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Gehirn im Takt

Medizin. - Herzschrittmacher, die zu einem gleichmäßigen Schlagrhythmus verhelfen, gehören zum medizinischen Alltag. Doch auch Nervenzellen können aus dem Tritt geraten und dann für Chaos sorgen - so etwa bei Parkinson. Wie die preisgekrönte Studie eines Kölner Neurologen beweist, kann auch hier ein Schrittmacher nachhelfen.

Von Kristin Raabe |
    Für den vierzehnjährigen Jungen war die Universitätsklinik Köln die letzte Hoffnung. Er litt unter der so genannten "Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation - NBIA", einer Erkrankung, bei der sich im Bewegungszentrum des Gehirns Eisen ablagert. Dadurch werden dort immer mehr Nervenzellen zerstört und die verbliebenen Hirnzellen feuern völlig unkontrolliert, was zu extremen Muskelverspannungen führt. Seit drei Jahren saß der Junge nun schon in einem Spezialrollstuhl, denn seine Muskeln waren so verkrampft, dass er nicht mehr normal sitzen konnte. Seine Hände konnten weder Stift noch Tasse halten.

    "Er war nicht in der Lage, obwohl er hoch motiviert war, irgendwelche feinmotorischen Tätigkeiten zu machen, die es zum Beispiel ihm ermöglichen, seinen Rollstuhl über so einen kleinen Fahr-Joystick zu bewegen."

    Der Neurologe Lars Timmermann sollte entscheiden, ob eine relativ junge Therapieform seinem Patienten helfen würde: Die so genannte tiefe Hirnstimulation, bei der Neurochirurgen winzige Elektroden in Hirnbereiche schieben, die sehr tief liegen, unterhalb der gefurchten Großhirnrinde, die alle anderen Hirnteile wie ein Mantel umgibt. Die Nervenzellen, die für die schmerzhaften Muskelverspannungen verantwortlichen sind, liegen im so genannten Striatum. Die Impulse der Elektroden sollen die unkoordinierte Aktivität dieser Nervenzellen blockieren. Mit dieser Methode haben Ärzte bei Parkinsonpatienten große Erfolge erzielt, ob sie allerdings auch bei dem jungen NBIA-Patienten helfen würde, war fraglich.

    "Wir haben uns das Ganze sehr sorgfältig angeschaut und versucht abzuschätzen, ob es möglich ist, mit so einer schweren Behinderung, ihn durch eine Operation zu bessern. Das war letztlich die Motivation für die Studie, wir haben festgestellt, dass es dazu keine Daten gab, wir haben schlichtweg den Eltern keine vernünftige Antwort geben können zu der Frage: "Was passiert denn mit meinem Sohn, wenn sie operieren?" Und wir haben dann rumgefragt und gehört, dass schon der ein oder andere einen Patienten mit solch einer Erkrankung gesehen und auch operiert hat."

    Beim Einsetzen der Elektroden in das Gehirn der Patienten kann es bei etwa einem Prozent der Fälle zu lebensbedrohlichen Hirnblutungen kommen. Lars Timmermann musste also herausfinden, ob der Eingriff bei seinem NBIA-Patienten dieses Risiko wert war. In Deutschland leben aber höchstens 100 Menschen mit der extrem seltenen genetisch bedingten NBIA. Eine ausreichende Anzahl von Patienten für eine klinische Studie zusammenzubekommen, ist also nur möglich, wenn weltweit alle Zentren, die die tiefe Hirnstimulation durchführen, kooperieren. Also wandte der Kölner Neurologe sich an diese Zentren und sammelte alle verfügbaren Informationen über die Behandlung von NBIA-Patienten mit der tiefen Hirnstimulation. Die Auswertung dieser Daten ist noch nicht ganz abgeschlossen.

    "Es ist so, dass wir schon abschätzen können: erstens, dass diese Therapie bei Patienten mit NBIA effektiv ist. Das ist insofern eine sehr gute und wichtige Nachricht, als dass wir über viele Jahre davon ausgegangen sind, dass die so genannten sekundären Dystonien überhaupt nicht auf die tiefe Hirnstimulation antworten. Die nächste Information, die wir bekommen haben: dass viele Patienten mit einer relativ schwer ausgeprägten Dystonie doch sehr gut von der Behandlung profitieren. Das war auch ein Grund, warum viele Patienten in der Vergangenheit möglicherweise gar nicht operiert worden sind und wir haben gesehen, dass Patienten, die ein vorangeschrittenes Alter haben, durchaus auch in der Lage sind, sehr sehr gut zu profitieren."

    Auch bei dem 14jährigen Jungen hat sich die tiefe Hirnstimulation bewährt.

    "Für den kleinen Jungen hat das Ganze dramatische Folgen gehabt, insbesondere die Verbesserung der Handmotorik, dass er wesentlich besser war, wieder Dinge des Alltags, wie Trinken, Essen, sein Fleisch schneiden, aber auch wieder Keyboard spielen, mit dem Computer zu kommunizieren oder auch mit Freunden ins Kino zu gehen."

    Leider waren die Knochen des Jungen durch die jahrelang andauernde Verkrampfung seiner Muskulatur schon so schwer geschädigt, dass er das Laufen nicht wieder erlernen konnte. Um solche Folgeschäden der NBIA bei anderen Patienten abzuwenden, überlegt Lars Timmermann nun, ob es nicht sinnvoll wäre, sie möglichst frühzeitig mit der tiefen Hirnstimulation zu behandeln.