Donnerstag, 25. April 2024

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Geheimnisumwittertes Konklave
"Auch Laien könnten den Papst wählen"

Das Kardinalskollegium könnte für Frauen geöffnet werden. Das sagte der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf im Deutschlandfunk. In der Geschichte der katholischen Kirche habe es durchaus Laienkardinäle gegeben, also Kardinäle ohne Bischofsweihe. Gerade bei der Papstwahl sei er "Optimist, dass sich in der Kirche etwas bewegen kann."

Hubert Wolf im Gespräch mit Andreas Main | 27.01.2017
    Hubert Wolf, Autor, Theologe und Kirchenhistoriker
    Hubert Wolf, Autor, Theologe und Kirchenhistoriker (imago / Gerhard Leber)
    Die katholische Kirche wird von alten Männern geleitet. Papst Franziskus ist Jahrgang 1936, sein Vorgänger 1927. Somit gilt: Das nächste Konklave kommt bestimmt. In mehr oder weniger naher Zukunft werden in der Sixtinischen Kapelle mehr als 100 Kardinäle einen Mann aus ihrer Mitte wählen, der als Papst von Katholiken als unfehlbar angesehen wird. Als Stellvertreter Christi. Jede Papstwahl zieht die Massen in ihren Bann. Weltweit. Wer wählt den Papst? Wer wird gewählt? Und wo? Darum geht es im Gespräch mit dem wohl bekanntesten deutschen Kirchenhistoriker, dem katholischen Theologen Hubert Wolf. Heute erscheint sein neues Buch.
    Hubert Wolf: "Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl"
    München 2017, Verlag C.H.Beck, 220 Seiten, 19,95 Euro.
    Das Interview in voller Länge:
    Andreas Main: Schwarzer Rauch, weißer Rauch. Es ist geheimnisumwittert: das Konklave. Es sind jene Tage, wenn ein neuer Papst gewählt wird. Sie werden wieder kommen, so viel steht fest. Egal ob der amtierende Papst zurücktritt wie sein Vorgänger - oder ob er stirbt. Dann wird die Welt wieder nach Rom schauen - gebannt und gespannt. Und an diesem Punkt kommt Hubert Wolf ins Spiel. Er ist Kirchenhistoriker, Professor an der Universität Münster und zurzeit Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin. Hubert Wolf erklärt die Geheimnisse der Papstwahl in einem Buch, das heute erscheint. Es hat den Titel "Konklave". Und was das Ganze ausgesprochen spannend macht: Ausgerechnet die Papstwahl, die so einen archaischen Ewigkeits-Charakter zu haben scheint, hat einige Traditionsbrüche erfahren, ist also auch mit Blick auf die Zukunft veränderbar. Darüber wollen wir reden mit Hubert Wolf, der mir live zugeschaltet ist aus Berlin. Guten Morgen, Herr Wolf.
    Hubert Wolf: Grüß Gott aus Berlin.
    Main: Herr Wolf, Sie sind gut informiert und gut vernetzt in Rom. Sie legen ausgerechnet jetzt dieses Buch vor - in einem Moment, da wir einen Papst und einen Ex-Papst haben. Wissen Sie mehr? Rechnen Sie in näherer Zukunft mit einem Konklave?
    Wolf: Ich weiß natürlich auch nicht mehr, weil ich Historiker bin und kein Prophet. Das ist ganz klar. Aber das Thema Konklave liegt natürlich in der Luft. Und zwar deshalb, weil ja Papst Franziskus bereits nach seiner Wahl angekündigt hat, der liebe Gott habe ihn nur ganz wenige Jahre gegeben, weil er mal gesagt hat, jeder Bischof und jeder Kardinal muss mit 80 zurücktreten. Müsste das denn nicht auch der Bischof von Rom tun? Er ist jetzt ja im Dezember 80 geworden. Das andere ist, er selber hat auch argumentiert, man müsse damit rechnen, dass es künftig die Regel sei, zurückgetretene Päpste zu haben. Das sind alles Anzeichen, die dafür sprechen, dass irgendwann der Schritt kommen könnte.
    "Es irritiert, wenn zwei Männer in Weiß auftreten"
    Main: Es ist also nicht auszuschließen, dass die katholische Kirche demnächst - salopp formuliert - drei Päpste hat. Fasziniert oder schreckt Sie diese Aussicht?
    Wolf: Drei Päpste würde ich nicht sagen.
    Main: Aus Ihrer Sicht wären es zwei Ex-Päpste und ein Papst.
    Wolf: Genau, es wäre ein Papst und zwei, die diese Funktion niedergelegt haben. Denn das Papstamt ist kein Sakrament. Es gibt keine Papstweihe. Deshalb übernimmt man eine Funktion, einen Dienst für die Kirche. Und wenn man diese Funktion aufgibt, dann ist es anders als bei der Bischofsweihe oder bei der Priesterweihe. Da wird kein sakramentales Merkmal eingeprägt, sondern man gibt die Funktion auf, tritt zurück.
    Es war in der Geschichte der Kirche so: Die erfolgreichen, gelungenen Papstrücktritte, von denen es einige wenige gibt, funktionieren so, dass der Zurückgetretene wieder in den Status zurückgeht, aus dem er kommt - in der Regel Kardinalbischof oder Kardinalpriester oder was auch immer. Und dann auch wieder das rote Gewand trägt und nicht das weiße, weil es die Menschen irritiert, wenn bei einer Veranstaltung plötzlich zwei Männer in Weiß auftreten und man dann fragt: Haben wir jetzt zwei Päpste?
    Ich weiß, dass das theologisch wesentlich differenzierter zu sehen ist und auch so ist, aber symbolische Kommunikation wirkt wesentlich stärker als theologische Spitzfindigkeiten.
    "Ein zurückgetretener Papst sollte nicht Eure Heiligkeit genannt werden"
    Main: Der Rücktritt als Auslöser für ein neues Konklave, eine Papstwahl - das ist ein eklatanter Traditionsbruch. Welche Konsequenzen müssten aus der Erfahrung der vergangenen Jahre gezogen werden mit einem Papst, der sich als Papa Emeritus versteht und sich zum Beispiel mit Interviewbüchern einmischt? Was müsste anders werden?
    Wolf: Zunächst müsste präziser geregelt werden, wie ein Rücktritt stattfindet. Benedikt hat es gefühlsmäßig sehr gut gemacht. Er hat den Rücktritt vor den versammelten Kardinälen in Rom erklärt, hätte er nicht müssen, weil ja niemand diesen Rücktritt annimmt. Dann muss man aber klar regeln: Der zurückgetretene Papst ist nicht mehr Papst. Man muss klar regeln, dass der keinen Anspruch hat, die weißen päpstlichen Gewänder weiter zu tragen, dass er auch keinen Anspruch hat, Heiligkeit genannt zu werden, sondern dass er wieder zurücktritt in diesen Status.
    Die Geschichte zeigt, dass es dann funktioniert, wenn ein zurückgetretener Papst bereit ist, jede Einmischung in die Öffentlichkeit, jede Einmischung in öffentliche Diskussionen zu unterlassen. Ich weiß, dass das wahnsinnig schwierig ist, weil es, wenn man es ernst nimmt, ganz eng an so was rangeht, wie Kontaktsperre. Wie will man das einem Menschen zumuten?
    "Was passiert, wenn ein Papst dement wird?"
    Wir haben in der Geschichte der Kirche mit dem Rücktritt von Coelestin V. genau dieses Problem gehabt. Coelestin V. tritt zurück, Bonifatius VIII. wird gewählt. Coelestin mischt sich dann doch wieder ein und Bonifatius sieht sich sogar gezwungen dann um 1300 diesen zurückgetretenen Coelestin einzusperren und unter solchen Bedingungen im Gefängnis zu halten, dass er dann relativ schnell stirbt. Das kann niemand wollen.
    Deshalb ist es wichtig, dass hier klare Regelungen gefunden werden. Übrigens weitergehend Regelungen noch im Hinblick, wer beerdigt zum Beispiel den zurückgetretenen Papst Benedikt XVI.?
    Main: Das macht im Normalfall kein amtierender Papst.
    Wolf: Richtig. Normalerweise wäre es der Kardinaldekan des Kardinalkollegiums. Ich kenne keine Regelung. Man könnte noch weitergehen. Was passiert, wenn ein Papst dement wird und gar nicht mehr in der Lage ist, einen Rücktritt zu erklären? Gibt es dann eine Instanz, die das entscheidet? Oder gibt es ein geheimes Gesetz, von dem immer wieder gemunkelt wird, das ich aber nicht kenne.
    Auch hier wäre es an der Zeit, klare, vernünftige Regelungen zu treffen. Denn eines zeigt die Geschichte des Konklaves: Es ist eine Geschichte, wo historische Vernunft immer wieder dazu geführt hat, die Situation zu verändern, das Modell zu verändern, den Ritus zu verändern und das Verfahren an neue Gegebenheiten anzupassen.
    "Die Papstwahl exklusiv durch Kardinäle beginnt sich 1059 durchzusetzen"
    Main: Es ist eben in der katholischen Kirche nichts in Stein gemeißelt, obwohl sie so auf Tradition setzt. Nehmen wir ein anderes Beispiel als den Rücktritt eines Papstes. Am Beispiel 'Aktives Wahlrecht' – also an der Frage, wer wählt den Papst, wird auch einiges deutlich. Was sind an diesem Punkt entscheidende Änderungen über die Jahrhunderte?
    Wolf: Heute würde jeder sagen, es ist doch klar, wer den Papst wählt. Den Papst wählen die Kardinäle im Konklave – Punkt. Wenn wir ins Neue Testament schauen und davon ausgehen, dass der erste Papst Petrus ist, dann wird der erste Papst von Jesus Christus eingesetzt.
    Wenn wir in die Geschichte der frühen Kirche zurückgehen, auch der römischen Kirche, dann müssen wir wahrscheinlich sagen, dass es zunächst mal gar keinen einzelnen Bischof in der Diözese gibt, sondern eine Gruppe von leitenden Menschen. Dann kann es da gar keine Papstwahl geben.
    Als sich dann ein Bischof durchsetzt, da wird der gewählt von Klerus und Volk. Wer allen vorstehen soll, der soll auch von allen gewählt sein. Dann haben wir eine Phase, als die Kirche unter Konstantin zu einer anerkannten und später zu einer Staatsreligion wird, da mischen sich die weltlichen Mächte stark ein, die Kaiser, später die Karolinger, die Ottonen, Salier. Dann haben wir eine Phase, in der das Papsttum sozusagen zum Spielball stadtrömischer Mafia-Clans wird. Die unterschiedlichen römischen Familien versuchen sich mit Mafia-Methoden das Papstamt unter den Nagel zu reißen.
    Dann gibt es irgendwann 1059 die Situation, dass es zu einer Doppelwahl kommt und dass in dieser Doppelwahl am Ende derjenige sich durchsetzt, der gegen die Regeln gewählt worden ist. Eine Gruppe hat einen Papst gewählt in Rom selbst. Das war die Mehrheit, das war Klerus und Volk. Ein paar Kardinäle gehen außerhalb Roms und wählen Nikolaus II. und der legitimiert seine Wahl im Nachhinein, indem er sagt: 'So, jetzt sind die Papstwähler nur noch die Kardinäle. Warum? Weil ich von denen gewählt worden bin.'
    Das heißt 1059 beginnt sich durchzusetzen, dass der Papst exklusiv von den Kardinälen gewählt wird. Vorher war das nicht so.
    "Kardinalskollegium muss weiter internationalisiert werden"
    Main: Stichwort 'Wahl durchs Volk' , was es eben auch gab. Wir beide werden es sicher nicht mehr erleben und vielleicht ist auch gar nicht wünschenswert. Aber wäre eine Direktwahl durch 1,2 Milliarden Katholiken weltweit möglich?
    Wolf: Nein, das wäre nicht möglich. Und das ist, glaub ich, auch nicht, was angestrebt ist.
    Main: Was ist angestrebt? Was würden Sie anstreben?
    Wolf: Ich würde anstreben, dass auf jeden Fall das Kardinalskollegium eine entscheidende Bedeutung behält. Bedeutet aber, dass das Kardinalskollegium weiter internationalisiert werden muss – und zwar entsprechend der Verteilung der Katholiken weltweit. Das heißt, das Übergewicht der Italiener, das Übergewicht der Europäer muss weg. Das muss gerechter verteilt werden, so dass sich die Weltkirche in diesem Kardinalskollegium repräsentiert. Das ist der erste Punkt.
    Der zweite Punkt ist, ich würde die Vorschrift von Johannes XXIII. rückgängig machen, der festgelegt hat, dass alle Kardinäle die Bischofsweihe empfangen haben müssen. Das war vorher nicht so. Wir haben sogar Laienkardinäle gehabt, also Kardinäle, die keine Bischofsweihe haben. Damit könnte das Kardinalskollegium, wenn man einen Schritt weiter denkt, wenn es auch Nicht-Bischöfe unter den Kardinälen gibt, ja sogar Laien, dann könnte das Kardinalskollegium theoretisch auch für Frauen geöffnet werden. Das wäre eine Überlegung.
    Und die andere ist, wenn man es noch weiter machen will und wenn man diese altkirchliche Tradition von Klerus und Volk aufnehmen will, dann könnte man das Kardinalskollegium mit den 120 lassen und dazu eine gleich große Gruppe von Laien aus den Laienräten der Weltkirche nehmen, dann hätte man ein Wahlgremium von 240. Und in beiden könnte dann der Papst mit zwei Dritteln gewählt werden. Aber das ist eine sehr weit gehende Perspektive.
    Mir kommt es darauf an, dass es keinen Ewigkeitswert hat, dass die Päpste allein durch die Kardinäle gewählt werden und dass Jesus Christus das so nicht eingesetzt hat, sondern dass eine Dynamik, eine Entwicklung hinter diesem Prozess steht, was sich aber durchaus bewährt hat, dass eine kleine Gruppe das macht. Das Kardinalskollegium einfach aufzugeben als Papstwahlgruppe, würde ich aus Gründen der historischen Vernunft nicht unterstützen.
    "Wir sind in einer Krisensituation"
    Main: Herr Wolf, mal aus nicht-katholischer Perspektive gedacht: das monarchische Prinzip des Papsttums - das macht diese Institution spannend. Also, wenn wir es bei der Papstwahl mit einer demokratischen Wahl zu tun hätten, Ihr Buch wäre unnötig, langweilig und es hätte gar nicht geschrieben werden müssen.
    Wolf: Also, demokratische Wahl – das ist es, glaube ich, gar nicht. Das Entscheidende, was die Menschen fasziniert, ist das Geheime. Erstmal: Wir sind draußen, wir stehen auf dem Petersplatz. Die Wähler drinnen kommunizieren mit uns nur über Rauchzeichen. Die dürfen keine Handys mitnehmen. Es gibt keine Twitter-Nachrichten wie bei der einen oder anderen Bundespräsidentenwahl, wo man dann vorher schon weiß, wie's ausgegangen ist. Ich glaube, das ist das erste, was heutzutage gerade die Medien, die Öffentlichkeit wahnsinnig interessiert.
    Wir können Geheimdienstberichte im Internet lesen, aber wir sind bei der Papstwahl im Konklave und unter dem jüngsten Gericht Michelangelos nicht mit dabei. Das ist die Perspektive von außen.
    Die Perspektive von innen: Es ist die wahrscheinlich einzige wirklich geheime Wahl der Welt. Sie ist eingerichtet, um zu sagen: Wir wählen ja nicht irgendjemanden.
    Jetzt gehe ich in die Innenperspektive: Wir wählen den Stellvertreter Jesu Christi auf Erden. Es ist eine Wahl, in der Gott im Spiel ist. Ich meine, wenn man jetzt die klassische kirchliche Tradition aufnehmen will: Verborgen ist er da, heißt es - in diesem Kirchenlied. Das Geheime ist der Ort, in dem Gottes Handeln sich zeigt, auch inszeniert werden kann.
    Das ist genau der Punkt, den die Masse so fasziniert. Wir wollen alles heute wissen, alles ist durchsichtig. Und genau das ist es nicht. Ich habe es in meinem Buch genannt, es ist wie Weihnachten. Man steht auf dem Petersplatz, man hat den weißen Rauch gesehen und man weiß es immer noch nicht, was das Geschenk einem bringt. Dann vergessen viele, dass der Kardinaldiakon, wenn er auf die Loggia tritt, nicht nur sagt "Habemus Papam", wir haben eine Papst. Er sagt vorher noch etwas anderes: "Annuntio Vobis Gaudium Magnum", ich verkündige euch eine große Freude. Und da schaltet es bei fast jedem: Das ist doch das Weihnachtsevangelium. "Ich verkündige euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll. Euch ist heute in der Stadt David der Retter geboren, welcher ist Christus, der Herr." "Habemus Papam".
    Main: Das heißt, die Sakralisierung einer Wahl.
    Wolf: Ja.
    Main: Ich möchte dieses Stichwort "Weihnachten" aufgreifen. Am Ende Ihres Buches machen Sie etwas, was für Historiker eher unüblich ist: Sie blicken nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft. Unter der Überschrift "Wenn Weihnachten und Pfingsten zusammenfallen" skizzieren Sie die Papstwahlordnung von 2059. Was ist der Kern des neuen fiktiven Papstwahldekrets von Hadrian VII., den Sie natürlich auch erfunden haben?
    Wolf: Ich habe Hadrian VII. erfunden, aber er ist dem VI. nachgebildet, der in dieser großen Krisenzeit, der Reformationsphase 1522, 1523, versucht hat eine große Reform der Kirche zu anzugehen und leider sehr früh gestorben ist.
    Wir sind momentan in einer vergleichbaren Krisensituation. Normalerweise hätte ich jetzt gesagt: Ich hab sieben Fragen gestellt und ich mache jetzt am Schluss sieben Schlussthesen. Ich habe was anderes gemacht, eine andere Darstellungsform gewählt, weil ich sage, ich bin ein Optimist.
    "Ich bleibe optimistisch, dass sich in unserer Kirche etwas bewegen kann"
    Ich glaube, dass sich die Kirche, weil sie sich in der Geschichte immer wieder verändert hat und weil sich am Ende immer wieder die historische Vernunft durchgesetzt hat – gerade bei der Papstwahl, bin ich ein Optimist, dass sich in unserer Kirche etwas bewegen kann.
    2059 – weil das erste große Papstwahldekret 1059 entstanden ist, das die Wahl durch die Kardinäle bestimmt. Ich würde mir folgendes wünschen. Erstens: klares Zurückgehen zur Zweidrittel-Mehrheit, die durch die Reform Johannes Pauls II. und durch die Rücknahme dieser Reform durch Benedikt XVI. nicht klar geregelt ist. Klar zurück zur Zweidrittel-Mehrheit.
    Klare eindeutige Regelungen eines Papst-Rücktritts. Dann aber auch Wiederaufwertung des Laterans. Denn was machen wir im Moment?
    Main: Sie meinen die Lateran-Basilika?
    Wolf: Die Lateran-Basilika. Das Papstamt wird nicht übertragen durch eine sakramentale Weihe. Das heißt, der Papst kann nur Papst sein als Bischof von Rom. Bischof von Rom kann er aber in der Basilika St. Peter nicht werden, denn das ist ein Grabstein, ein großer Grabstein für Petrus.
    Die Bischofskirche des Papstes, die einzige, ist der Lateran. Also müsste eigentlich der erste Akt der Amtseinführung eines Papstes im Lateran sein. Er müsste wie jeder andere Bischof in der Welt Besitz ergreifen von seiner Bischofskirche – das ist der Lateran. Und wenn er das getan hat, Bischof von Rom ist, dann könnte er rübergehen in den Vatikan, um dort das Pallium zu kriegen und den Fischerring, um als Bischof von Rom die Petrusfunktion zu übernehmen. So habe ich Franziskus verstanden, der sagt: Ich bin der Bischof von Rom, der kommt zwar vom anderen Ende der Welt. Aber ich bin der Bischof von Rom.
    "Auch ein Kirchenhistoriker verkündet keine dogmatischen Wahrheiten"
    Das wäre für mich sehr wichtig. Eine Frage, die natürlich spannend ist, ist die Frage des passiven Wahlrechts. Wir gehen immer davon aus, ganz selbstverständlich werden die Kardinäle oder Bischöfe gewählt. Das Konzil von Nicäa sagt aber – das auch das Glaubensbekenntnis entscheidend beschlossen hat im Jahr 325: Ein Bischof, der irgendwo Bischof ist, darf nicht irgendwo anders hin transferiert werden, weil die Bischofsweihe einem Eheband gleich kommt. So wie der Mann mit seiner Frau auf ewig verheiratet ist, ein geistliches Band eingeht, so der Bischof mit seiner Diözese. Und wenn ein Bischof in eine andere Diözese wechselt, dann nennt es die Tradition geistlichen Ehebruch. Ich weiß, dass das ein bisschen aus der Geschichte heraus provokativ ist.
    Es ist auch so, dass ein Kirchenhistoriker keine dogmatischen Wahrheiten verkündet, aber einfach aus der Geschichte ein paar Denkanstöße gibt, die diesen Reformprozess in unserer Kirche produktiv begleiten können und die manchmal kritisch diskutiert werden, aber hoffentlich auch hilfreich sind. Denn unsere Tradition ist ein Schatz. Und aus diesem Schatz kann die Kirche schöpfen.
    Main: Professor Hubert Wolf, Kirchenhistoriker an der Universität Münster und zurzeit am Wissenschaftskolleg in Berlin. Wir haben uns mit ihm über die Papstwahlen in der Vergangenheit und Zukunft unterhalten. Heute erscheint im Verlag C.H.Beck sein neues Buch: "Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl". 220 Seiten kosten rund 20 €. Danke Hubert Wolf, für das Gespräch!
    Wolf: Gerne.