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Geheimnisvolles Musikprojekt

Die neue CD "Mythos 116! des Calmus-Ensembles greift ein Projekt des Hobby-Theologen Burckhards Großmanns auf, der im Jahr 1616 genau 16 Komponisten damit beauftragte, Psalm 116 zu vertonen. Mit zwei neuen Vertonungen setzen die Leipziger Vokalisten das Vorhaben in der Gegenwart fort.

Moderation: Jochen Hubmacher |
    Besprochene CD:
    "Mythos 116”
    Psalm 116 - Compositions from the 17th and 21st century
    Calmus Ensemble
    Label: Carus / LC 03989
    Bestell-Nr.: Carus 83.366

    Die Geschichte klingt so mysteriös, sie könnte glatt aus einem Roman von Dan Brown stammen - "Illuminati" oder "Sakrileg". Im Jahr 1616 beauftragt der Steuerbeamte und Hobby-Theologe Burckhard Großmann aus Jena 16 mitteldeutsche Komponisten mit ein und derselben Aufgabe: Sie sollen Psalm 116 vertonen. Man muss nicht Dan Brown gelesen haben, um bei dieser auffälligen Zahlenspielerei hellhörig zu werden. Allein sie liefert schon reichlich Material für Verschwörungstheoretiker, die hier irgendwelche versteckten Geheimbotschaften wittern. Hinzu kommt die ungeklärte Frage:

    Warum hat Burckhard Großmann diese aufwendige Gemeinschaftsproduktion mit Komponisten wie Heinrich Schütz oder Michael Praetorius überhaupt in Angriff genommen? "Mythos 116" ist daher ein sehr passender Titel für die neue CD des Calmus-Vokal-Ensembles aus Leipzig. Sie erzählt von Großmanns geheimnisvollem Musikprojekt und setzt es mit zwei neuen Vertonungen des 116. Psalms in der Gegenwart fort. Zufall oder nicht, genau 16 Tracks hat diese CD, die gerade beim Label Carus erschienen ist.

    Musik 1
    aus: "Das ist mir lieb" - Psalm 116
    K: Nicolaus Erich
    CD Tr. 5

    Das Calmus-Ensemble war das mit dem Beginn des 116. Psalms in der Vertonung von Nikolaus Erich. Der einstige Kantor der Jenaer Stadtkirche lieferte die finale 16. Komposition für Burckhard Großmanns musikalisches Gemeinschaftsprojekt. 1623 erscheint es als gedruckte Ausgabe und im Vorwort äußert sich der Initiator zu seinen Beweggründen so:

    " ... als hab ich wegen einer sonderbaren großen Wohlthat und wunderlichen Errettung Gottes, so er mir im Jahr 1616 recht nach dem 116. Psalm Davids aus väterlicher Gnade, Güte und Barmherzigkeit erwiesen, eben mit, und aus diesem 116. Psalm, und neben euch Herren Musicis allen sechzehn, ... seiner göttlichen Allmacht Danckopfern und in den Höfen am Hause des Herrn für alle seinem Volk, meine Gelübde bezahlen wollen und sollen."

    Es bleibt letztlich unklar wofür genau sich Burckhard Großmann bedanken will. Gut nachvollziehbar dagegen die Wahl des Textes für sein musikalisches Großprojekt. Denn Psalm 116 erzählt von einem Menschen, der sich in Not befindet, Gott um Hilfe anfleht, gerettet wird und dafür große Dankbarkeit nicht nur empfindet, sondern auch in Wort und Tat zeigen möchte.

    Rund vier Jahrhunderte später begibt sich das Calmus-Ensemble auf Großmanns Spuren und beauftragt, diesmal etwas bescheidener, zwei zeitgenössische mitteldeutsche Komponisten damit Psalm 116 zu vertonen, darunter Steffen Schleiermacher. Im Booklet der CD gibt er freimütig zu, noch nie etwas von der Geschichte um Großmann gehört zu haben, als das Calmus-Ensemble an ihn herantrat. Und dennoch kam der Kompositionsauftrag für Schleiermacher in einer Lebensphase, die an Burckhard Großmanns Situation von 1616 erinnert:

    "Ich hatte gerade einen Hörsturz überstanden und laborierte an einem Tinnitus herum, der im Abklingen war. So traf mich der 116. Psalm auch in einem Moment der Dankbarkeit und der Rückkehr zur Seelenruhe. Aus diesem Grund habe ich den Psalmtext etwas umgestellt. Wie ein Refrain erklingt - von jeder Stimme im Verlauf des Stückes einmal psalmodiert und von den anderen mit sphärischen Akkorden unterlegt - die Beschwörung der Seelenruhe: convertere anima mea in requiem tuam."

    Musik 2
    aus: "Convertere anima mea in requiem tuam" (Psalm 116)
    K: Steffen Schleiermacher
    CD Tr. 9

    "Mythos 116", die jetzt beim Label Carus herausgekommene CD des Calmus-Ensembles überzeugt neben hoher interpretatorischer Qualität vor allem durch ein durchdachtes Programmkonzept.
    Wichtiges Detail dabei: Die vier Männer- und eine Frauenstimme lassen 17. und 21. Jahrhundert musikalisch nie direkt aufeinanderprallen. Das Calmus-Ensemble wählt jeweils einen reizvollen Umweg. Und zwar mit kurzen Abschnitten aus der einstimmigen gregorianischen Fassung des 116. Psalms. Diese schlichten Gregorianik-Intermezzi bieten dem Hörer eine Art akustischen Ruheraum, in dem die Ohren immer wieder neu eingenordet und für Kommendes geschärft werden.

    Musik 3
    "Dilexi quoniam exaudies Domine" (Psalm 116, v. 1-5)
    K: Gregorianik
    CD Tr.2
    aus: "And why?" (Psalm 116)
    K: Bernd Franke
    CD Tr. 3

    "And why?"- und warum - So nennt der Komponist Bernd Franke seine Version des 116. Psalms. Er arbeitet darin mit dem geplanten Zufall. Etwa wenn es darum geht, musikalische Motive zu wiederholen. Über die genaue rhythmische Abfolge dieser Wiederholungen entscheiden die Interpreten spontan im Moment der Aufführung. Außerdem sollen sie sich während des Singens frei im Raum bewegen, was bei jeder Darbietung automatisch zu einem neuen Klangergebnis führt. Es ist die hörbare Lust am musikalischen Experiment, die diese neue CD des Calmus-Ensembles kennzeichnet.

    Doch ein solches Experiment kann letztlich nur gelingen, wenn die musikalische Qualität stimmt. Hier setzt das Gesangsquintett aus Leipzig erneut Maßstäbe und untermauert eindrucksvoll seine Stellung als eines der führenden jungen deutschen Vokalensembles. Neben der technischen Perfektion überzeugt vor allem der ungeheure Farbenreichtum, die Wandlungsfähigkeit und Stilsicherheit, mit der das Calmus-Ensemble neue und alte Musik interpretiert. Wie hier beim 116. Psalm von Heinrich Schütz.

    Musik 4
    aus: "Das ist mir lieb" - Psalm 116
    K: Heinrich Schütz
    CD Tr 15/16

    Der 116. Psalm in alter und neuer Vokalmusik, herausragend gesungen vom Calmus-Ensemble und jetzt erschienen beim Label Carus auf der CD "Mythos 116". Das war die neue Platte hier im Deutschlandfunk. Am Mikrofon bedankt sich für Ihr Interesse: Jochen Hubmacher.