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Geht es auch ohne Erziehungscamps?

Im Kampf gegen Jugendgewalt und -kriminalität geht die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen keine ausgesprochen neuen Wege. Richtig ist aber: Bestehende Jugendprojekte wie die "Gelbe Karte" oder das Kölner Projekt "Ambulante Intensive Betreuung" werden auf ihre Wirksamkeit überprüft, gegebenenfalls weiterentwickelt und miteinander vernetzt.

Von Christine Heuer und Christian Rabhansl | 24.04.2008
    "Ich mag den Begriff Erziehungscamp inzwischen nicht mehr hören. Mir ist es völlig egal, wie die Einrichtungen heißen."

    Die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter. Und Armin Laschet, Familienminister in NRW:

    "Keiner hat zu keiner Sekunde an amerikanische bootcamps gedacht, wo der Wille der Kinder und Jugendlichen gebrochen wird. Und wenn das Wort Erziehungscamp ein verwirrendes ist, dann würde ich es auch nicht mehr gebrauchen."

    Nachwehen des politischen Streits, der die Republik im hessischen Landtags-Wahlkampf auf Trab hielt. Der CDU-Politiker Roland Koch hatte mit der Forderung nach Erziehungscamps für delinquente Jugendliche punkten wollen.
    Armin Laschet, auch ein Christdemokrat, aber einer, der als liberal gilt, stellte sich zunächst gegen, dann doch hinter Koch. Laschets Glaubwürdigkeit litt, sein Ansehen auch. Doch inzwischen sind Monate vergangen. Es darf wieder um die Sache gehen. In NRW heißt das: um Bedburg-Hau. Dort, auf einem abgelegenen Bauernhof am Niederrhein, ist heute das erste Erziehungscamp des Landes offiziell eröffnet worden.

    Aber ist die Einrichtung denn nun ein Erziehungscamp oder nicht?

    "Nein! Wir sind eine intensiv-pädagogische Einrichtung. Das heißt wir arbeiten nicht mit Drill, wir arbeiten nicht mit Gruppenzwang, wir arbeiten nicht mit Bloßstellung, wir arbeiten nicht mit demütigendem Verhalten. Der Weg geht vielleicht im ersten Moment schneller, weil die Jugendlichen sich aus Angst, aus Demütigung, aus Erniedrigung dem anpassen, was verlangt wird. Aber wenn ein Mensch gedemütigt wird, heruntergemacht wird, und die Instanz, die dieses tut, weg ist, kommt das alte Verhalten umso stärker wieder nach oben. Unser Weg ist langsamer, aber er ist wirkungsvoller."

    Hilde Benninghoff-Giese, Fachbereichsleiterin für Jugend- und Familienhilfen der Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf, leitet das Projekt Bedburg-Hau. Kein Erziehungscamp also, sondern eine sozialtherapeutische Wohngruppe für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren, die durch wiederholtes straffälliges Verhalten aufgefallen sind. So steht es im Flyer über "Haus Ausblick". Der Name ist Programm, "Menschen statt Mauern" das Motto, nach dem in Bedburg-Hau bereits mit einigen Kindern gearbeitet wird, die - gemessen an ihrem Alter - schwere Straftaten verübt haben, aber noch nicht strafmündig sind. Zum Beispiel:

    "Ein dreizehnjähriger Junge, der wiederholt auffällt durch sein Verhalten, der wiederholt bei der Polizei auffällt durch Diebstähle, Raub, Erpressung, das berühmte Abziehen von Mitschülern, das Auflauern, aber auch schon durch Einbrüche. "

    Solche Kinder und Jugendliche werden in Bedburg-Hau nicht weggesperrt. Wer gehen will, darf gehen. Allerdings: Der Weg weg vom Bauernhof ist beschwerlich. Im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn.

    Und deswegen auch liegt die Einrichtung in einer reizarmen Umgebung. Die Wege sind sehr lang. Und manchmal ist es auch so, dass die Jugendlichen dann von der nächsten Möglichkeit aus anrufen und sagen "Holst Du mich wieder ab?", weil der Fußweg zur nächsten Bushaltestelle oder zur nächsten Möglichkeit doch auch nachdenkliche Sequenzen hat.

    Rund um die Uhr werden die Kinder in Haus Ausblick von Fachleuten betreut. Auf acht Jugendliche kommen ebenso viele Pädagogen, außerdem gibt es Therapeuten, Lehrer und Ausbilder. - Ein menschlicher Wall, der die Kinder vor sich selbst schützt und davor, sich weiter auf der schiefen Bahn zu bewegen. Zum Schutz der Jugendlichen gehört auch - wie grundsätzlich in der Jugendhilfe - , dass sie vor der Öffentlichkeit abgeschirmt werden. Bedburg-Hau ist für Journalisten verbotenes Terrain. Unermüdlich wird dort trainiert: ein regelmäßiger Tagesablauf, sinnvolle Freizeit-Gestaltung, Kommunikation. Über-sich-selbst-Nachdenken. Oberster Grundsatz der Erwachsenen dabei: Wir bleiben dran. Wir geben nicht auf. Widerstand sitzen wir aus.

    "Wir diskutieren nicht, wir handeln nicht aus, sondern die Tagesstruktur wird gesetzt. Und Kinder, die vorher keine Grenzen hatten, die keine Struktur haben, reiben sich. Es ist ein sehr konfliktreiches Arbeiten, weil die Kinder natürlich gegen diese Grenzen auch erstmal ankämpfen. Und wir halten sie trotzdem."

    Nach ein, zwei Jahren sollen die Kinder in der Lage sein, ein selbstbestimmtes Leben ohne Kriminalität zu führen. Idee und Konzept der Einrichtung wurden aus Brandenburg nach NRW importiert. Dort betreibt die Lazarus-Gesellschaft - zweiter Träger von Haus Ausblick - seit Jahren Wohngruppen der gleichen Art. Erfolgreich, betont Hilde Benninghoff-Giese. Und freut sich über Teilerfolge, die sie auch in Bedburg-Hau schon nach wenigen Wochen beobachtet.

    "Dass ein Junge, der vorher bei dem kleinsten Widerstand zugeschlagen hat, gedroht hat, verbal massivst gedroht hat, heute in der Lage ist, sich zurückzunehmen und zwar immer noch zu drohen, aber nicht mehr so massiv und auch nicht mehr unbedingt körperlich losgeht. Er schafft es sich zu kontrollieren. Nicht immer, aber immer öfter. Das sind Erfolge."

    "Ich sag mal hat einer einen Kumpel von mir schwerst beleidigt, und der Kumpel von mir ist dann auf den draufgegangen. Ja, und dann wollte der Gegner dem eine reinhauen, und dann hab ich dann noch zugehauen, und dann ist man Mittäter, klar. Ja, und dann kam schon die Polizei."

    Und nahm den 19-jährigen Maik mit. Nicht zum ersten Mal. Schwere Körperverletzung, Drogenhandel und -konsum, Beleidigungen. Seine Mutter hat ihn zu Hause herausgeworfen. Wäre er jünger, wäre Maik ein Kandidat für Haus Ausblick. Aber Maik ist volljährig, also strafmündig. Im Dezember wurde er zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Auf Bewährung - Maik hat also noch eine Chance. Sogar eine ziemlich gute. Denn er ist in das Kölner Jugendhilfe-Projekt AIB aufgenommen worden. Die Abkürzung steht für "Ambulante Intensive Betreuung". Ähnlich wie in Bedburg-Hau setzt man auch in Köln auf viel Personal und eine engmaschige Betreuung. Vier Bewährungshelfer kümmern sich sechs Monate lang um jeweils fünf nach Jugendstrafrecht verurteilte Probanden. Maiks Bewährungshelfer ist der Sozialpädagoge Martin Maurer. Er ist einverstanden, dass wir den 19-Jährigen mehrmals treffen, ihn auf seinem intensiv betreuten Weg begleiten. Im Januar begegnen wir Maik zum ersten Mal. Da versucht Maurer gerade, seinen Schützling in einem Heim unterzubringen. 50 Jugendliche wohnen dort zusammen, alle haben Probleme, aber die wenigsten von ihnen sind straffällig geworden. Das findet Maurer wichtig.

    "Man muss berücksichtigen, dass die jungen Menschen auch andere Lebensstile mitbekommen sollten. Die kann ihnen ein Betreuer anbieten, die können sie in der Schule mitbekommen, und sie müssen ein Stück weit herausfinden welchen Weg sie gehen. Dafür brauche ich auch andere Beispiele."

    Martin Maurer hilft Maik bei fast allem, nahezu rund um die Uhr. Wochenlang weckt er ihn sogar jeden Morgen, damit er in die Schule geht. Der Junge muss seinen Hauptschulabschluss nachholen, das ist Bewährungsauflage. Ebenso eine Drogentherapie.

    "Am Gerichtstag hatte ich es ja direkt gesagt, dass ich es nicht aufhöre, und dass ich ab und zu weiter rauchen werde. Und der Richter meinte eben: Kann dir nur einen Rat geben. Hör es auf, und sobald du erwischt wirst, weißt du ja, wo es als nächstes hingeht. Eben die sechs Monate dann absitzen."

    Die Rundumhilfe in der "Ambulanten Intensiven Betreuung" ist auch eine Rundumkontrolle. Wenn Maik über seine Suchtgewohnheiten spricht, leuchtet ein, warum das wichtig ist. Martin Maurer hält ständig Kontakt - zu Maik, aber auch zu allen, mit denen sein Schützling zu tun hat. Maurer trifft die Lehrer, er telefoniert mit dem Therapeuten und besucht die Mutter. Bei Problemen kann Maik seinen Intensiv-Bewährungshelfer jederzeit auf dem Handy anrufen. - Aber im April stellt sich heraus: Das hat der junge Mann schon lange nicht mehr getan.

    "Die letzten zwei Wochen liefen so, dass ich kontinuierlich versucht habe ihn zu kontaktieren, ich habe Terminvorschläge gemacht, die er überwiegend abgesagt hat, teilweise habe ich dann auch gar nichts von ihm gehört."

    Statt ins Jugendwohnheim ist Maik zu Freunden gezogen. Er geht nicht mehr regelmäßig zur Schule. Und er nimmt weiter Drogen. Das hat der Bewährungshelfer zunächst von Maiks Mutter erfahren. Dann ist der Junge mit Amphetaminen in der Disko erwischt worden. Erneut gab es eine richterliche Anhörung. Und erstmals die Auflage, sich stationär gegen seine Sucht behandeln zu lassen.

    "Dazu hat er sich auch zunächst bereit erklärt, allerdings auch nur im Rahmen der Anhörung, ich denke die Behandlungseinsicht ist bei ihm einfach noch nicht in der Form gegeben. Er hat sich dann auch ganz klar mir gegenüber geäußert, dass er da nicht mitziehen würde, also dass er gegen die Bewährungsauflage ganz klar verstößt."

    In wenigen Tagen wird Maik wieder vor seinem Richter stehen. Diesmal nicht für eine Anhörung, sondern für eine neue Verhandlung. Wenn er bis dahin die stationäre Drogentherapie nicht begonnen hat, wird die Bewährung wahrscheinlich widerrufen. Maik müsste seine Jugendstrafe dann doch absitzen. - Gibt der Bewährungshelfer die Hoffnung auf?

    "Gar nicht. Also Frustration ist hier natürlich Tagesgeschäft, sag ich mal, da muss man eine gewisse Toleranz mitbringen. Ich find es einfach wichtig, trotzdem immer da zu sein, um Ansprechpartner zu sein und Alternativen eröffnen zu können. Die sind da, gerade im Hinblick auf die Suchtproblematik wie es im Fall von Maik ist, würde hier eine Therapieeinleitung relativ schnell stattfinden können, wenn er diese Einsicht für sich irgendwann entwickeln könnte."

    Mit vielen anderen AIB-Probanden läuft es besser als mit Maik, betont Martin Maurer. Seit gut zwei Jahren wird das Konzept nach niederländischem Vorbild in Köln erprobt. Bislang hat über die Hälfte die Bewährungszeit straffrei durchgestanden. Maurer und seine Kollegen sind sicher, dass ohne die Rundumbetreuung viel mehr ihrer Schützlinge rückfällig geworden wären und ins Gefängnis gemusst hätten.

    "Soll man sich nichts vormachen: Es gibt auch sogenannte hoffnungslose Fälle. Ein Jugendlicher, der immer wieder Autos klaut und immer wieder ohne Führerschein fährt, der dafür auch schon im Knast gesessen hat, und der kommt 'raus und fährt wieder."

    Manchmal ist auch Jugendstaatsanwalt Bernd Hogrebe mit seinem Latein am Ende. In Remscheid ist er ein bekannter Mann. Als Staatsanwalt vor Ort ist er einer der wichtigsten Ansprechpartner im Umgang mit jungen Delinquenten. Er kennt seine Pappenheimer, und sie ihn.

    "Der Staatsanwalt vor Ort ist etwas Persönlicheres. Das ist keine anonyme Instanz, sondern man weiß, da ist jemand, der sich sofort und intensiv drum kümmert. Das ist also nicht so ein abstraktes Strafverfolgungsgebilde, da können sich Jugendliche nix drunter vorstellen."

    Damit sie sich etwas unter ihm vorstellen können, besucht Bernd Hogrebe schon mal die Remscheider Schulen und erzählt aus seinem Berufsalltag. Darüber zum Beispiel, wie rasch er sich mit Polizei und Jugendrichtern abzustimmen vermag. In Remscheid folgt die Strafe auf dem Fuße.

    "In einem Fall eines angekündigten Amoklaufs in einer Schule hat es am gleichen Tag eine Hauptverhandlung mit einer Freiheitsstrafe gegeben. So was spricht sich herum, und dann weiß jeder, ab einem gewissen Niveau ist mit uns nicht mehr zu spaßen."

    "Ladendiebstähle, Sachbeschädigung, leichte Körperverletzung, Beleidigung, Ritzelstraftaten - das Mofa frisiert zum Beispiel, das versteht man darunter."

    Es gibt auch harmlosere Vergehen als die Planung eines Amoklaufs. Natalie Westerfeld, Koordinatorin der Arbeitsgruppe Jugendkriminalität beim Polizei-Präsidium Wuppertal, zählt einige auf. Leichtere Straftaten, begangen von jungen Ersttätern zwischen 14 und 20 Jahren, landen in Remscheid nicht gleich bei Gericht, sondern erst einmal bei der "Gelben Karte": Ein Jugendhilfe-Projekt mit Warnschuss-Charakter. Und drei Hauptfiguren: Der Kriminalkommissarin Westerfeld, dem Jugend-Staatsanwalt Hogrebe und einem Jugendgerichtshelfer. Einmal im Monat halten sie bei der Remscheider Polizei einen "Gelbe Karte"-Tag ab. 30 Fälle jugendlicher Delinquenz werden an einem solchen Tag durchschnittlich bearbeitet. Am Ende steht kein richterliches Strafurteil, sondern eine zwischen den Institutionen abgestimmte Auflage.

    "Im Rahmen der Gelben Karte kann ich Arbeitsstunden vergeben, ich kann Geldbußen auferlegen, ich kann Kurse auferlegen, Anti-Aggressionstraining, einen Täter-Opfer-Ausgleich, Beratungsgespräch bei der Drogenberatung - auch eine Institution, die man jetzt besser kennt. Das ist es dann."

    Um junge Kriminalitätseinsteiger frühzeitig abzufangen, bevor sie massiv auf die schiefe Bahn geraten, reichen solche Auflagen meist aus. 2000 Fälle hat die "Gelbe Karte" in Remscheid in den letzten acht Jahren bearbeitet. 90, manche schätzen sogar 95 Prozent der Jugendlichen sind danach nicht mehr auffällig geworden. Dem Remscheider Beispiel sind mittlerweile zwölf weitere Städte in Nordrhein-Westfalen gefolgt. Jugendliche, die zur "Gelben Karte" vorgeladen werden, müssen in Begleitung ihrer Eltern erscheinen.

    "Also, es ist schon ein Angang für die Kids, hier hin zu kommen. Man muss zur Polizei, man muss zum Jugendamt, man muss zum Staatsanwalt, das ist schon 'ne ziemliche Hürde. Und das ist sicherlich auch ein Angang. Und nicht nur für die Kids, sondern auch für die Eltern. Die schämen sich, denen ist das peinlich und unangenehm. Und das ist ein ziemlicher Druck, der auf der Familie in dem Moment dann herrscht."

    Eine Stichprobe vor dem Remscheider Polizeigebäude bestätigt Natalie Westerfelds These. Nacheinander kommen sechs Jungs in Begleitung ihrer Mütter dort an. Alle wirken angespannt. Allen wird das gleiche vorgeworfen.

    "Also, bei der ersten Pause auf dem Schulhof, haben die sich immer so Leute ausgesucht, die dann in die Mülltonne fliegen. Dann haben die sich einen gepackt und den auch in die Mülltonne geworfen, und das wurde dann auch mit dem Handy aufgenommen. Und ich stand dann halt mit anderen Freunden hinten am Tor, und jetzt haben die gesagt, ich wäre auch dabei gewesen.

    Der ist erst 17. Er könnte eine Lehre machen, und wenn er jetzt hier vielleicht verurteilt wird, dass dann die Chance vielleicht nicht mehr besteht, um eine Lehre zu machen."

    "Man sieht das auch, die Eltern, wenn die hier sind, dass die so mitleiden mit ihren Kindern, vorher auch aufgeregt sind, oft schon Gesichtsfarbe haben, die Jugendlichen auch, und dass das eigentlich alles ein gutes Zeichen ist, weil das bedeutet: Das Verfahren löst was in der Familie aus, es passiert was in der Familie. Die haben vorher schlaflose Nächte gehabt, der Jugendliche hatte vorher schlaflose Nächte. Das ist alles schon ein gutes Zeichen, weil dann wird er's nicht nochmal machen, dann hat er sich die Sache durch den Kopf gehen lassen."

    Der Remscheider Jugendgerichtshelfer Marko Plešnik dürfte von diesem 17-jährigen Jungen und seiner Mutter einen guten Eindruck haben. Die Jugendgerichtshilfe ist nach der Polizei die zweite Instanz, mit der jugendliche Delinquenten bei der "Gelben Karte" sprechen müssen.

    "Wir fragen die Jugendlichen zur Tat, welche Einstellung die zur Tat haben, bereuen sie das, was sie gemacht haben? Wir fragen, wie sie zu Hause zurecht kommen, wie's mit der Familie klappt? Wir fragen, wie sie mit der Schule zurecht kommen? Und bei älteren Jugendlichen fragen wir auch, was sie so vorhaben mit ihrem Leben, was machen sie so in ihrer Freizeit? Um uns so ein Bild zu machen."

    Aus diesem Bild und nach Rücksprache mit der Polizei entwickelt der Jugendgerichtshelfer ein Charakterbild des Jugendlichen, mit dem er gesprochen hat, und empfiehlt dem Staatsanwalt eine Auflage. Der hat das letzte Wort,

    "wobei ich dabei auch nicht sehr übermäßig freundlich bin. Ich mache denen schon klar: Das ist jetzt die letzte Chance, und beim nächsten Mal musst Du Dich auf eine Sanktion durch das Gericht einstellen. Das sage ich auch ganz deutlich."

    Klare Ansagen, überschaubare Sanktionen, das alles binnen weniger Stunden und möglichst rasch nach der Tat: Kindern und Jugendlichen hilft das, den Zusammenhang zwischen Vergehen und Strafe zu begreifen, zu akzeptieren und daraus zu lernen. Die an der Mülltonnen-Aktion beteiligten Jungen - alle, auch der, der nur am Rande gestanden und zugeschaut haben will - verpflichtet Bernd Hogrebe zu zwei Wochenenden Reinigungsdienst im örtlichen Schwimmbad. Das sei ja nicht so schlimm, gibt einer von ihnen beim Verlassen des Gebäudes zu. Doch der Schreck sitzt ihm sichtlich in den Knochen. Was ist er gefragt worden?

    "Ob es mir leid tut und ob ich es bereue, so was, und ob ich es wieder machen würde? - Was hast Du geantwortet? - Nein, ich mache es nicht mehr."

    Wenn doch, wird der 15-Jährige vor dem Jugendgericht landen. Wie alle jugendlichen Wiederholungstäter und diejenigen, die bei der Befragung keine Einsicht zeigen. Nach der Gelben gibt es auch in Remscheid die Rote Karte.

    Müller-Piepenkötter: "Die Erscheinungsformen und die Ursachen abweichenden oder kriminellen Verhaltens von Kindern und Jugendlichen sind sehr vielfältig, auch unterschiedliche Grade. Und für alle diese Erscheinungsformen und für die Probleme, die die Kinder und Jugendlichen haben, müssen wir unterschiedliche Angebote, Einrichtungen, Maßnahmen vorhalten."

    Die "Gelbe Karte", das Kölner Projekt "Ambulante Intensive Betreuung", Haus Ausblick in Bedburg-Hau: Drei wichtige Bausteine im Gesamtkonzept der schwarz-gelben Landesregierung gegen Jugendkriminalität. Das Konzept sei neu, sagt Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter. Was nicht ganz stimmt. Denn einige in das Konzept eingebettete Projekte gab es schon unter Rot-Grün. Damals hieß die "Gelbe Karte" in Remscheid bloß Diversionstag. Richtig ist aber: Bestehende Projekte werden auf ihre Wirksamkeit überprüft, gegebenenfalls weiterentwickelt und - wo es sinnvoll erscheint - miteinander vernetzt. Neue Projekte kommen hinzu. Haus Ausblick zum Beispiel. Richtig ist auch: Neuerdings wird das Problem Jugendkriminalität ausdrücklich ressortübergreifend unter die Lupe genommen. Federführend von Armin Laschet, der in Düsseldorf für die Jugend und Roswitha Müller-Piepenkötter, die für die Justiz zuständig ist.

    "Justizminister und Jugendminister müssen hier zusammenarbeiten, man muss da gegenseitige Scheu abbauen. Justiz muss erkennen: Manchmal ist Jugendhilfe auch effektiv, und es ist nicht so eine Weichei-Nummer, die man eigentlich bei Justiz härter packen könnte. Und Jugendhilfe muss erkennen: Manchmal hilft auch nur Justiz am Ende."

    Müller-Piepenkötter: "Ich kann als Justizministerin eigentlich keinen Erfolg haben, wenn nicht bei Kindern im Kindergarten und in der Schule der Grund gelegt wird, dass in der Justiz weniger ankommen. Ich hab' mal gesagt, ich möchte nicht möglichst viele Leute möglichst lange einsperren, ich möchte sie eigentlich überhaupt nicht sehen."