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Geheimnisvoller Zustand Liebe

In Jean Cocteaus "La voic humaine" klagt eine junge Frau am Telefon ihre Liebesnot. In Bela Bartoks "Herzog Blaubarts Burg" wird eine junge Frau ebenfalls von Liebesunglück geplagt - das sind auch schon die einzigen Gemeinsamkeiten der beiden Stücke, die Bernd Mottl an der Kölner Oper kombiniert hat.

Von Frieder Reininghaus | 13.03.2010
    Zwei kurze "Frauenstücke" wurden von der Oper Köln kombiniert – zwei Werke, die wenig innere oder äußere Verwandtschaftsmerkmale aufweisen: "A kékszakállú herceg vára" von Béla Bálasz bzw. Béla Bartók und "La Voix humaine" von Francis Poulenc. Jean Cocteaus Monodram von 1930, das Poulenc knapp zwei Jahrzehnte nach der Pariser Uraufführung als großes Sopransolo mit süffiger Orchesterbegleitung komponierte, thematisiert Segen und Fluch des Telefons – und die Einsamkeit einer verlassenen Geliebten am sichtbaren Ende der langen Leitung.

    "Herzog Blaubart", ein 1911 geschriebener, 1918 in Budapest uraufgeführter Einakter befaßt sich mit Fragen von Dominanz und Bändigung in der Beziehung zwischen einem gealterten Machtmenschen und einer unbefangenen jungen Frau, die sich von der Last der Geschichte nicht bange machen lässt. Oleg Caetani dirigierte das ungleiche Einakter-Gespann, Bernd Mottl inszenierte im Großem Haus am Kölner Offenbachplatz.

    Ihre Ruh ist hin und ihr Herz ist schwer: Die namenlose junge Frau, die im Auftrag ihrer Erfinder Jean Cocteau und Francis Poulenc die Unmöglichkeit der Liebe besingen wird, wartet auf einen Anruf. Einmal, zweimal, dreimal greift sie voll Hoffnung zum Hörer (wenn es klingelt). Dann ist endlich der "am Apparat", auf dessen Gespräch sie gewartet hat: Der Geliebte, der sie um einer anderen willen verließ und diese heiraten wird. Morgen schon.

    Nicole Beller Carbone durchmisst in einer Dreiviertelstunde die Aggregatzustände einer Frauenseele, die wider die Vernunft die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat. Virtuos singt sie also die Selbsttäuschung, fein nuanciert das Eintauchen in Erinnerung; sie hebt zu Überredungsversuchen die Stimme und versinkt hörbar in Depression. Dies Gespräch, von dem die Zuhörer nur das Reden und Schweigen einer Partei mitbekommen, endet mit dem tödlich trivialen Satz "Ich liebe dich". Also in einer potentiellen Katastrophe.

    Das Telefon überbrückt bekanntlich größte Distanzen, vermag Verbindungen zwischen Menschen herstellen; aber das Getrenntsein kann es nicht wirklich aufheben. Jean Cocteau thematisierte die kommunikativen Aspekte des in den 20er-Jahren sich massenhaft ausbreitenden "Fernsprechers" und die Einsamkeit der Teilnehmer an diesem Nachrichten-, Unterhaltungs- und Kontrollinstrument – und präsentierte ein modern-emanzipiertes Wesen an einem seiner Hauptwirkungsorte: im Bett.

    Cocteau wollte sein prägnantes Stück in einem "Bild wie ein 'böser Blick'" inszeniert wissen. Regisseur Bernd Mottl, derzeit als Regisseur an deutschsprachigen Regionaltheatern vorzugsweise mit dem DDR-Musical "Mein Freund Bunbury" und Léon Jessels künstlerisch ähnlich anspruchsvollem "Schwarzwaldmädel" befaßt, beorderte die Telefononobsessive Einsame aus ihrem französischen Bett in einen deutschen Mischwald. Dort singt sie und klingt sie, leidet und schaufelt sich am Ende selbst das Grab. Das Fräulein von Amt, das sich bei ihrer Telefon-Arie gelegentlich einmischt, passt zwar nicht mehr so recht in die Ära des Handys – aber das wäre ein zu vernachlässigendes Détail, wenn nicht die kühle Modernität Cocteaus von Mottl insgesamt in Idylle umgebogen worden wäre – inszeniert eben mit Wald und Schonung. Kölns unterbedarftes Opernpublikum zeigt sich befriedigt. Für diese kleine Wohltat hat der Regisseur sich eine silberne Mottenkugel verdient.

    Nicht besser als Cocteaus Namenloser ergeht es Bartóks Judith, die sich für ihr Glück mit einem Herzog von Transsilvanien einließ. Für die von ihr für Blaubart anberaumte Vergangenheitsbewältigung wird sie in ein Hotelzimmer entführt, das aussieht, als könne es noch heute irgendwo zwischen Köln und der Krim die Nutzer zu Alpträumen veranlassen.

    Judith schreckt von der Seite eines eingemummelt schlafenden Partners aus dem Doppelbett hoch und fuchtelt mit einer Taschenlampe herum; der Lichtkegel stößt auf den neben dem Fernseher stehenden Johannes Martin Kränzle, den schwarzen Herzog, der wohl von den Ritterfestspielen in Temesvar nicht rechtzeitig entsorgt wurde – und träumt nun von Folter- und Waffenkammer, den Blutflecken auf den prächtigen Roben, dem Tränensee und den drei früheren Frauen Blaubarts, die in ihrer Phantasie und vor unseren Augen nackt aus der Wanne steigen.

    Diese milde nudistische Bebilderung der fulminanten Musik Bartóks ist, wie die für "Voix humaine", eine höchst betuliche und schlicht entschärfte Lösung – für das ungemütliche und tödliche Beziehungsproblem. Derweil regnet es dekorativ aufs Doppelbett: Die Burg bzw. das realpostsozialistische Hotel ist inkontinent! Für diese Befeuchtung hat sich die Produktion die zweite silberne Mottl-Kugl verdient. Glückwunsch!

    Was bleibt, ist die krasse Diskrepanz zur hochqualitativen Musik. Oleg Caetani sorgte für eine flüssige Konversation der epigonalen Symphonik von Francis Poulenc; die Kontraste in Bartóks bedeutend modernerer Partitur werden von ihm klipp und klar herausgemeißelt: Dem Gürzenich-Orchester ist dieser vor einem halben Jahrhundert in den Tiefen der DDR, also mit gewissen preußischen Sekundärtugenden sozialisierte Gastdirigent hörbar gut bekommen.