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Gegen Vorurteile und Klischees

Seit Monaten wird über Integration diskutiert. Zuletzt hatte der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich mit der Aussage für Irritationen gesorgt, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Am Dienstag nun kommt in Berlin wieder die Islamkonferenz zusammen, um über Chancen und Hürden in der Integration zu sprechen.

Von Ronny Blaschke | 26.03.2011
    Auch im Sport wird die Debatte ausgetragen: zum Beispiel in Berlin. Einer der Migrantenvereine, die sich dort zwischen Integration und Isolation bewegen, ist der BSV Hürtürkel. Der Klub bietet 400 Jugendlichen ein soziales Netzwerk, darunter sind jedoch nur wenige deutsche Spieler.

    Eine Sportanlage im Norden von Neukölln. Hüseyin Cay hat seine Mütze tief ins Gesicht gezogen, er hält seine Arme verschränkt vor der Brust und beobachtet seine Spieler, sie sind 14 oder 15 Jahre alt. Hin und wieder gibt Hüseyin Cay Anweisungen, nicht sonderlich laut, aber hörbar.

    Hüseyin Cay ist Jugendleiter des BSV Hürtürkel, ein Mann von kräftiger Statur. Der BSV ist in der Hauptstadt einer von 24 Fußballklubs mit türkischen Wurzeln. Cay kam aus der Nähe von Istanbul nach Berlin – vor fast vierzig Jahren. Der Sport half ihm, sich in der neuen Umgebung zurecht zu finden.

    "Wir konnten uns nicht ausdrücken, weil wir keine Deutsch-Kenntnisse hatten. Dadurch, dass wir sehr viele Spieler hatten, die hilfsbereit waren, mit denen wir immer kommuniziert haben, zusammen gespielt haben, unsere Freizeit gestaltet haben, dadurch habe ich mich in der deutschen Sprache in kürzester Zeit verbessert."

    Fast 200.000 Menschen mit türkischen Wurzeln leben in Berlin, 25.000 spielen Fußball. Seit Monaten wird in Deutschland über Integration diskutiert. Der Islam sei inzwischen ein Teil von Deutschland, sagte Bundespräsident Christian Wulff im vergangenen Oktober. Viele widersprachen ihm, zuletzt Bundesinnenminister Friedrich. Oft werden Muslime auch zwischen zwei Fußballtoren mit Klischees konfrontiert, werden politische und ethnische Konflikte ausgetragen, deren Ursprünge fernab von Europa liegen.

    "Es sind Vorurteile, Angst: Die sind immer gewalttätig, das sind alle Terroristen. Ich habe in meinem Personalregister keine Strafen."

    Wenn Hüseyin Cay mit seinen Talenten zu Auswärtsspielen fährt, hört er die immer gleichen Beschimpfungen: Kanaken, Dönerfresser, Bastarde. Manchmal beauftragt er einen Sicherheitsdienst. Doch damit will sich der 49-Jährige nicht zufrieden geben. Er will vorbeugen, damit es auf dem Platz gar nicht erst zu einer Eskalation kommt.

    Wenige Minuten vor dem Spiel. Hüseyin Cay hält in der Kabine seine letzte Ansprache. Er geht vor und zurück, blickt in erwartungsvolle Gesichter. Die Spieler ziehen ihre Stutzen hoch, es riecht nach Schweiß.

    Oft gehen Provokationen auch von türkischen Spielern aus. Rund 400 Kinder und Jugendliche sind beim BSV Hürtürkel aktiv. Hüseyin Cay schätzt, dass mehr als die Hälfte von ihnen aus sozial schwachen Familien stammen. Sie tragen ihren Frust mit auf den Platz, wo ihnen der Fußball ein Ventil bietet. Hüseyin Cay will verhindern, dass es zu einem Ausbruch kommt. Im Training spricht er über Fairplay, er leitet Rollenspiele und Antiaggressionsübungen. Und er fragt nach, wie es den Spielern ergeht: in der Familie, in der Schule, im Freundeskreis.

    "Bezüglich Schule, Sozialverhalten und soziales Umfeld, da sind wir sehr stark interessiert. Wir wollen aus den Jugendlichen, wenn sie sich irgendwann mal in der Öffentlichkeit präsentieren als erwachsener Mensch, dass sie dann wissen, wie es im Gesellschaftsleben vorangeht. Ich bin persönlich ein sehr ruhiger Mensch, ich bleibe immer sachlich und diese Sachlichkeit versuche ich der Mannschaft zu übermitteln."

    Neben den Kabinen des BSV Hürtürkel ist ein Kiosk geöffnet, aus kleinen Lautsprechern erklingt türkische Musik. Vor dem Kiosk stehen fünf Männer, sie sprechen Türkisch. Unter den 400 Jugendlichen im Verein sind nur sechs deutsche Spieler, aber kein deutscher Trainer. Ähnlich sieht es in anderen Migranten-Vereinen aus, von denen es in Berlin insgesamt vierzig gibt. In ihren Klubheimen flimmert türkischer Fußball über die Bildschirme, von Hertha BSC will kaum jemand etwas wissen.

    Hüseyin Cay hat vorgeschlagen, seinem Verein einen deutschen Namen zu geben, doch die Mehrheit war dagegen. Er kann den Vorwurf der Abschottung nicht mehr hören. Seit langem ist er auf der Suche nach deutschen Trainern. In Gesprächen hört er dann verschwommene Vorurteile, auch Angst vor etwas Fremdem. Er erzählt dann Geschichten, um diese Vorurteile zu widerlegen, zum Beispiel von einem seiner ehemaligen Spieler:

    "Er hat sein Studium beendet, Medizin hat er studiert. Im Nachhinein hat er sein Studium noch einmal weiter fortgesetzt. Und ist momentan jetzt hier als Gefäßchirurg tätig."

    Das Spiel hat begonnen, Hüseyin Cay steht am Rand und gibt Anweisungen, er spricht Deutsch. Jeden Tag muss der Maschinenschlosser um sechs auf der Arbeit sein, nach der Schicht fährt er zum Fußball. Immer wieder versucht er, Freunde fürs Ehrenamt zu begeistern. Und Bekannte zu überzeugen, ihre Söhne und Töchter zum Fußball zu schicken. Manchmal vergeblich. Denn von Breitensport haben viele muslimische Eltern in ihrer Heimat nie etwas gehört. Hüseyin Cay wird weiter fördern und fordern, und plötzlich erhält der Begriff Fußballlehrer eine ganz andere Bedeutung.