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Geheimnisvolle Kunst der Dogon

Alltagsgegenstände, Bronzeschmuck und schlanke Figuren wurden für die Ausstellung "Dogon - Weltkulturerbe aus Afrika" aus aller Welt zusammen getragen. Zum Auftakt der Afrika-Reihe zeigt die Bundeskunsthalle in Bonn Exponate der westafrikanischen Kultur aus Mali.

Von Karin Fischer | 13.10.2011
    Sie zeigen die typischen Charakteristika afrikanischer Skulptur: lange dünne Körper, schmale hohe Köpfe, spitze Brüste oder Bärte, schmale Augen, breite Lippen. Die Kunst der westafrikanischen Dogon ist trotzdem ebenso vielfältig wie geheimnisvoll, und das Wort "primitiv" kann man heute getrost weg lassen. Die Bundeskunsthalle versammelt über 270 der schönsten Objekte dieser alten Kultur aus allen Museen der Welt, Alltagsgegenstände wie Sitzhocker oder Tränken, Bronzeschmuck, vor allem natürlich die schlanken, fast abstrakten Figuren. Ausstellungskurator Wolfger Stumpfe:

    "Viele dieser Dogon- oder Tellem-Figuren haben hochgestreckte Arme. Diese Geste wird gedeutet als Gebet an die Ahnen, oder als die Bitte um Regen, oder eben um diese Verbindung von Himmel und Erde in der Figur bildhaft darzustellen."

    Vor allem die berühmten Masken der Dogon kommen uns vertraut vor. Künstler von Picasso bis Baselitz und von Kirchner bis Modigliani haben die Formensprache der afrikanischen Plastik übernommen. Den naturmystischen Hintergrund solcher Masken, die Tierbilder darstellen wie den Kaiman, die Kuh oder die Antilope, leben die Dogon trotz Islamisierung heute noch, etwa in ihren Tänzen:

    "Das ist die Kanaga-Maske, Hauptphilosophie von Dogon. Himmel ist oben, Erde unten, Menschen in der Mitte. Antilope heißt, früher war es hier wildreich. Für die Dogon ist die Antilope auch ein sehr schönes Tier, ein Zeichen von Schönheit."

    Die Dogon flohen zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert vor Dürre oder kriegerischen Reitern in die Falaise bei Bandiagara, einen 200 Kilometer langen steilen Felsabsturz, an dessen Unterkante sie ihre Dörfer aus Lehm bauten, wie Schwalbennester. Über 280 Dörfer auf mehr als 400 Quadratkilometern wurden 1989 zum Weltkulturerbe erklärt. Die einzigartige Lehmbauweise haben die Dogon von den vor ihnen dort siedelnden Tellem gelernt, die zum Teil in Höhlen lebten und deren animistischen Bräuche die Dogon übernahmen. Doch so abgeschieden und unberührt diese Kultur über Jahrhunderte war, so intensiv wurde sie im 20. Jahrhundert erforscht. Auch das berühmte Zitat aus "Die Weißen denken zuviel", dem Standardwerk der Ethnopsychologen Paul Parin und Fritz Morgenthaler, ist in Bonn zu lesen.

    "Die Weißen denken zuviel. Und dann machen sie viele Sachen. Und je mehr sie machen, umso mehr denken sie. Und dann verdienen sie viel Geld, und wenn sie viel Geld haben, machen sie sich Sorgen, dass das Geld verloren gehen könnte und sie kein Geld mehr haben. Dann denken sie noch mehr und machen noch mehr Geld und haben nie genug. Dann sind sie nicht mehr ruhig. So kommt es, dass sie nicht glücklich sind."

    Ethnologen und vor allem Kunstsammler kauften die Objekte für kleines Geld; bereits in den 60er-Jahren sollen die Schätze der Dogon fast zur Gänze geplündert worden sein. Die Kuratorin der Ausstellung im Pariser Quai Branly, Hélène Leloup, selbst Sammlerin und Händlerin, wirkt fast ein bisschen trotzig, wenn sie sagt:

    "Durch die Islamisierung haben sie sich nicht mehr für die Statuen interessiert, und auch nicht mehr für die Ahnen. Deshalb haben die Dogon die Objekte verkauft, für ein Fahrrad oder ein Radio, das ganze moderne Zeug."

    Umso wichtiger, dass die Bundeskunsthalle die eurozentrische Perspektive aufgibt und, im Gegensatz zur Schau im Musée du Quai Branly in Paris, die "Kommunikation auf Augenhöhe" versucht. Das Dogon-Land heute ist auf Großfotos abgebildet, man kann mit Dogon-Experten hier oder in Mali skypen, die Probleme von Kolonialisierung oder heutigem Tourismus werden nicht ausgespart, auch gibt es Landflucht wegen regelmäßiger Dürre, weshalb deutsche Entwicklungszusammenarbeit vor Ort Wasserrückhaltebecken oder Kleinstaudämme fördert, um die Bewässerung der Hirse- oder Zwiebelfelder der Dogon zu sichern. Moussa Diallo und Elisabeth Forg in Bandiagara erklären:

    "Ernährungssicherung ist die Grundlage der Kultur. Ohne Ernährungssicherung kann man die Kultur nicht erhalten, wenn die Menschen dort nicht leben können."

    Dass man in Bonn die Perspektive multiplizieren und jedenfalls nicht vorgeben will, hat seinen Preis in der äußerst spärlichen Beschriftung der Objekte – Textlastigkeit kann man der Ausstellung nicht vorwerfen. Sinn, Zweck und Herkunft der Figuren muss man sich aus dem Begleitheft zusammen lesen, das jeder Besucher in die Hand gedrückt bekommt. Der Blick in den Katalog macht dann die Tiefendimension dieser außergewöhnlichen Kunst sichtbar. Die europäische Kunstgeschichte ist nicht ohne sie, der Kubismus nicht ohne Kanaga-Maske denkbar.