Was passiert im lernenden Gehirn? Nervenzellen übernehmen neue Funktionen, bilden Verknüpfungen. Das weiß man schon lange. Strittig war unter den Forschern dagegen, ob nicht auch neue Nerven wachsen. Frischen Wind in diese Diskussion brachte in jüngster Zeit die Stammzellenforschung, die zumindest bei Tieren nachweisen konnte, dass neue Hirnstammzellen in bestimmte Regionen einwandern, wenn sie dort gebraucht werden. Der Neurologe Arne May von der Universität Regensburg ging noch einen Schritt weiter. Er fragte: Was passiert mit dem gesunden menschlichen Gehirn, wenn es eine neue Aufgabe übernehmen muss:
Also wollten wir, dass die Leute das lernen, und das Ideale wäre, sie lernen etwas, was jeder lernen kann und was man nicht wieder vergisst. Ideal wäre Fahrradfahren gewesen. Da jeder von uns Fahrradfahren kann, sind wir auf das nächst mögliche gekommen und das war Jonglieren.
Der Assistenzarzt Tobias Schmidt-Wilke jongliert bis zu sechs Gummibälle über den Teppichboden im Büro der Regensburger Neurologie. Ganz so weit mussten es die Krankenpflegeschüler, Arne Mays Testpersonen, nicht bringen. In sein Experiment schloss er die 12 ein, die innerhalb von drei Monaten lernten, drei Bälle mindestens 60 Sekunden in der Luft zu halten. Vorher und hinterher machte er Kernspin-Schichtaufnahmen ihrer Gehirne. Und tatsächlich. Die Hirnanatomie hatte sich beim Lernen leicht verändert. Interessanter Weise aber nicht in den Regionen, die für fein abgestimmte motorische Bewegungen zuständig sind, sondern in Regionen, die uns beim Sehen helfen. Arne May:
Wenn Sie mich vorher gefragt hätten, und jeder andere hätte gesagt: Wenn man etwas sehen sollte, dann in motorischen Zentren, Planungszentren, Kleinhirn. Da muss es passieren. Hätte ich auch gesagt. Ich war völlig überrascht, dass man da nichts sieht. Und man sieht da überhaupt nichts, auch wenn man mit der Sensitivität herunter geht. Man sieht es ausschließlich im visuellen Kortex und dort auch nur in den Gebieten, halt V5 und dieser intraparietale Sulkus, also Gebiete, die für das Bewegungssehen zuständig sind. Und das eine Gebiet sagt: Wo im dreidimensionalen Raum bewegt sich ein Objekt wohin. Und die zweite Region sagt, ob in einem bestimmten Raum ein Objekt schon mal aufgetaucht ist. Ja oder Nein. Und das macht Sinn, denn die Bewegung an sich ist ja nicht so besonders. Das Besondere ist, abzuschätzen, wann der Ball wohin fliegen wird.
Das ist es also, was die Krankenpflegeschüler bei ihrer dreimonatigen Übung trainiert haben, ihre Fähigkeit zum Bewegungssehen. Die graue Substanz in den entsprechenden Gehirngebieten, also der Ort, wo die Nervenzellkörper liegen, weitete sich Arne May zufolge aus:
Das ist eine Kombination aus einer Vergrößerung dieses Gebietes, aber auch einer Dichteveränderung, das heißt es ist dort grauer geworden, es sind dort definitiv mehr Zellen oder mehr Verbindungen.
Der Regensburger Neurologe konnte sogar eine Korrelation sehen zwischen der Jonglierleistung und den anatomischen Veränderungen im Gehirn. Je länger eine Testperson die Bälle nach den drei Übungsmonaten in der Luft halten konnte, desto ausgeprägter hatte sich die graue Substanz in den entsprechenden Gehirngebieten ausgeweitet. May:
Als wir dieses Ergebnis hatten, waren wir ganz aufgeregt. Wir wollten wissen, ob das stimmt. Wir haben allen gesagt, sie sollen jetzt nicht mehr trainieren und die haben dann halt drei Monate nicht mehr trainiert. Wie beim Fahrradfahren ist es so, dass man das prinzipiell noch kann, aber die Bälle fallen wieder runter. Das heißt die Leute konnten das - haben wir auch kontrolliert - nicht mehr 60 Sekunden durchjonglieren. Und tatsächlich sehen wir, dass das Gebiet wieder an grauer Substanz verliert. Und das heißt, das fehlende ständige Training sorgt dafür, dass da wieder weniger graue Substanz ist. Das geht nicht auf den Nullpunkt zurück, aber es nimmt ab.
Den Regensburger Forschern stehen nun noch allerhand Anschlussexperimente ins Haus. Ihre Testpersonen waren jung, Anfang 20. Verändert sich das Hirn älterer Menschen noch genauso? Und worin besteht die Veränderung genau? Sind da beim Lernen neue Zellen gebildet worden, sind Stammzellen von außen in die Region eingewandert? Oder besteht die Veränderung doch in erster Linie in einer besseren Vernetzung der bestehenden Zellen? Arne May ist sich sicher, dass seine Beobachtung nicht nur aufs Jonglieren und auf das Training von Bewegungssehen zutrifft, sondern dass auch ein Jehudi Menuhin sein Gehirn beim stundenlangen Geige Üben formte:
Lernen von Jonglieren war nur ein Vehikel. Was ist, wenn wir Italienisch lernen? Was ist, wenn wir kochen lernen? Was ist, wenn wir tanzen lernen - alles mögliche. Wird ein Musiker ein anderes Gehirn haben als jemand anderes. Und ich glaube, dass wenn man wahnsinnig viel trainiert, man diese Areale wahrscheinlich ausbaut. Jehudi Menuhin wird also doch ein bisschen anderes Gehirn haben als jemand anderer. Das kann jeder erreichen bis zu einem gewissen Punkt. Training ist wichtig und das Gehirn reagiert auf dieses Training.
Allerdings, auch das betont der Neurologe Arne May. Das Training geht sicherlich auf Kosten anderer Fähigkeiten. Insgesamt wird unser Hirn nicht größer.
Also wollten wir, dass die Leute das lernen, und das Ideale wäre, sie lernen etwas, was jeder lernen kann und was man nicht wieder vergisst. Ideal wäre Fahrradfahren gewesen. Da jeder von uns Fahrradfahren kann, sind wir auf das nächst mögliche gekommen und das war Jonglieren.
Der Assistenzarzt Tobias Schmidt-Wilke jongliert bis zu sechs Gummibälle über den Teppichboden im Büro der Regensburger Neurologie. Ganz so weit mussten es die Krankenpflegeschüler, Arne Mays Testpersonen, nicht bringen. In sein Experiment schloss er die 12 ein, die innerhalb von drei Monaten lernten, drei Bälle mindestens 60 Sekunden in der Luft zu halten. Vorher und hinterher machte er Kernspin-Schichtaufnahmen ihrer Gehirne. Und tatsächlich. Die Hirnanatomie hatte sich beim Lernen leicht verändert. Interessanter Weise aber nicht in den Regionen, die für fein abgestimmte motorische Bewegungen zuständig sind, sondern in Regionen, die uns beim Sehen helfen. Arne May:
Wenn Sie mich vorher gefragt hätten, und jeder andere hätte gesagt: Wenn man etwas sehen sollte, dann in motorischen Zentren, Planungszentren, Kleinhirn. Da muss es passieren. Hätte ich auch gesagt. Ich war völlig überrascht, dass man da nichts sieht. Und man sieht da überhaupt nichts, auch wenn man mit der Sensitivität herunter geht. Man sieht es ausschließlich im visuellen Kortex und dort auch nur in den Gebieten, halt V5 und dieser intraparietale Sulkus, also Gebiete, die für das Bewegungssehen zuständig sind. Und das eine Gebiet sagt: Wo im dreidimensionalen Raum bewegt sich ein Objekt wohin. Und die zweite Region sagt, ob in einem bestimmten Raum ein Objekt schon mal aufgetaucht ist. Ja oder Nein. Und das macht Sinn, denn die Bewegung an sich ist ja nicht so besonders. Das Besondere ist, abzuschätzen, wann der Ball wohin fliegen wird.
Das ist es also, was die Krankenpflegeschüler bei ihrer dreimonatigen Übung trainiert haben, ihre Fähigkeit zum Bewegungssehen. Die graue Substanz in den entsprechenden Gehirngebieten, also der Ort, wo die Nervenzellkörper liegen, weitete sich Arne May zufolge aus:
Das ist eine Kombination aus einer Vergrößerung dieses Gebietes, aber auch einer Dichteveränderung, das heißt es ist dort grauer geworden, es sind dort definitiv mehr Zellen oder mehr Verbindungen.
Der Regensburger Neurologe konnte sogar eine Korrelation sehen zwischen der Jonglierleistung und den anatomischen Veränderungen im Gehirn. Je länger eine Testperson die Bälle nach den drei Übungsmonaten in der Luft halten konnte, desto ausgeprägter hatte sich die graue Substanz in den entsprechenden Gehirngebieten ausgeweitet. May:
Als wir dieses Ergebnis hatten, waren wir ganz aufgeregt. Wir wollten wissen, ob das stimmt. Wir haben allen gesagt, sie sollen jetzt nicht mehr trainieren und die haben dann halt drei Monate nicht mehr trainiert. Wie beim Fahrradfahren ist es so, dass man das prinzipiell noch kann, aber die Bälle fallen wieder runter. Das heißt die Leute konnten das - haben wir auch kontrolliert - nicht mehr 60 Sekunden durchjonglieren. Und tatsächlich sehen wir, dass das Gebiet wieder an grauer Substanz verliert. Und das heißt, das fehlende ständige Training sorgt dafür, dass da wieder weniger graue Substanz ist. Das geht nicht auf den Nullpunkt zurück, aber es nimmt ab.
Den Regensburger Forschern stehen nun noch allerhand Anschlussexperimente ins Haus. Ihre Testpersonen waren jung, Anfang 20. Verändert sich das Hirn älterer Menschen noch genauso? Und worin besteht die Veränderung genau? Sind da beim Lernen neue Zellen gebildet worden, sind Stammzellen von außen in die Region eingewandert? Oder besteht die Veränderung doch in erster Linie in einer besseren Vernetzung der bestehenden Zellen? Arne May ist sich sicher, dass seine Beobachtung nicht nur aufs Jonglieren und auf das Training von Bewegungssehen zutrifft, sondern dass auch ein Jehudi Menuhin sein Gehirn beim stundenlangen Geige Üben formte:
Lernen von Jonglieren war nur ein Vehikel. Was ist, wenn wir Italienisch lernen? Was ist, wenn wir kochen lernen? Was ist, wenn wir tanzen lernen - alles mögliche. Wird ein Musiker ein anderes Gehirn haben als jemand anderes. Und ich glaube, dass wenn man wahnsinnig viel trainiert, man diese Areale wahrscheinlich ausbaut. Jehudi Menuhin wird also doch ein bisschen anderes Gehirn haben als jemand anderer. Das kann jeder erreichen bis zu einem gewissen Punkt. Training ist wichtig und das Gehirn reagiert auf dieses Training.
Allerdings, auch das betont der Neurologe Arne May. Das Training geht sicherlich auf Kosten anderer Fähigkeiten. Insgesamt wird unser Hirn nicht größer.