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Gegen Schmutz und Beschädigungen

Verschmierte Wände, kaputte Briefkästen, fehlende Glühbirnen, verunreinigte Aufzüge... Zeichen von Frustration, Resignation und blinder Zerstörungswut, die den tristen Alltag der Menschen hier prägen. Wo ein erstes Graffiti auftaucht, ist bald die ganze Wand besprüht. Wenn niemand eingreift, entsteht schnell ein "Niemandsland", eine gesetzlose Zone.

Von Bettina Kaps |
    Das war im Norden von Aulnay auch lange Zeit der Fall. Denn die Gesellschaft für Sozialen Wohnungsbau und das Rathaus schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Niemand griff ein, und das Viertel verwahrloste. Bis beide Seiten beschlossen, die Siedlung wieder aufzuwerten. Dazu entwickelte Aulnay einen Plan, der nun auch von anderen französischen Städten übernommen wird.

    Nathalie Detoeuf greift zum Schlüsselbund und sperrt ihr Büro zu. In der Eingangshalle des 12stöckigen Wohnturms wartet schon Jean-Claude Mendy auf sie. Alle zwei Wochen bilden sie ein ungewöhnliches Paar, die zierliche Französin mit dem rotbraunen Kurzhaarschnitt und der schlaksige Afrikaner. Nathalie ist Verwalterin aller Häuser rund um das Einkaufszentrum. Jean-Claude arbeitet als technischer Angestellter im Rathaus. Gemeinsam gehen sie Straßen, Wege und Grünflächen ab, schauen in alle Ecken und Winkel, suchen nach Mängeln, Schmutz und Schäden.

    Heute kontrollieren wir meine ganze Siedlung: den japanischen Garten, die Unterstände für den Sperrmüll, die rue de Bougainville, und auf dem Weg dorthin das Einkaufszentrum – das ist dann alles. Auf geht´s. … Lysiane, ich breche jetzt auf! … Meine Hausmeisterin soll wissen, dass sie jetzt allein ist. … Nur zu, Fatima! … Das ist meine Putzfrau und dort geht einer meiner Hausmeister…

    Die gerade Haltung und der selbstbewusste Blick lassen keinen Zweifel: Nathalie Detoeuf ist hier die Chefin. Die 35Jährige ist im Viertel "Rose des Vents" für sechs Hochhäuser mit je 12 Etagen verantwortlich. Außerdem kümmert sie sich um den langen Wohnblock über dem Einkaufszentrum – er sieht aus wie ein Hochhaus, das man quer gelegt hat. Alles in allem betreut sie zusammen mit ihren vier Hausmeistern 475 Wohnungen. Darin leben fast 2.000 Menschen.

    Nathalie und Jean-Claude ziehen los. Kaum haben sie den Bürgersteig betreten, bleibt die Verwalterin schon stehen, zeigt auf den Asphalt und diktiert:

    Ein Schlagloch, gleich vor meinem Büro. Es ist nicht das einzige, Monsieur Mendy, später werde ich Ihnen noch andere zeigen.

    Der junge Mann hält einen Schreibblock mit Pauspapier in der Hand. Er notiert den Schaden. Das weiße Blatt ist für seinen Vorgesetzten im Rathaus, das rosa Blatt bekommt später die Verwalterin, das grüne behält er selbst. Drei Formulare um sicherzustellen, dass keine Beanstandung vergessen wird.

    Dort haben sie vor zwei Wochen ein Auto angezündet, der Asphalt ist geschmolzen, das können wir nur feststellen, da wird nichts repariert. Aber hier, an dieser Schranke fehlt das Durchfahrtsverbot. Hat das Rathaus die Schilder weggenommen? Nein? Zwei Einbahnstraßen-Schilder sind verschwunden…

    Zwischen den Türmen und der Nationalstraße haben die Stadtplaner eine Grünfläche angelegt: drei künstliche Hügel und einige halbrunde Stufen bilden ein Amphitheater der Neuzeit. Spielgeräte für Kinder gibt es nicht. Tagsüber liegt das Gärtchen fast immer verlassen da. Das war mal anders, erinnert sich Jean-Claude. Der junge Mann ist ein Kind dieser Siedlung, er wurde hier geboren.

    Sie nennen das den japanischen Garten. Früher gab es hier Beete mit vielen Pflanzen, ein Wasserbecken mit Goldfischen, es wurde gepflegt. Als Junge habe ich hier manchmal gespielt, da war es hier schön. Nachmittags kamen Familien hierhin. Doch dann verkam der Ort, und jetzt kann man nicht mehr hingehen. Heute ist es nur noch ein Treffpunkt für junge Leute, die rumhängen.

    Nathalie und Jean-Claude nähern sich einem Wohnblock. Die Fassade ist mit falschen Schiefertafeln in Gelb und Olivgrün verkleidet. Auf vielen Balkonen trocknet Wäsche. Unten, auf dem Rasen, liegen Glasscherben, Papier- und Plastikfetzen verstreut.

    Das war mein schmutzigstes Gebäude. Früher haben die Leute ihren Müll hier einfach aus dem Fenster geworfen: Flaschen, Baby-Windeln, volle Tüten… Das ist viel besser geworden. Früher war der Rasen übersäht. Da konnten wir jeden Morgen eine ganze Containerladung Müll einsammeln, den die Leute runter geworfen hatten.

    Die Verwalterin hat den herumfliegenden Müllsäcken den Kampf angesagt. Zuerst hat sie die Mieter mit Broschüren und Briefen darauf aufmerksam gemacht. Jetzt verhängt sie Geldstrafen.

    Mein Hausmeister zieht Handschuhe an und wir durchsuchen die Mülltüten. Wenn wir einen Namen finden, bekommt der Mieter ein Einschreiben von der Sozialwohnungsbaugesellschaft. Beim dritten Brief schicken wir eine Rechnung über 15 Euro. Schließlich haben wir ihnen ausführlich klar gemacht, dass sie für ihren Müll verantwortlich sind, und für den Ort, an dem sie leben. Das ist meine Methode hier in der Siedlung. Wenn auch das nichts hilft, kann ich den Hygienedienst vom Rathaus einschalten.

    Die enge Zusammenarbeit mit dem Rathaus trägt Früchte. Der Zustand der Siedlung hat sich deutlich verbessert. Heute betrachtet Nathalie die Kontrollgänge zu Zweit als wichtigen Teil ihrer Arbeit.

    Die Bewohner wissen, dass wir uns um sie kümmern, in den Hochhäusern und auch im Freien. Sie sehen, dass hier regelmäßig Leute vom Rathaus vorbeikommen. Das gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit. Sie spüren, dass jemand für sie da ist, obwohl sie in den nördlichen Vierteln von Aulnay leben!