht und dergleichen. Ich bin auch ganz froh, dass man zunächst mal das Wort "Verfassung" auf die Seite legt und einfach mal fragt, was können wir gemeinsam sagen, was können wir gemeinsam also erklären. Ich glaube auch, dass vielleicht doch mehr und mehr dann Einsicht kommt, dass wir so eine formulierte, gemeinsame Grundlage an fundamentalen Werten brauchen, sonst stoppen wir bei manchen notwendigen Handlungen im Bereich der Außenpolitik und so fort, wo man ja eine gewisse Desorientierung verspürt. Und wenn wir eine Rolle spielen wollen in der globalisierten Welt, dann müssen wir auch unsere eigenen Überzeugungen hochhalten und zugleich auch anderen mitteilen.

    Kriege: Um unser Gespräch abzuschließen, möchte ich an den Anfang zurückkommen. In diesen Tagen haben Sie zwei bedeutende Institutionen aus dem kirchlichen Umfeld gewürdigt - einmal das Johann-Adam-Möhler-Institut in Paderborn, gegründet vor 50 Jahren zur Förderung der Einheit unter den Christen, und dann das andere, in der Öffentlichkeit weniger bekannte: Das in Freiburg ansässige Raimundus-Lullus-Institut. Das wiederum versteht sich als Motor für Verständigungsbemühungen zwischen den drei monotheistischen Religionen in Europa. Wie steht es um die christliche Ökumene und um das interreligiöse Gespräch zwischen den drei großen Buchreligionen und innerhalb der christlichen Gemeinschaft?

    Lehmann: Wir haben in der Ökumene bei über 450 Jahre Trennungen in 30, 40 Jahren eigentlich ungeheuer viel erreicht. Sozialpsychologen wundern sich, dass man so eingefleischte Überzeugungen und Vorurteile in dieser Zeit abbauen kann. Deswegen sollten wir, wenn es jetzt etwas stockt, nicht undankbar sein, vor allen Dingen auch nicht die Hände in Untätigkeit versinken lassen. Das ist wie im normalen Leben auch, dass es nach einigen guten Fortschritten, raschen Schritten, eben dann auch mal neue Hindernisse gibt, dass man – ich vergleiche es gern damit: wenn ich am Berg gut vorankomme, aber am Schluss vor einem Steilhang bin, wo es langsamer dann geht, dann darf ich also deshalb nicht verzweifeln. Aber es gibt zweifellos so ein gewisses Zögern, es gibt Enttäuschung, warum nicht alles noch schneller vorangegangen ist und dergleichen. Ich kann also diese Überzeugung, dass nichts geschieht, nicht teilen. Ich habe jede Woche so und so viele ökumenische Vereinbarungen und Termine, ich sehe fast alle 14 Tage, drei Wochen, den Ratsvorsitzenden. Wir telefonieren miteinander. Da gehört so vieles auch zum selbstverständlichen Alltag. Aber wir haben natürlich etwa, in Blick auf das Amtsverständnis, Abendmahlsgemeinschaft und so fort, noch einige schwierige Hürden, die uns alles abverlangen. Da muss gearbeitet werden. Ich glaube, dass wir auch in unserem Land bei etwa 50 zu 50 Prozent von Christen eine auch für die Weltkirche einmalige Herausforderung und Chance haben. Das sind keine vernachlässigbaren Kleinigkeiten, um die es geht. Da geht es wirklich um ein geglücktes Zusammenleben der Menschen, gerade auch in den bekenntnisverschiedenen, bekenntnisverbindenden Gemeinschaften, die ja in der engsten Gemeinschaft unter Menschen leiden an Folgen, für die sie überhaupt keine Verantwortung tragen. Das kann keinen Theologen und Kirchenmann in Ruhe lassen, wenn Jesus in seinem Vermächtnis uns sagt, dass alle eins sind. Wir dürfen deswegen also auch nicht ablassen, die in unserer Generation vielleicht als große Chance gegebene Aufarbeitung der Differenzen fortzusetzen, ganz unabhängig, ob das morgen schon Wirklichkeit wird oder nicht. Es müssen, wie im letzten Jahrzehnt, auch immer wieder auch Vorschläge bereitgestellt sein, muss es durchdiskutiert werden. Und deswegen muss man jetzt gegen die Müdigkeit im ökumenischen Bereich ankämpfen.
    Das ist auch notwendig wegen des interreligiösen Dialogs. Wenn wir Christen uns selber in den zentralen Dingen so wenig einig sind, wie wollen wir dann eine Botschaft an andere ergehen lassen. Ich glaube, dass wir viele Fortschritte gemacht haben in den letzten Jahrzehnten mit dem Dialog mit dem Judentum, ein wenig jetzt durch einige Äußerungen unserer Israelreise da und dort getrübt, aber das kann den großen Strom nicht verändern. Wir haben jetzt gemeinsam eine Sitzung jedes Jahr mit der Rabbiner-Konferenz. So etwas gab es überhaupt noch nie.
    Und der Dialog mit den Muslimen, der ist punktuell sehr gut geführt. Ich denke an die vorbildliche Arbeit etwa der Christen und der Muslime und auch der Juden in Mannheim, wo die Synagoge ein Treffpunkt ist für alle. Muslime feiern zum Beispiel dort Hochzeit, weil die Synagoge ihnen die Räume zur Verfügung stellt. Das gibt ihnen eben auch wichtige Zeichen des Miteinander. Und der Dialog wird mit den Muslimen sicher zäher sein, mühsamer sein. Wir haben auch vielleicht auf beiden Seiten noch nicht so viele Leute, die wirklich in einen offenen Dialog aufrichtig treten können.
    Vieles geschieht zum Beispiel auch in den Sportvereinen, wo eine hohe Integrationsarbeit geleistet wird. Wir haben ja selber in der DJK – in der Deutschen Jugendkraft – einen großen Sportverein mit Hunderttausenden von Mitgliedern, wo es ganz selbstverständlich ist, dass auch Ausländer und auch Muslime mitarbeiten können. Im Kindergarten geschieht eine starke Integrationsarbeit. Ich war sehr fasziniert beim jetzigen Israelaufenthalt, dass wir in Nazareth durch Ordensschwestern eine Schule mit 1500 Kindern haben, wo die allermeisten Muslime sind. In Ostjerusalem ist die Schmidt-Schule, die 1500 muslimische Mädchen hat. Da wird schon seit langem – eben wenig bekannt – eine herausragende Vermittlungsarbeit geleistet, und darauf setze ich.