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Geglückter Alarm

Geologie.- Am Samstag erschüttere ein Erdbeben der brachialen Stärke von 8,8 Chile und forderte zahlreiche Todesopfer. Die durch das Beben befürchteten Tsunami-Wellen blieben jedoch weitgehend aus. Warum, das erklärt Jörn Lauterjung vom Geoforschungszentrum in Potsdam im Interview mit Katrin Zöfel.

01.03.2010
    Katrin Zöfel: Es war drei Uhr morgens, als vergangenen Samstag an Chiles Küste die Erde bebte. Die Stärke des Bebens war 8,8 auf der Richterskala. Nur 30 Minuten später traf eine meterhohe Welle die Chilenische Küste und schwemmte ganze Ortschaften einfach weg. Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Geoforscher Jörn Lauterjung, vom Geoforschungszentrum in Potsdam. Herr Lauterjung, das schwere Erdbeben auf Haiti ist nur ein paar Wochen her. Haben diese beiden Beben etwas miteinander zu tun?

    Jörn Lauterjung: Also nach meiner Meinung haben die beiden Erdbeben nichts miteinander zu tun, weil unterschiedliche tektonische Platten in den Prozess einbezogen waren. Das heißt, wir haben in der Karibik eben die karibische Platte und die atlantische Platte im Spiel, während bei dem jetzigen Erdbeben Südamerika und die pazifische Platte einbezogen sind.

    Zöfel: Wie genau entstehen die Erdbeben vor Chile?

    Lauterjung: Die entstehen durch einen Kollisionsprozess. In Chile ist es so, dass der pazifische Ozean mit ungefähr zehn Zentimetern pro Jahr auf Südamerika trifft. Dabei wird der pazifische Ozeanboden unter Südamerika, wir sagen dazu subduziert, also in die Tiefe gelenkt. Und bei diesem Kollisionsprozess entstehen eben auch starke Erdbeben.

    Zöfel: Und das Beben vor Haiti löste keinen Tsunami aus, das Beben in Chile jetzt aber schon. Woran liegt das?

    Lauterjung: Das sind unterschiedliche Prozesse. Im Falle von Haiti hatten wir ein aneinander vorbei Schrammen zweier Platten, während wir jetzt in Südamerika die Situation haben, dass wir ein sogenanntes Megathrust-Erdbeben haben. Das heißt, wo zwei Platten direkt miteinander kollidieren. Das sind zwei grundsätzlich verschiedene Prozesse.

    Zöfel: Ich kann es mir jetzt immer noch nicht genau vorstellen, warum das eine einen Tsunami auslöst und das andere nicht.

    Lauterjung: Der Mechanismus zur Auslösung eines Tsunamis beinhaltet, dass sich der Meeresboden, wo das Erbeben stattfindet, vertikal nach oben bewegt, das heißt also, sich in der Vertikalen bewegt. Solche Bewegungen können bei solchen Horizontalverschiebungen, wie wir sie bei dem Haiti-Erdbeben hatten, nicht oder nur sehr gering auftreten, während sie bei solchen Kollisionsbeben oder Subduktionsbeben, wie wir das jetzt vor Südamerika in Chile hatten, fast die Regel sind.

    Zöfel: Das heißt, der Meeresboden ruckt nach oben – und was passiert dann?

    Lauterjung: Durch das Aufrucken des Ozeanbodens wird auch die darüberliegende Wassersäule angehoben. Die wird dann auch über den normalen Meeresspiegel angehoben, hat dadurch eine höhere Energie als das umliegende Wasser und wird dann als Welle, angetrieben durch die Schwerkraft, durch den Ozean getrieben.

    Zöfel: Und am anderen Ende des Pazifiks rollte ja jetzt ungefähr 24 Stunden später eine Welle auf die Küste von Japan und Russland zu. Die war jedoch viel kleiner als befürchtet. Warum ist es so schwer, wirklich saubere Vorhersagen über Tsunamis zu machen?

    Lauterjung: Weil wir nie genau wissen, wie sich der Bruchprozess eines solchen Erdbebens wirklich darstellt. Die Basis für die Vorhersagen eines Tsunamis, also auch zu welcher Zeit, mit welcher Höhe die Welle an welcher Küste aufschlägt, hängt von Modellvorstellungen ab, die wir uns von dem Erdbeben machen. Da gehen dann solche Parameter ein wie die Tiefe des Erdebebens – ist das in 10, 20, 30, 50 Kilometer Tiefe – und es gehen eben auch ganz viele Gesteinseigenschaften ein, die wir leider Gottes nicht genau kennen.

    Zöfel: Und aus all diesen Daten wird ja dann, wenn es gut läuft, eine richtige Frühwarnung abgeleitet. Seit wann gibt solch ein Frühwarnsystem für den Pazifik?

    Lauterjung: Das Frühwarnsystem im Pazifik wurde bereits in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts initiiert. Nach dem starken 9,5er-Erdbeben, fast an gleicher Stelle wie das jetzige 8,8-Erdbeben. Und als Folge dieses damaligen Erdbebens hat es eine Menge Tote in Hawaii gegeben, aber auch in Japan und in Russland. Und man hat daraufhin im Rahmen der UNESCO ein solches Tsunami-Frühwarnsystem für den Pazifik initiiert. Und seit Mitte der 60er-Jahre existiert dieses eine Frühwarnzentrum auf Hawaii.

    Zöfel: Und mit welchen Daten hat man damals überhaupt gearbeitet? Damals gab's ja die Satelliten, die heute genutzt werden, um Daten zu erheben, noch gar nicht.

    Lauterjung: Man hat im Prinzip in den Grundzügen genauso gearbeitet wie heute. Die erste wichtigste und wesentliche Information, die man hat, ist die Lokation eines solchen Erdbebens, die Magnitude eines solchen Erdbebens. Das heißt, das ist die Basis – auch heute noch – aller Frühwarnungen, die weltweit produziert werden. Also die Kenntnis: Wo ist das Erdbeben und wie stark ist das Erdbeben? Und daraus abgeleitet eben die Ozeanmodelle, die so eine Frühwarnung oder Vorwarnung vor einem Tsunami produzieren. Im Laufe der Jahre sind weitere Instrumente dazugekommen. Seit den 90er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts gibt’s solche Ozeanbojen mit Ozeanboden-Drucksensoren, um einen Tsunami tatsächlich auch im Meer zu verifizieren, und um die Modellvorstellungen nochmal gemessene Daten zurückführen zu können.

    Zöfel: Würden Sie sagen, dieses Frühwarnsystem für den Pazifik hat in diesem Fall funktioniert?

    Lauterjung: Ja, es hat funktioniert. Wir wissen eben auch aus Presseberichten – und nur auf die kann ich mich im Moment beziehen – dass es bereits nach zehn, elf Minuten auch in Chile Warnungen gegeben hat, dass dort verbreitet worden ist, dass ein Tsunami im Anmarsch ist und die Leute aufgefordert worden sind, höhere Gebiete aufzusuchen. In Hawaii, in Japan, in Russland sind frühzeitig schon Evakuierungsmaßnahmen angeordnet worden. Die Leute haben diese im Wesentlichen auch befolgt. Ich weiß von Kollegen aus Neuseeland, dass dort auch Frühwarnungen frühzeitig schon an die Bevölkerung gegeben worden sind, auch mit Hinweisen, wie sich zu verhalten ist.

    Zöfel: Sie sind vom Geoforschungszentrum Potsdam an der Entwicklung eines Frühwarnsystems für den Indischen Ozean beteiligt, das nach dem Tsunami 2004 entwickelt werden sollte. Welche Lehren können Sie aus diesem Ereignis jetzt für ihre eigene Arbeit ziehen?

    Lauterjung: Also eine ganz wesentliche Lehre oder auch Bestätigung dessen, was dort im Indischen Ozean passiert, ist die Tatsache, dass neben einer gut aufgestellten und gut funktionierenden Technologie zur Erfassung der Erdbebenparameter, der ozeanografischen Parameter, eben eine ganz wichtige Rolle spielt, ist, dass es Informationskanäle zwischen den einzelnen betroffenen Ländern gibt, wo frühzeitig Informationen ausgetauscht werden können und dass es eben in den jeweiligen Ländern für die Frühwarnung, die eine hoheitliche Aufgabe ist, es eben Prozeduren gibt, diese Informationen an die Bevölkerung weiterzugeben und dass eben auch in den letzten fünf Jahren, seit dem Tsunami im Indischen Ozean, sehr stark daran gearbeitet worden ist, wir sagen dazu die local communities, also die betroffene Bevölkerung, auf solche Warnmeldungen vorzubereiten.

    Zöfel: Herzlichen Dank für das Gespräch. Das war Jörn Lauterjung vom Geoforschungszentrum Potsdam.