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Gehhilfe mit Weitblick

Technik. - Nach einem Schlaganfall oder längerer Bettlägerigkeit müssen die Betroffenen ihre Muskeln wieder trainieren und lernen, sie richtig zu bewegen. Bei der Rehabilitation helfen so genannte Orthesen, die keinen Körperteil ersetzen, sondern ihn bei seiner Bewegung unterstützen.

Von Michael Fuhs |
    Christian Fleischer sieht in seiner Montur aus, als sei er gerade der Kinoleinwand entsprungen, auf der der neuste Science-fiction-Film gezeigt wird. Um den Bauch hat er einen handbreiten Gürtel mit drei Elektronikplatinen. Davon gehen zahllose Kabel zu seinen Oberschenkeln und Füßen. Um das linke Bein liegen halboffene milchfarbene Plastikschalen, am Knie ein Scharnier, das mit einem Motor gebeugt und gestreckt werden kann. Das Ziel des Ingenieurs vom Institut für Technische Informatik und Mikroelektronik der Technischen Universität Berlin ist es aber nicht, eine neue Rüstung für einen Krieg mit Außerirdischen zu entwickeln. Er baut an einer so genannten Orthese. Damit will er Menschen unterstützen, die eines ihrer Beine nicht mehr richtig bewegen können.

    "Es gibt Patienten, die dazu nicht mehr in der Lage sind, allerdings noch restliche Muskelaktivität zur Verfügung haben. Das heißt, sie könnten theoretisch das Knie bewegen, aber die Muskelkraft reicht eben nicht aus, um die tatsächliche Bewegung durchzuführen. Und die Bewegung wollen wir dann von der Kraft her unterstützen, so dass dann etwa Treppensteigen oder Aufstehen vom Stuhl dann doch möglich ist."

    Damit könnten dann Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben oder lange bettlägerig waren, ihre Muskeln und Nerven trainieren, bis sie vielleicht wieder von alleine laufen können. Der Clou der Gehhilfe aus Berlin ist, dass der Motor am Kniegelenk die Bewegung vollführt, die der Patient gerade vorhat, so dass er sich damit quasi normal bewegen kann. Sozusagen ein hellsehendes Außenskelett. Noch ist Christian Fleischer dafür seine eigene Versuchsperson. Will er beispielsweise den Unterschenkel am Bein, an dem die Orthese sitzt, einen Schritt nach vorne setzen, gibt sein Gehirn elektrische Nervenimpulse an den rechten Oberschenkelmuskel, damit er sich anspannt und das Knie streckt. Diese Impulse fangen Sensoren ab, die in der Orthese auf seiner Haut liegen.

    "Die entstehen dann, wenn ich einen Muskel anspanne und werden stärker, je stärker ich den Muskel anspanne. Das sind ganz normale Spannungen, die ich messen kann, die werden dem Computer mitgeteilt und ein Modell im Computer errechnet daraus Muskelkräfte."

    Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Denn wenn der Oberschenkelmuskel angespannt wird, führt das je nach dem, ob der Mensch gerade steht, sitzt oder liegt zu einer anderen Kniebewegung. Deshalb messen weitere Sensoren die Muskelaktivität am anderen Bein. An den Füßen messen Druckfühler den Bodenkontakt. Aus all diesen Informationen simuliert der Computer, wie der Körper vermutlich bewegt werden soll. So wie sich das Knie in diesem Körpermodell beugt und streckt, wird dann das Kniegelenk der Orthese angesteuert. Noch entspricht das nicht immer der Bewegung, die die Versuchsperson wirklich vorhat. Daran muss Christian Fleischer noch feilen, bevor er die Orthese am Patienten testen kann. Solche Trainingshilfen gibt es aber nicht nur für Beine. In der gleichen Arbeitsgruppe an der Technischen Universität Berlin entwickelt Andreas Wege Orthesen für Finger.

    "Es ist hauptsächlich dazu angedacht für die Rehabilitation von Patienten, die Handverletzungen hatten, Schlaganfälle oder auch Nervenverletzungen und ihre Finger nicht mehr selbst bewegen können. Momentan wird solchen Patienten durch Physiotherapeuten geholfen. Damit die Finger nicht versteifen, die einzelnen Fingergelenke, muss eine Mobilisation durchgeführt werden. Mit so einem Hand-Exoskelett könnte man sich vorstellen, dass man einen Physiotherapeuten mehrere Patienten gleichzeitig betreuen lässt."

    Die Finger werden mit einem Handschuh geführt, an dem ein Stahlgestänge angebracht ist, mit Scharnieren dort, wo die Fingergelenke sitzen. Sie werden von Motoren angetrieben und nach einem vorher festgelegten Trainingsprogramm bewegt. Das Besondere ist, dass Andreas Weges Handorthese nicht nur ein Fingergelenk, sondern alle vier möglichen Bewegungen der drei Gelenke eines Fingers gleichzeitig trainieren kann. Im Gegensatz zu ihrem Pendant am Bein, wird diese Orthese allerdings nie hellsehen können. Denn die Nervenimpulse der vielen verschiedenen Fingermuskeln lassen sich kaum einzeln erfassen.