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Gegner des bequemen Denkens

Seitdem der Intellektuelle Christopher Hitchens seine Krebsdiagnose erhalten hat, so meint er, treffe er "Anwälte am Morgen und Ärzte am Nachmittag" – um sich auf den Tod, aber auch auf das Weiterleben vorzubereiten. Nun ist seine Autobiografie auf Deutsch erschienen.

Von Henry Bernhard |
    Stellen wir uns eine Mischung vor aus Henryk M. Broder, Wolf Biermann, Michel Friedmann, Joschka Fischer, Harald Schmidt und Hans-Magnus Enzensberger. Stellen wir uns weiter vor, dass dieser Homunculus nicht nur bekannt dafür ist, aufmüpfig und politisch inkorrekt zu sein, sondern auch noch charmant ist, geschliffene Texte für die renommiertesten politischen Magazine der Welt schreibt und natürlich ein glänzender Redner ist. Dann etwa wären wir bei Christopher Hitchens. Der in England Geborene lebt seit 30 Jahren in Washington. Unter Schmerzen hat er sich von einem Trotzkisten zu einem eigenständig denkenden Menschen gewandelt, der den Streit liebt. Mit scharfem Verstand und unmissverständlicher Prägnanz stellt er seine Thesen auf, zum Beispiel über religiösen Glauben.

    "Es ist der Wunsch, ein Sklave zu sein, der Wunsch, dass es eine unveränderliche, nicht in Frage stellbare, tyrannische Autorität gebe, die dich des Gedankenverbrechens schuldig sprechen kann, während du schläfst. Ein himmlisches Nordkorea."

    Christopher Hitchens verbreitet keine Verschwörungstheorien á la Michael Moore, sondern liefert handfeste Argumente. Er hat eine vorzügliche Ausbildung in Cambridge und Oxford genossen, hat als junger Sozialist auf Kuba Zuckerrohr geerntet und sich in Sarajewo die Kugeln um die Ohren fliegen lassen. Die Klinge seines Scharfsinns wetzte er in endlosen Diskussionsnächten mit Kommunisten, Sozialdemokraten oder Trotzkisten, denen kein Haar zu dünn war, um es nicht noch einmal zu spalten. Bis heute legt er sich bevorzugt mit Autoritäten an und liebt es geradezu, heilige Kühe zu schlachten: John F. Kennedy, Mutter Theresa, Lady Diana. Er verachtet Klischees und Plattitüden, weigert sich, blutige, von den USA gestützte Diktaturen in Lateinamerika besser zu finden als Castros Herrschaft auf Kuba.

    Er nennt den Ex-US-Außenminister Alexander Haig einen "eitlen und grotesken Freak", den Ex-Präsidenten Jimmy Carter einen "frömmelnden wiedergeborenen Widerling", Henry Kissinger einen "Mörder" und "Kriegsverbrecher", Ronald Reagan einen "widerwärtigen Lügner", dessen Umfeld "blutsaugerische Pseudointellektuelle am Rockzipfel der Macht", die "Sprachrohre der argentinischen Folterknechte" gewesen seien; Bill Clinton findet er "ekelhaft".

    "Nixons ungemein abstoßender Stellvertreter Henry Kissinger tat sich keinen Zwang an, im Ausland zum Mord anzustiften und Militärcoups zu fördern. Außerdem wurden die kolossalen Kosten für den Militärisch-Industriellen Komplex aus Geldern bezahlt, die den Armen dieser Welt gestohlen wurden."

    Hitchens kennt sich sowohl in der Geistes- als auch in der Religionsgeschichte aus, hat nicht nur Maggie Thatcher und Paul Wolfowitz kennengelernt, sondern auch osteuropäische Dissidenten. Er versteht es, Pointen zu setzen und seine Zuhörer zu überzeugen. Hitchens erspart sich auch nicht, schmerzliche Irrtümer zuzugeben. Nie jedoch erklärt er dem Leser, es schon immer besser gewusst zu haben. So verspricht seine in der angelsächsischen Welt viel beachtete und hoch gelobte Autobiografie eine sehr erfrischende und unterhaltsame Lektüre. Doch die Anfangskapitel sind nicht gerade einfach zu lesen, die Referenzen an die britische Intellektuellenszene wären mit einigen erklärenden Fußnoten leichter zu goutieren. Der ausdauernde Leser aber wird mehr als entschädigt: Mit dem liebevollen Porträt seiner Eltern zeichnet Hitchens zugleich ein Sittengemälde der britischen Klassengesellschaft, in der der falsche Dialekt einem "Brandmal auf der Zunge" gleichkommt. Hitchens schildert die verkommene, zynische Medienmoral. Und ohne Nostalgie, aber mit deutlicher Trauer erinnert er an eine Welt der sozialdemokratischen linken Hoffnungen am Anfang des 20. Jahrhunderts.

    "Die Gewalt und die Brüche, die eine sozialistische Transformation damals nach sich gezogen hätte, wären unendlich viel geringer gewesen als die wahnsinnige Opferung der Kultur vorm Altar der Barbarei und die daraus erwachsenden Grauen des Nazismus und Stalinismus."

    Hier bleibt Hitchens völlig ironiefrei, hier ist es ihm ernst und heilig. Ebenso, wenn es um Verfolgte, Gefolterte und Unterdrückte geht – egal, wer die Verantwortlichen sind. So gnadenlos Hitchens austeilen kann, so demütig kann er auch lobpreisen – seine Säulenheiligen sind George Orwell, Arthur Koestler, Wladimir Nabokow und Susan Sonntag. Er nennt Verbrecher Verbrecher, seien sie Iraker, Amerikaner oder auch Saudis, Politiker wie Militärs. Dabei stellt er auch heraus, dass verantwortliche Politik manchmal nicht die Wahl zwischen Gut und Schlecht, sondern zwischen Schlecht und noch Schlechter bedeutet. Damit unterläuft er bequeme Denkschemata. Er hält sich nicht mit Jahreszahlen auf, er nimmt den Leser mit auf eine assoziative Reise zwischen Orten, Menschen und Zeiten. Manchmal wird dem Leser schwindlig von Hitchens' Schlenkern, von seinen rasanten Schnitten zwischen Weitwinkel- und Nahaufnahmen seiner Zeit.

    "Im Jahr 2003 intervenierten die USA im Irak erstmals auf der richtigen Seite. Und ich bin stolz darauf, dies befördert zu haben."

    Die Anschläge vom 11. September 2001 und der darauf folgende Irak-Krieg bilden eine Zäsur in Hitchens' Leben. Sie führt ihn weg von der Linken, auf eine Position in der Nähe der Neo-Konservativen. Die Linken, Liberalen und Europäer seien nicht bereit, den Preis, den unsere Freiheit mitunter kostet, zu zahlen. Politiker, Journalisten und große Unternehmen kapitulierten kampflos vor den Drohungen islamischer Fundamentalisten, die Menschen mit dem Tod bedrohen, weil diese ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen.

    "Wer sich auf eine moralisch so sterile Weise vom Krieg distanziert, der lässt dem Faschismus freie Bahn."

    Man muss nicht seiner Meinung sein, um Christopher Hitchens interessiert zu folgen. Zumal er das, was er für mörderischen US-imperialistischen Zynismus hält, immer noch mit harten Worten geißelt: Guantanamo, Abu Ghuraib, Mordexzesse. Die Übersetzung aus dem Englischen ist gut gelungen, aber holpert an einigen Stellen. Übersetzerin und Lektorat sind offensichtlich einige feststehende deutsche Begriffe nicht geläufig. An anderen Stellen erkennt die Übersetzerin die Grenzen des Übersetzbaren und belässt Textteile im englischen Original. Das tut dem Text unbedingt gut. "Fuck off!" kann oder sollte man nicht übersetzen. Wirklich dämlich ist aber der deutsche Titel: Aus "Hitch 22. A Memoir" – ein geistreicher Verweis auf den Romanklassiker "Catch 22" von Joseph Heller – wurde das prätentiöse "The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen". Aber das sollte das Lesevergnügen nicht schmälern.

    "Christopher Hitchens: The Hitch: Geständnisse eines Unbeugsamen.
    Karl Blessing Verlag, 672 Seiten, 22,95 Euro
    ISBN: 978-3-896-67414-2