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Geier über Deutschland

Wenn in den vergangenen Wochen in einigen Ländern Europas Geier wieder aufgetaucht sind, in denen sie längst ausgestorben waren, dann ist das nicht etwa ein Zeichen für bessere Lebensbedingungen. Die Vögel verlassen vielmehr aus Nahrungsmangel ihre heimischen Reviere in Spanien und machen sich auf die Suche nach Futter in anderen Regionen.

Von Mechthild Kevenhörster |
    Die Geier hält es nicht mehr in Spanien. 2006 flogen zirka 70 bis 80 Geier nach Deutschland, sogar bis nach Mecklenburg-Vorpommern. Vor ein paar Wochen trafen rund 25 Geier in Baden-Württemberg ein und verschwanden wieder. Jetzt, vor zwei, drei Tagen, flogen 100 Geier in Holland und Belgien ein.

    Spanien war bis vor einigen Jahren ein Geierparadies. Rund 20.000 Brutpaare leben in Spanien, insbesondere wegen der riesigen Schafherden. Doch die imposanten Tiere hungern und suchen nun Nahrung bei uns und in den Nachbarländern, berichtet Markus Nipkow, Vogelschutz-Experte beim NABU-Bundesverband in Bonn

    "Die Geier leiden tatsächlich unter Nahrungsmangel. Der Grund dafür ist, seit BSE ist eine Hygieneverordnung in Kraft getreten, seit 2002, die auch in den südeuropäischen Ländern vorschreibt, Tierkadaver komplett zu beseitigen, also nicht mehr in der Landschaft zu belassen. Das hat dazu geführt, dass die traditionellen Muladares, das sind quasi Schindanger, die wir im Mittelalter auch hier bei uns hier hatten, Muladares sind Sammelplätze für Tierkadaver, also tote Tiere wurden in großer Zahl den Geiern bisher überlassen, das die komplett geschlossen werden mussten."

    Etwa 1000 Muladares wurden geschlossen, zirka 25 sind von Vogelschützern wieder eingerichtet worden. Das reicht jedoch bei weitem nicht aus, um die hungernden Tiere zu versorgen. Auch in Deutschland haben Geier keine Chance zu überleben.

    "Geier sind vollkommen auf Aas angewiesen, sie fressen tote Tiere, die sie finden, das wäre auch der Fall, wenn sie überfahrene Tiere finden. Aber auch da ist es ja so, dass überfahrene Tiere bei uns konsequent aus der Landschaft entfernt werden."

    Die Naturschützer sind alarmiert, denn das Überleben der Geier in Mittel- und Südeuropa ist akut gefährdet. Markus Nipkow ist besorgt um die in Not geratenen Tiere.

    "Geier machen auch natürlicherweise größere Nahrungssuchflüge, aber das, was wir jetzt erleben, ist tatsächlich ganz außergewöhnlich, dass die Vögel hier über 1000 Kilometer nach Norden geflogen sind, hier überwiegend sehr verhungert ankommen, zum Teil in Pflegestationen aufgenommen werden mussten."

    Der NABU arbeitet intensiv zusammen mit Bird-Life-International in Spanien und Portugal, um über die Europäische Kommission Verbesserungen im Geierschutz zu erzielen.

    "Es kann nicht sein, dass eine Hygieneverordnung das Überleben vollkommen unmöglich macht. Die Geier zählen zu den europaweit geschützten Vogelarten, nicht zuletzt durch die EU Vogelschutzrichtlinie. Der NABU fordert eine Überarbeitung dieser EU-Hygieneverordnung möglichst bald, damit die Geier auch eine Chance haben, wieder in ihren natürlichen Brutgebieten auch die Nahrung zu finden, auf die sie angewiesen sind. Wichtig zu wissen ist auch, dass in Spanien beispielsweise kein einziges Schaf mit BSE festgestellt werden konnte, obwohl intensiv Tausende von Tieren untersucht wurden."

    Eine dauerhafte Fütterung der Geier schließt der NABU aus. Wie andere Naturschützer auch plädiert er vielmehr für die Einrichtung geeigneter, großflächiger extensiver Weidelandschaften, in denen verendete Tiere liegen bleiben, wie sie es in Holland bereits gibt trotz der dichten Besiedlung, so Markus Nipkow.

    "Gute Chancen sehe ich als NABU-Vertreter vor allem auf der Schwäbischen Alb, beispielsweise auf dem Truppenübungsplatz Münsingen und Großer Heuberg, da haben wir bereits jetzt viele Schafherden, die dort extensiv weiden. Und dort wäre es ein Leichtes, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die zum Schutz der Geier beitragen könnten."