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Geigenarm und Musikantenknochen

Medizin. - "Deformation professionelle" heißen die Spuren, die das Berufsleben an Körper und Geist hinterlassen kann. Sind davon Berufsmusiker betroffen, kann ihnen bald in Freiburg geholfen werden, denn dort soll eigens ein neues Institut für ihre Berufskrankheiten gegründet werden.

Von Gabor Paal |
    Sehnenscheidenentzündungen, Verspannungen, Haltungsschäden, Stimmprobleme und Hörschäden, das sind die häufigsten Beschwerden, mit denen Berufsmusiker zu kämpfen haben. Denn tägliches Üben von sechs bis acht Stunden hinterlässt seine Spuren. Letztlich, so Roland Laszig, Leiter der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde in Freiburg, geht es Berufsmusikern ähnlich wie Profisportlern.

    "Sie müssen ihre Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt X bringen, ohne wenn und aber, nicht zehn Minuten früher oder später. Das bedarf natürlich einer speziellen Betreuung, so wie es auch bei Hochleistungssportlern der Fall ist. Musiker sind keine Sportler, das will ich damit nicht sagen, aber vom Ansatz, vom Prinzip her ist es sehr ähnlich. Und da wir ein sehr erfolgreiches sportmedizinisches Institut hier in Freiburg haben, kam auch die Idee, in Analogie zu diesem Institut so etwas zu machen. "

    Diese Idee sei aus dem alltäglichen Bedarf entstanden. Immer wieder kommen Musiker mit ihren spezifischen Beschwerden in die Klinik. Als HNO-Arzt hatte Laszig es vor allem mit Sängern und deren Stimmproblemen zu tun.

    "Das können Entzündungen sein, das können vor allen Dingen aber auch Fehlfunktionen sein, die dadurch entstehen, dass sie bei ihrem Training, ihren Übungen bestimmte Techniken sich aneignen, bei denen sie merken, damit geht’s leichter. Das mag sein, dass es "leichter" geht, aber wenn sie das dauerhaft machen, gibt es funktionelle Störungen bei den Stimmbändern, die dann dazu führen, dass sie einen dauerhaften Schaden haben - und das wieder zurückzuführen im Rahmen eines Re-Trainings ist wesentlich aufwändiger als wenn man diesen Sängern von Anfang an gleich richtige Techniken beibringt."

    Prävention soll deshalb ein Schwerpunkt des geplanten Instituts werden. Sowohl in der Lehre, in dem Sinn, dass die Studierenden an der Musikhochschule frühzeitig lernen, wie man richtig übt, wie man sich entspannt, worauf man bei der Haltung zu achten hat. Aber auch in der Forschung, sagt Mirjam Nastasi, Leiterin der Freiburger Musikhochschule. Denn auch in der Prävention von Musikerschäden sei vieles noch nicht erforscht. Zum Beispiel bei den Bläsern, die oft Beschwerden in der Mundpartie haben – Ansatzprobleme.

    "Wir haben schon eine Anfrage von einem Horn-Professor, der gerne mit den zuständigen Leuten in unserem Institut herausfinden will, was beim Hornansatz jetzt das große Problem ist und wie man einen optimalen Ansatz auch hinkriegen kann – durch Forschung. Und das sind so kleine Forschungsprojekte, die bisher überhaupt nicht möglich waren. "
    Nicht zu unterschätzen sind auch neuropsychologische Probleme. Neuronale Dystonie heißt ein Symptom, mit dem Pianisten gelegentlich zu kämpfen haben. Die Finger machen dann nicht mehr das, was sie sollen. Die neurophysiologischen Ursachen dieses Symptoms sind noch nicht richtig geklärt. Dennoch hat die moderne Neuropsychologie bereits einige nützliche Erkenntnisse für Musiker geliefert.

    "Viele Leute denken, wenn sie eine Stelle 300 Mal wiederholen, dann wird sie irgendwann klappen, und so funktioniert das natürlich nicht. Das Gehirn weiß dann nicht mehr, welche von den 300 Versionen es speichern soll. Deswegen sind Übungspausen sehr wichtig. Wenn man eine Stelle in langsamem Tempo richtig gespielt hat und dann aufhört, dann wird die richtige Fassung gespeichert. Das sind alles Erkenntnisse, die den Studenten nahe gebracht werden müssen, bevor sie sich mit Wiederholungen peinigen. "

    Eine der beiden Professuren des künftigen Instituts soll sich insbesondere den psychosomatischen Beschwerden widmen. Vom einfachen Lampenfieber bis hin zu echtem Stress. Denn auch hierin unterscheiden sich Profimusiker wenig von Berufssportlern.

    "Man muss auch wissen, dass es natürlich im Bereich der Musik sehr kompetitiv zugeht, und wenn da einer schwächelt, ist er raus. Und 13 bis 15 Prozent der Berufsmusiker hören vor Erreichen der Altersgrenze mit ihrem Job auf, und das ist natürlich eine bemerkenswert hohe Zahl. "

    Insofern ist es fast schon verwunderlich, dass sich die Musikermedizin als eigenständiges Fach erst jetzt allmählich etabliert, sehr viel später als die Sportmedizin. Das läge unter anderem daran, so Mirjam Nastasi, dass Musiker – die sich ja als Künstler verstehen - ungern über ihre berufsbedingten Symptome sprechen.

    "Das Tabu, das mit diesen Dingen zusammenhängt, ist sehr ausgeprägt. Also das Bewusstsein ist ein bisschen später gekommen, und ich denke, wenn der Tabubereich ein bisschen aufgebrochen wird, kann das nur eine große Hilfe sein für alle."