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Gegengift mit Breitbandwirkung
Ein Serum hilft gegen viele Schlangenbisse

In Entwicklungsländern sterben Menschen häufig an Schlangenbissen - weil sie zu spät oder falsch behandelt werden. Britische Forscher haben sich deshalb auf die Suche nach einem Mittel gemacht, das gegen viele Schlangengifte wirkt. Es könnte künftig als Tablette verabreicht werden.

Von Christine Westerhaus | 16.12.2020
Eine Gabun-Viper (lat.: Bitis gabonica) hat sich zusammengerollt.
Giftschlangen wie diese Gabun-Viper fordern Jahr für Jahr viermal mehr Menschenleben als Landminen (picture alliance /dpa /Kurt Scholz)
Wie so oft trifft es vor allem die Ärmsten der Armen: Bauern, die barfuß auf ihren Feldern arbeiten oder mit nackten Händen arglos in ein Gebüsch fassen. Vor allem sie werden von giftigen Schlangen gebissen. Und das hat für die Betroffenen oft lebenslange Konsequenzen, sagt Nicolas Casewell von der Liverpool School of Tropical Medicine.
"Jeder, den man in diesen ländlichen Regionen fragt, kennt jemanden, der von einer giftigen Schlange gebissen wurde. Und obwohl es auch Krankheiten wie Malaria gibt, haben die Menschen vor Schlangenbissen die größte Angst. Denn sie können für die Betroffenen dramatische Konsequenzen haben, selbst wenn sie nicht daran sterben. Sie verlieren vielleicht einen Finger oder eine Gliedmaße und können dann nicht mehr für die Familie sorgen. Und auch die Kosten für die Behandlung treiben die Menschen weiter in die Armut."
Die Behandlung von Schlangenbissen ist oft eine Kostenfrage
Eine Dosis Gegengift kostet je nach Schlangenart 50 bis 300 US-Dollar. Oft sind mehrere Injektionen nötig. Aufgrund der schlechten Infrastruktur schaffen es nur die wenigsten Betroffenen rechtzeitig in ein Krankenhaus. Denn das Gegengift muss injiziert werden und hilft nur, wenn klar ist, von welcher Schlange jemand gebissen wurde. Nick Casewell und sein Team haben sich deshalb auf die Suche nach einer alternativen Behandlung gemacht. In Tierversuchen haben sie verschiedene sogenannte Chelatoren getestet. Diese Moleküle gehen komplexe Verbindungen mit Schwermetallen ein und werden in der Medizin unter anderem dazu verwendet, Blei- oder Quecksilbervergiftungen zu behandeln, erklärt der Forscher aus Liverpool.
"Schlangen produzieren unterschiedliche Toxine, die sich nach ihrem Wirkprinzip in unterschiedliche Gruppen einteilen lassen. Wir haben sie grob in drei Klassen eingeteilt und versucht, Moleküle zu finden, die jeweils eine dieser Giftstoffklassen neutralisieren können. Diese haben wir dann in Tierversuchen getestet. Und dabei haben wir gesehen, dass schon eine Kombination von zwei Molekülen ausreicht, um fast die gesamte Bandbreite an Schlangengiften zu neutralisieren. Das war eine echte Überraschung für uns."
Ein Molekül-Duo wirkt gegen erstaunlich viele Toxine
Diese Wirkstoff-Kombination aus zwei Molekülen könnte also möglicherweise als eine Art Breitband-Gegengift funktionieren. Vorausgesetzt, sie wirkt auch beim Menschen. Eine wichtige Hürde auf dem Weg zu einem Medikament hat das Schlangengift-Therapeutikum aber schon geschafft: Dass es keine schwerwiegenden Nebenwirkungen beim Menschen auslöst, haben Forschende in klinischen Studien bereits gezeigt. Ein weiterer Vorteil: Die Moleküle sind wesentlich stabiler, als die Antikörper, die normalerweise zur Behandlung von Schlangenbissen eingesetzt werden.
"Unser langfristiges Ziel ist, das Gegengift als Tablette verfügbar zu machen, die den Betroffenen sehr schnell nach einem Schlangenbiss verabreicht werden kann. Sie bräuchten dann keine Injektion. Die Gegengifte, die derzeit eingesetzt werden, müssen gekühlt werden. Und das ist in den Tropen eine echte Herausforderung mit all den Stromausfällen. Bei Tabletten muss man sich nicht so große Sorgen darüber machen, dass sie kühl gelagert werden."
Tabletten statt Spritzen - in Entwicklungsländern könnte das Existenzen retten
Vor allem Menschen in ländlichen Regionen wären also besser versorgt und müssten nicht ins Krankenhaus fahren, um sich behandeln zu lassen. Außerdem wären Tabletten deutlich billiger als Injektionen mit Antikörpern, die aufwändig hergestellt werden müssen. Und das könnte vielen Menschen ein trauriges Schicksal ersparen, sagt Nicolas Casewell: "Ich habe in Kenia Ziegenhirten getroffen, die alle Tiere verkaufen mussten, um sich eine Behandlung leisten zu können. Ein Schlangenbiss kann die Menschen also ihre gesamte Lebensgrundlage kosten. Es ist wirklich dramatisch, wenn man mit den Menschen über ihre Erfahrungen spricht."