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Gegenaufklärer auf dem Podest

Vorzeitig zu Ernst Jüngers bevorstehendem zehntem Todestag am 17. Februar 2008 sind zwei dickleibige Biografien erschienen, die sich beide im Untertitel unbescheiden "die Biografie" nennen; etwas mehr als 700 Seiten füllt die des Heidelberger Germanisten Helmuth Kiesel, mehr als 600 Seiten die des Berliner "Welt-am-Sonntag"-Redakteur Heimo Schwilk. Um es vorweg zu sagen: Schwilks Biografie ist lesbarer, lebendiger geschrieben, Kiesels akademischer.

Von Stephan Reinhardt | 31.10.2007
    Gemeinsam indes ist beiden, dass sie den 1895 geborenen und 1998 im Alter von 102 Jahren an Herzschwäche gestorbenen Ernst Jünger auf ein Podest stellen. Trotz gelegentlicher Einwände ist Jünger für sie eine unverrückbare Zentralgestalt der europäischen Moderne. Beide, Kiesel und Schwilk, schließen sich dabei mit ihrem Urteil dem des einflussreichen Germanisten Karlheinz Bohrer an, der 1978 in seiner damals erschienenen Habilitationsschrift "Die Ästhetik des Schreckens" das Frühwerk Jüngers verklärte zur grundmodernen, quicklebendigen Ästhetisierung des Krieges, zum, wie Bohrer es formulierte, authentischen "Wahrnehmungsereignis".

    Jünger habe in seinen Anfang der Zwanziger Jahre publizierten Kriegstagebüchern wie "In Stahlgewittern" oder "Der Kampf als inneres Erlebnis" der massenhaften "Plötzlichkeit" des Todes im Krieg exemplarisch Ausdruck verschafft. Wobei damals wie heute der Einwand bleibt: Kann man überhaupt die massenhaften Todes-Gräuel im Krieg überhöhen zur ästhetischen und semantischen Sinnressource? Ist das nicht ein Kotau vor moralisch unmusikalischem Ästhetizismus?

    Dass Ernst Jünger unbestreitbar eine - so zum Beispiel auch der Historiker Hans-Ulrich Wehler - "Unheilsfigur", einer der "großen Verderber" und "intellektuellen Totengräber" der Weimarer Republik gewesen ist, spielen die Biografen Kiesel und Schwilk herunter. Kiesel schreibt in seiner "Einleitung":

    "Die vorliegende Biografie hätte nicht geschrieben werden können, wenn der Verfasser der Meinung wäre, dass derartige Verdikte der historischen Weisheit letzter Schluss seien. Man wird sie relativieren dürfen.""

    Und Kiesel relativiert ein ums andere Mal. Um den Jünger der von Spengler und anderen Sozialdarwinisten inspierierten Kriegselogen zu exkulpieren, bringen Kiesel und Schilk im Namedropping-Verfahren wertschätzende Jüngerleser wie Erich Maria Remarque, André Gide, Heiner Müller und selbst Joschka Fischer ins Spiel, Bundesaußenminister Fischer, der Anfang der siebziger Jahre als Redakteur der Frankfurter Sponti-Zeitung "Pflasterstrand" in seinen Gewaltphantasien Gewaltapostel wie Ernst Jünger und Carl Schmitt unbedarft zu "Geheimtipps" der Studentenbewegung glaubte veredeln zu sollen.

    Um Mundgerechtmachung bemüht, historisieren Kiesel und Schwilk fortlaufend. So machen sie für Jüngers militanten Nationalismus den Versailler Vertrag und die Deutschland darin auferlegten Lasten verantwortlich. Und glauben ihn rechtfertigen zu können, indem sie ihm andere Kritiker des Versailler Vertrages wie zum Beispiel Thomas Mann zur Seite stellen. Dabei haben weder Kiesel noch Schwilk die neueste historische Forschung herangezogen. Ihr zufolge waren in der Weimarer Republik die Belastungen durch den Versailler Vertrag nicht entscheidend; sie wurden vielmehr vom Wirtschaftsriesen Deutschland bald kompensiert.

    Und Kiesel unterschlägt, dass der um 1919 schnell Demokrat gewordene Thomas Mann den Friedensvertrag von Versailles gewiss zu Recht als Belastung der jungen Republik verstand, während Jünger ihn dagegen als Vorwand benutzte, um der von vornherein gehassten Republik den Todesstoß zu versetzen. Wie kein anderer politischer Publizist blies Jünger die Kriegsfanfare. Er sah sich als Kopf der nationalen "Revolution" und wurde in der ihm eigenen Kaltnadeltechnik der geistige Brandstifter der Zwischenkriegsjahre.

    Wobei er Hitler und der Bewegung lange die chauvinistische Fahnenstange hielt. Schon 1923 propagiert er im "Völkischen Beobachter" die Idee der nationalen "Revolution":

    "Ihre Idee ist die völkische, ihr Banner das Hakenkreuz, ihre Ausdrucksform die Konzentration des Willens in einem einzigen Punkt - die Diktatur! Sie wird ersetzen das Wort durch die Tat, die Tinte durch das Blut, die Phrase durch das Opfer, die Feder durch das Schwert."

    Es schmerzt regelrecht, wenn Kiesel, der den "republikfeindlichen Antiparlamentarismus" Jüngers erklären will, dabei pazifistische Schriftsteller wie Tucholsky und Ossietzky zu radikalen Republikfeinden stempelt. Dabei hängt er sich an Riccardo Bavajs oberflächliche Studie "Von links gegen Weimar" an. Das ist so unredlich wie falsch. Denn Jüngers Gegenspieler Tucholsky und Ossietzky waren gewiss Kritiker des Parlamentarismus, im Zweifelsfalle aber war ihnen die Demokratie das Wichtigste. Natürlich wussten sie, dass in ihr Menschen- und Freiheitsrechte eher geschützt werden als in Diktaturen.

    Kiesel und Schwilk mangelt es an Distanz zu Jünger. Gewiss, räumt Kiesel ein, habe Jünger den "deutschen Faschismus" propagiert, aber, so Kiesel:

    "Ebensowenig wie das Ausmaß der Freiheits- und Rechtsberaubung konnte man zwischen 1926 und 1930 die Gewalttaten und Verbrechen des Nationalsozialismus voraussehen. Kurz, für einen "deutschen Faschismus" zu plädieren, unter dem man sich keineswegs die spätere NS-Diktatur vorzustellen hat, war um 1926 oder um 1930 nicht so töricht, wie es heute wirkt, und auch nicht gleich verbrecherisch."

    Gewiss. Das wird keiner bestreiten. Tatsache ist auch, dass Jünger sich 1939 mit den "Marmorklippen" vom NS-Regime distanziert hat. Der Grundfehler der Jünger-Biografien von Kiesel und Schwilk liegt zum einen darin, dass sie Jünger kaum oder nicht ausreichend kritisch wie der von Kiesel regelrecht gemobbte Germanist Horst Seferens beziehen auf die Programmatik der Gegenaufklärung. Für Jünger war die republikanische, menschenrechtsorientierte Tradition der Aufklärung nie diskutabel. Mit viel Verständnis billigt ihm Biograf Kiesel zu, dass er in der Weimarer Republik im geistigen Klima des Hasses und Freund-Feind-Denkens habe so hassvoll agieren müssen. Denn selbst Heinrich Mann habe sich als "großer Hasser" "geriert" und deshalb einige seiner Essays unter dem Titel "Der Hass" erscheinen lassen.

    Was aber hat der Hass des ausgewiesenen Aufklärers und Demokraten Heinrich Mann auf Faschisten und Nationalsozialisten zu tun mit dem militant-kriegerischen Hass des vehementen Hassers von Aufklärung und Demokratie Ernst Jünger auf Demokraten und Menschenrechtler? Nichts. Kiesel will sagen: So bedeutend war Jüngers Promotion des Nationalsozialismus für den Untergang der Weimarer Republik nun doch nicht.

    Und dann schiebt Kiesel die kiebige Begründung nach:

    "Wenn die "Macht des Wortes" so groß gewesen wäre, wie Jüngers Kritiker es unterstellen, dann hätten auch die Reden und Schriften der prorepublikanischen Intelligenz, etwa der Brüder Mann, eine ganz andere Wirkung haben und die Republik vor dem Untergang retten müssen."

    Also, so Kiesel: Die Macht des Wortes ist nun mal gering. Das mag sein. Aber hat der im Ersten Weltkrieg vielmals verwundete Stoßtruppführer und Haudegen Jünger, der in den 2oer und 30er Jahren vom nationalistischen Mainstream als nationaler Kriegsheros bewundert wurde, seine Wortmacht nicht mit großer Wirksamkeit in den Dienst der "nationalen Revolution" gestellt?

    Zum anderen übersehen beide Biografen, Kiesel und Schwilk, dass Ernst Jünger mit den Totalitarismen seines Denkens nie eine wirkliche Auseinandersetzung geführt hat. Sie erwähnen auch nicht, dass Jünger noch als fast Neunzigjähriger seine Streitschrift von 1932 "Der Arbeiter" zu seinem wichtigsten Werk erklärt hat - in Wirklichkeit handelt es sich bei diesem schriftlichen Irrtum um einen zwar zeittypischen, die europäische Moderne aber verleugnenden Totenschein für Demokratie und Individuum. Jünger plädiert darin für den totalitären Zukunftsstaat. Revidiert davon wurde von Jünger - noch im höchsten Alter von bewundernswerter Vitalität - im Grunde nichts.

    Dass Jünger als Person über, wie Kiesel und Schwilk bemerken, erhebliche "humane Qualitäten" verfügte, bleibt natürlich gänzlich unbestritten. Die Biografen ignorieren oder spielen ebenfalls herunter, dass Ernst Jünger in seiner Aufklärung und Demokratie durchgehend verweigernden Weltsicht zur Leitfigur der Neuen Rechten in der Bundesrepublik wurde: Zum Beispiel 1987 zum Stichwortgeber des Historikers Ernst Nolte, der Auschwitz erklären wollte als verständliche Reaktion auf den bolschewistischen Gulag; dass ihn 1993 Botho Strauß in seinem reaktionär "Anschwellendem Bocksgesang" aufgrund seiner geistigen Gegenaufklärung und Militanz zu seinem Lieblingsdichter deklarierte oder dass zum 100. Geburtstag 1995 die den Ewiggestrigen nach dem Munde redende Wochenzeitung "Die Junge Freiheit" ihm zu Füßen lag. Wofür er ihr, wie Kiesel erwähnt, 200 DM spendete. Alles Missverständnisse? Bleibt die Frage, weshalb zwei dicke, in ihrer Argumentation verblüffend ähnliche Jüngerbiografien nahezu gleichzeitig auf den Markt kommen? Vermutlich, weil die Verlage sich im gegenwärtigen konservativen Zeitgeist-Klima ein Geschäft davon versprechen.

    Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biografie.
    Siedler. München 2007. 718 S., 24,95 Euro

    Heimo Schwilk: Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben. Die Biografie.
    Piper- München 2007. 624 Seiten, 24,90 Euro