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Gehirne unter Kontrolle

Biologie.- Einmal im Jahr wählt das Wissenschaftsmagazin "Nature" die "Methode des Jahres". Diesmal fiel die Wahl auf die Optogenetik. Mit dieser molekulargenetischen Methode ist es möglich, nur mit Lichtstrahlen Versuchstiere gewissermaßen fernzusteuern.

Von Michael Lange | 20.12.2010
    Alexander Gottschalk, Neurobiologe an der Universität Frankfurt, kann seine Versuchstiere mit Licht dirigieren. Dabei verwendet er das Verfahren der Optogenetik.

    "Optogenetik versucht, wie der Name sagt, mithilfe von Licht, also über optische Methoden, einzelne Nervenzellen zugänglich zu machen."

    Das Versuchstier von Alexander Gottschalk ist der Fadenwurm C. Elegans. Er ist nicht größer als ein Komma in einer Zeitung und bewegt sich mit schlängelnden Bewegungen durch einen Wassertropfen unter dem Mikroskop.

    "Dieser Wurm ist sehr einfach aufgebaut. Der ganze Körper besteht aus weniger als 1000 Zellen, so dass einzelne Zellen hier teilweise die Funktion ganzer Organe übernehmen. Und von diesen 1000 Zellen sind 302, und zwar ganz genau 302, Nervenzellen."

    Mithilfe der Optogenetik gelingt es nun, einzelne Nervenzellen gezielt an- und auszuschalten. Ein Lichtblitz in einer bestimmten Farbe reicht dazu aus, wie Alexander Gottschalk mit einer optogenetischen Versuchsapparatur demonstrieren kann.

    "Wenn ich jetzt dieses Tier in Flüssigkeit gebe, wie man hier sieht unter dem Mikroskop, dann führt es ziemlich schnelle Schwimmbewegungen aus. Und jetzt schalte ich hier über das Mikroskop Gelblicht dazu. Wenn ich das jetzt anschalte, sieht man, dass der Wurm sofort aufhört, sich zu bewegen, und wenn ich es abschalte, geht die Bewegung sofort wieder weiter."

    Möglich wird diese Form von Fernsteuerung durch genetische Manipulation. Der Forscher hat Gene aus Bakterien oder einfachen Algen in das Erbgut von Nervenzellen eingeschleust. Die fremden Gene sorgen dafür, dass in der Hülle der Nervenzellen, in der Zellmembran, eine Art Lichtsensor eingerichtet wird. Wie er funktioniert, haben Wissenschaftler bereits vor knapp zehn Jahren herausgefunden.

    "Der Farbstoff, der die Lichtempfindlichkeit macht, ist Retinal. Das ist der gleiche Farbstoff, den Menschen auch in ihren Augen haben."

    Ernst Bamberg vom Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt hatte gemeinsam mit seinen Kollegen Georg Nagel und Peter Hegemann Algen der Art Chlamydomonas erforscht. Sie entdeckten, wie der Algenfarbstoff den Fluss elektrisch geladener Teilchen, sogenannter Ionen, durch die Zellmembran kontrolliert. Verantwortlich dafür ist das sogenannte Kanal-Rhodopsin, eine Röhre aus Eiweiß. Sie ermöglicht es den elektrisch geladenen Ionen durch eine Membran zu gelangen.

    Die Verbindung von Farbstoff und Kanal-Eiweiß sorgt dafür, dass ein Lichtsignal zu einem elektrischen Signal wird. Und solche elektrischen Signale fließen durch Nerven und Gehirne von Tier und Mensch. Die "Optogenetik" ermöglicht es so den Wissenschaftlern, Nerven und Gehirne mit Lichtsignalen wie mit einem Schalter von außen zu steuern, erklärt Optogenetik-Pionier Ernst Bamberg.

    "An irgendeiner Stelle der Nervenzelle kann ich jetzt hingehen und sagen: An dieser Stelle möchte ich jetzt ein Signal auslösen und dann kann ich verfolgen, wie es weiter geht in der Zelle selbst. Und andererseits kann ich selektiv eine bestimmten Gruppe von Nervenzellen zum Beispiel im Gehirn einer Maus anregen und dann schauen: Welche Reaktion wird ausgelöst?"

    Während die Nerven von Fadenwürmern offen liegen und für Licht zugänglich sind, liegt die biologische Schaltzentrale von Mäusen und Menschen im Dunkeln unter der Schädeldecke. Nur durch Glasfaserkabel gelang es Forschern in den USA und Deutschland, Lichtsignale auch in das Mäusegehirn zu bringen, und Mäuse mit Licht fernzusteuern. So ließen sie mit einem blauen Lichtblitz Mäuse auf Kommando im Kreis herumlaufen. Bei Menschen wurde die Optogenetik noch nicht ausprobiert.