Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Gehässiger Rundumschlag gegen Zeitgeistphänomene

Der britische Autor Martin Amis ist für seine boshaften Provokationen bekannt; sein Roman "Information" etwa war eine gnadenlose Entlarvung des Literaturbetriebs und der Rivalitäten unter Autoren. Amis, der zu den bekanntesten Schriftstellern seines Landes gehört, gilt gleichzeitig als das enfant terrible der englischen Literatur. Sein neuer Roman "Yellow Dog" löste schon im Vorfeld des Erscheinens schrille Töne in den dortigen Medien aus, die ja auch bekannt dafür sind, teilweise nicht eben zimperlich in ihrer Wortwahl zu sein und die Informationen über ein Buch im übrigen ganz gern mit Klatsch über den jeweiligen Autor zu vermengen. Bringt es einem aber tatsächlich die Romane von Martin Amis näher, wenn man die Höhe seiner Zahnarztrechnungen kennt?

Von Sabine Peters | 30.12.2004
    Exakt solch einen Verlust der Intimität, außerdem Mediengeilheit, Brutalisierung, Verblödung und "Obszönisierung" der Gesellschaft, das sind schon lange die Themen von Martin Amis, der dabei seinerseits auch kein Blatt vor den Mund nimmt. Das neue Buch "Yellow Dog" zwingt in seiner gewagten, teilweise wirren Konstruktion diverse Gesellschaftsschichten zusammen, das geht vom Gangstermilieu bis zum englischen Königshaus. Amis, der zuletzt nichtfiktionale Texte, unter anderem einen Essay über Stalin, veröffentlichte, beschrieb in einem Interview, wie groß sein Gefühl von literarischer Freiheit war, sich beim neuen Roman nicht um "die Wahrheit" scheren oder Angst haben zu müssen, die Gefühle von Leuten zu verletzen. "Yellow Dog" bot allerdings die Gelegenheit zu einem gehässigen Rundumschlag gegen diverse Zeitgeistphänomene, die hier genüsslich breitgetreten werden.

    Die Handlung: Xan Meo, ein erfolgreicher britischer Schauspieler und Autor, der sich selbst gern zum "Renaissance-Menschen" überhöht, Xan Meo wird zusammengeschlagen. Er erleidet ein Schädeltrauma und mutiert danach vom gesitteten reifen Ehemann zu einem gewalttätigen, primitiven Höhlenmensch, vor dem nicht einmal seine vierjährige älteste Tochter sicher ist. Hinter dem Anschlag auf Meo steckt der Gangster und Pornokönig Joseph Andrew, der sich im Übrigen mit dem Königshaus anlegt: Er hat Nacktvideos von Prinzessin Victoria, der fünfzehnjährigen Tochter König Henrys, in Umlauf gebracht. Clint Smoker schließlich, ein in seiner Männlichkeit tief verunsicherter und umso brutaler schreibender Schmierenjournalist, will die Skandalstory für sein Sexblättchen ausschlachten.

    Die "Zivilisation", wie sie hier gezeichnet wird, ist in Widersprüche verstrickt: Alle sind gleich, aber jeder ist ein Superstar. Die Leute sind hohl, abgestumpft und dabei aufgeblasen, ihnen fehlt jede Hemmung, was sich - und das ist noch das Harmloseste - im Straßenbild schon daran zeigt, dass man überall geschmückte eiternde Bauchnabel zu sehen bekommt. Sexualität ist rein wettbewerbsorientiert, sie findet unter Raubtieren statt. Der Kampf aller gegen alle ist verbunden mit immensen, teilweise an die Grenze des Wahnsinns führenden Angstgefühlen. Die Leute reagieren darauf mit Konsum von Pornovideos, Potenzverstärkern, Drogen aller Art.

    "Yellow Dog" kommt als satirischer "Sittenroman" daher; Kenner von Amis' übrigen Romanen können also erwarten, dass das Buch anstößig, schamlos, schlüpfrig, unanständig ist. Das trifft einerseits tatsächlich zu. Wer gern Grobheiten und Peinlichkeiten liest, kommt hier ganz auf seine Kosten. Andererseits wirkt das Brutale und Obszöne in "Yellow Dog" überanstrengt und aufgesetzt, vieles ist wie abgeschrieben aus vorherigen Romanen. Und hat man sich einmal damit abgefunden, in eine literarische Vulgärwelt einzutauchen, in der noch die Drinks "Ständer" oder "Wichser" heißen, langweilt man sich nach spätestens fünfzig Seiten. Die markigen Figuren sind in grellen Tönen ausgemalt und kommen einem ungefähr so nahe wie der Marlboro-Cowboy. Und man fragt sich zunehmend, wo soll denn in einer derartig geschlossenen, abgefeimten Welt wie der hier vorgeführten noch das Potential für so etwas wie Provokation herkommen?

    Von dieser Frage ausgehend, kommt man auf das, was den Romantext selbst, - nicht die hier vielleicht ja zur Kenntlichkeit entstellte Gesellschaft - zwar nicht zu einer Provokation, aber zu einem Ärgernis macht. Gegen die Verderbtheit des gesamten Lebens einschließlich diverser Inzest- und Mordgeschichten wird hier als einzige Figur, die so etwas wie Unschuld verkörpert, ausgerechnet "das Kind" gesetzt. Da ist also auf der einen Seite der allgegenwärtige Typ des "hochintelligenten Schwachsinnigen", der informiert ist, aber emotionslos, ohne jedes Einfühlungsvermögen. Und ihm gegenüber das Kind, vertrauensvoll, unschuldig, das er nicht schützen kann und das er deshalb vielleicht lieber gleich missbraucht, verschlingt, vernichtet - mit dem Vakuum bekannt macht. Dann ist endlich Ruhe. Es mag ja sein, dass inzestuöse Neigungen auch auf diese Weise motiviert sind - aber Martin Amis belässt es nicht dabei. In einem letzten rührseligen, tränenschwimmenden Bildchen zeigt er Xan Meos jüngste Tochter, die gerade das Stehen lernt. "Wenn sie klein sind" heißt das Kapitel und endet mit den Worten, "so winzig klein". Bettina Wegener lässt grüßen.

    Ach nein, es soll hier nicht in erster Linie gegen deren Frauenkitsch polemisiert werden. Der scheint noch geradezu harmlos gegenüber der strukturellen Abgeschmacktheit des Romans "Yellow Dog". Denn ein Happyend muss es geben, der Autor hält die ganze ermüdende Kaputtheit schließlich doch nicht mehr aus. Xan Meo gesundet, er wird heil. Er kann wieder als ganzer Herrenmensch durch die Welt laufen, stabiler familiärer Hintergrund inklusive. Und das schließt eben ein, auf sentimentale Weise über kleine Mädchen in der bösen Welt zu reflektieren, die man ja leider kennt. Ein wahrhafter Herrenroman.