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Gegenwind für Brüsseler Lobbyisten

Nach Angaben der EU-Kommission gibt es gut 2600 Lobbygruppen in Brüssel, und noch immer ist nicht ganz klar, wie viel Einfluss sie tatsächlich haben. Eine Denkfabrik in Amsterdam will nun Licht ins Dunkel bringen. Kerstin Schweighöfer hat einen Mitarbeiter der Organisation getroffen.

    Eric Wesselius bereitet seinen nächsten Besuch in Brüssel vor. Einmal pro Woche fährt er von Amsterdam aus in die zwei Stunden entfernte belgische Hauptstadt. Dort begibt er sich umgehend ins Europaviertel. Wesseluis will jene unethischen Lobbymethoden an den Pranger stellen, mit denen Industrie und Wirtschaft versuchen, politische Entscheidungen in Brüssel zu ihren Gunsten zu beeinflussen und bestimmte Gesetze oder Richtlinien zu verhindern.

    Zu diesem Zweck hat sich der 45-jährige Niederländer mit vier weiteren engagierten Europäern zu der Organisation CEO zusammengeschlossen, eine Abkürzung für Corporate Europe Observatory. CEO ist eine Mini-Denkfabrik, die sich zum Ziel gesetzt hat, Brüssels Lobbyisten auf die Finger zu schauen. Dabei ist das Quintett ganz bewusst auf Distanz gegangen und hat als Standort Amsterdam gewählt: Brüssel, das sei eine einzige große Insider-Clique, auch Brüssler Blase genannt. Da sei es ratsam und gesund, ein bisschen Außenseiter zu bleiben.
    Bei den fünf CEO-Mitgliedern handelt es sich um Umweltschützer. Während des EU-Gipfels in Amsterdam 1997 hatten sie gegen die Erweiterung des europäischen Autobahnnetzes auf Kosten von Naturschutzgebieten protestiert:

    "Wir entdeckten, dass eine Lobbygruppe der Industrie dahinter steckte", erinnert sich Wesselius. "Dadurch fingen wir an, uns mit dem Einfluss der Lobbyisten auseinanderzusetzen. Wir waren die ersten. Wir hatten eine Nische gefunden".
    Die Gesamtzahl der Lobbyisten in Brüssel wird auf 15.000 geschätzt. 70 Prozent von ihnen kommen aus Wirtschaft und Industrie, nur knappe zehn Prozent von Umwelt- und Nichtregierungsorganisationen. Von einer gesunden Gegenlobby könne damit keine Rede sein; in sieben von zehn Fällen würden sich Wirtschaft und Industrie durchsetzen, so Wesselius:

    "Egal, ob BASF, Dupont oder BP: Ihre Lobby-Büros formen ein strategisches Band, mit dem sie das EU-Viertel regelrecht umzingeln. Manche Lobbyisten brauchen nur durch die eine Tür raus und die andere wieder reinzugehen, und schon sind sie im europäischen Parlament oder in der Kommission."

    Dort konzentrieren sie sich acht Stunden pro Tag darauf, Kontakte zu knüpfen und ihren Einfluss geltend zu machen. Rein rechnerisch kommen dabei auf einen Europarlamentarier mindestens zehn Lobbyisten.

    Die Abgeordneten selbst und auch die Kommissionsmitglieder würden zwar immer wieder betonen, dem Lobby-Ansturm gewachsen zu sein, sagt Wesselius. Doch erstens seien die meisten EU-Dossiers hoch kompliziert, zweitens könnten sich die Parlamentarier und ihre Mitarbeiter in der Regel noch immer nicht auf eine eigene wissenschaftliche Abteilung stützen, die sie mit Informationen versorgt. Die Folge: "In sehr vielen Fällen werden sie einseitig von den Lobbyisten informiert: Die sorgen dafür, dass die Interessen ihrer Konzerne gewahrt bleiben".

    Eric Wesseluis hat Dutzende solcher Fälle gesammelt. Bestes Beispiel: die seit langem umstrittene Chemie-Richtlinie REACH. Mit ihr will die EU die Chemiebranche dazu verpflichten, sämtliche Produkte erst auf ihre Sicherheit hin zu überprüfen. REACH steht für Registrieren, Evaluieren und Autorisieren.

    Ursprünglich sah diese Richtlinie vor, dass besonders schädliche und giftige Chemikalien vom Markt genommen werden müssen. Doch Umwelt- und Verbraucherverbände hatten keine Chance: Mit einer Millionenkampagne gelang es der Chemielobby nicht nur, das REACH-Programm um Jahre hinauszuzögern, sondern es auch deutlich abzuschwächen. Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chemiebranche stehe auf dem Spiel, so das Hauptargument - und damit Millionen von Jobs. Dass davon keine Rede sein konnte, stellte sich erst hinterher und viel zu spät bei einer EU-Untersuchung heraus.

    Als Gegenmaßnahme fordert CEO mehr Transparenz nach dem Vorbild der USA und Kanada: Dort muss sich jeder Lobbyist registrieren lassen und alle zwei Jahre Rechenschaft ablegen, für wen und für was er Interessenarbeit betreibt, wie viel Geld er dafür bekommt und welche Politiker er dazu aufsucht.

    Inzwischen steht das Thema auch auf der Tagesordnung der EU-Kommission: Mit einer entsprechenden Initiative will Verwaltungskommissar Kallas die Lobbyisten zu mehr Transparenz verpflichten. Ob es wie geplant noch in diesem Jahr zu einer Richtlinie kommt, ist offen.

    Das Quintett von CEO jedenfalls will weiterhin unverdrossen Fälle unethischer Lobby-Methoden ans Licht bringen - und an den Pranger stellen.