Samstag, 20. April 2024

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Geigerin Antje Weithaas
Triumph der Natürlichkeit

Mit zwei neuen CDs präsentiert sich Antje Weithaas einmal mehr als Ausnahmekönnerin auf der Geige. Egal ob bei Musik von Chatschaturjan, Brahms oder Schumann, Weithaas überzeugt durch makellose Technik und durchdachte Interpretationen. Eine Virtuosin ohne Allüren, die sich stets in den Dienst der Musik stellt.

Am Mikrofon: Christoph Vratz | 10.11.2019
    Antje Weithaas im Porträt mit ihrer Geige.
    Antje Weithaas hat mit vier Jahren begonnen Geige zu spielen (Marco Borggreve )
    Musik: Aram Chatschaturjan: Violinkonzert d-Moll, 1. Satz: Allegro con fermezza
    "Ich komponierte diese Musik wie auf einer Woge des Glücks und der Freude", schreibt Aram Chatschaturjan rückblickend über die Entstehung seines Violinkonzerts von 1940. "Ich wartete auf die Geburt meines Sohnes. Und dieses Gefühl der Beflügelung, der Lebensfreude ging in die Musik des Violinkonzertes über." Chatschaturjan, armenischer Abstammung, wurde einer der wichtigsten Komponisten der Sowjetunion. Er galt als einer der führenden Vertreter des systemkonformen "sozialistisch-realistischen" Stils. Außerdem war er als Funktionär tätig, u.a. als Vorsitzender der Moskauer Sektion des sowjetischen Komponistenverbands. Das gewährte ihm – etwa im Gegensatz zu Dmitri Schostakowitsch – ein tendenziell ruhigeres Leben. Zumindest vordergründig, denn auch Chatschaturjan sah sich immer wieder Bespitzelungen und Maßregelungen ausgesetzt. Um die Partei milde zu stimmen, waren musikalische Experimente verpönt. Daher setzte auch Chatschaturjan in seinem Violinkonzert auf teilweise eingängige Melodien. Als "Belohnung" erhielt er 1941 den Stalin-Preis.
    Musik: Aram Chatschaturjan: Violinkonzert d-Moll, 1. Satz: Allegro con fermezza
    Das Staatsorchester Rheinische Philharmonie aus Koblenz und Dirigent Daniel Raiskin haben nach Aufnahmen mit Chatschaturjans Klavier- und Cellokonzerten nun eine dritte CD mit dem Violinkonzert vorgelegt. Solistin ist Antje Weithaas. "Sie ist vermutlich der bekannteste Geheimtipp in der klassischen Musik." So wurde Weithaas einmal in einem Porträt-Film bei "arte" angekündigt. Doch nicht nur in der internationalen Kammermusik-Szene weiß man längst, dass sich hinter diesem "Geheimtipp" eine der besten Geigerinnen unserer Zeit verbirgt. Zuletzt hat sie, neben den regelmäßig erscheinenden Produktionen vom Kammermusikfestival "Spannungen", eine Gesamtaufnahme aller Werke für Violine und Orchester von Max Bruch vorgelegt, außerdem die Konzerte von Brahms, Tschaikowsky und Beethoven mit der Camerata Bern, deren künstlerische Leiterin Weithaas bis 2018 war. Jetzt also folgt diese Einspielung mit Aram Chatschaturjan.
    Musik: Aram Chatschaturjan: Violinkonzert d-Moll, 1. Satz: Allegro con fermezza
    Partisanenkampf in der Partitur
    Mit silbrig-leuchtendem Klang und klar fokussierter Tongebung deutet Weithaas dieses von armenischen Volksmusik-Elementen durchsetzte Konzert. Da wird nichts sentimentalisiert, da finden sich keine seichten Übergänge. Das gilt besonders für den langsamen zweiten Satz, für den Chatschaturjan Ausschnitte seiner Musik zum Film "Zangezur" verwendet hat, in dem der Kampf armenischer Partisanen glorreich geschildert wird. Von Schmelz- und Schluchzlauten cineastischer Ergriffenheits-Ästhetik ist jedoch bei Antje Weithaas in diesem Violinkonzert nichts zu spüren. Schnörkellos formt sie die Themen mit einer technischen Makellosigkeit, die staunen macht.
    Musik: Aram Chatschaturjan: Violinkonzert d-Moll, 2. Satz: Andante sostenuto
    Stellenweise spielt Antje Weithaas diesen Satz wie eine große Improvisation, besonders im rhapsodischen Mittelteil. Das Schluss-Rondo ist ein effektgeladener, burlesker Satz. Die Rheinische Philharmonie und Daniel Raiskin scheuen sich nicht, den teils plakativen Charakter entsprechend farbenfroh abzubilden, doch ohne falsche Übertreibung.
    Musik: Aram Chatschaturjan: Violinkonzert d-Moll, 3. Satz: Allegro vivace
    Chatschaturjans Violinkonzert hat immer wieder namhafte Geiger gelockt, angefangen von David Oistrach, dem Widmungsträger dieses Werkes, über Itzhak Perlman bis Julia Fischer und jetzt Antje Weithaas. Selten hat man Chatschaturjans Musik dabei so entschlackt, in den verspielten Passagen so filigran gehört wie hier. Geschleifte Noten, unkontrolliertes Vibrato, schwammige Lagenwechsel? Alles Fehlanzeige.
    Musik: Aram Chatschaturjan: Violinkonzert d-Moll, 3. Satz: Allegro vivace
    Neben den drei Solokonzerten für Klavier, Cello und Geige hat Chatschaturjan auch drei Rhapsodien für diese Instrumente, jeweils mit Orchester, geschrieben. Die Konzert-Rhapsodie für Violine entstand 1961 und deutet Chatschaturjans kompositorische Entwicklung an. Losgelöst von eher starren Formen, komponiert er nun freier und harmonisch an einigen Stellen wagemutiger.
    Musik: Aram Chatschaturjan: Konzert-Rhapsodie für Violine und Orchester
    Antje Weithaas spielt auch das ohne erhobenen Zeigefinger. Frei von zu viel Druck auf dem Bogen, deutet sie diese Musik sehr innig, gesanglich und mitunter mit einer Wehmut, als sei diese Musik aus tiefer Einsamkeit geboren.
    Musik: Aram Chatschaturjan: Konzert-Rhapsodie für Violine und Orchester
    Schroffer Schumann
    Neben dieser Chatschaturjan-Aufnahme hat Antje Weithaas auch eine CD mit dem Violinkonzert von Robert Schumann und dem Doppelkonzert von Johannes Brahms vorgelegt. Diesmal sind ihre Partner die NDR Radiophilharmonie und Andrew Manze. Der Beginn des Schumann-Konzerts ist schroff, stürmisch. Manze beschönigt vom ersten Takt an nichts.
    Musik: Robert Schumann: Violinkonzert d-Moll, 1.Satz: Im kräftigen, nicht zu schnelllen Tempo
    Gleiches gilt auch für die Geige. Wenn Weithaas solistisch einsetzt, greift sie den Gestus der Orchestereinleitung auf. Die Akkorde scheinen aneinander zu reiben und zu knirschen. Der erste Lauf bringt keine Befreiung, sondern leitet nur eine kurze hektische Phase ein, bevor sich endlich ein arioseres Thema entfalten kann. Dessen Charakter vermittelt sich auch wegen des eher sparsamen Vibratos sehr direkt.
    Musik: Robert Schumann: Violinkonzert d-Moll, 1.Satz: Im kräftigen, nicht zu schnelllen Tempo
    Man sollte erst gar nicht mutmaßen, wie viel Zeit Antje Weithaas ins Nachdenken investiert hat, um dieses Maß an Natürlichkeit zu erzeugen. Alles ist da: Nervosität und Klarheit, Beweglichkeit und Transparenz, Spritzigkeit und Raffinement und über allem eine makellose Technik.
    Weithaas hat einmal in einem Interview bekannt, dass sie an ihrer Geige, die der Bonner Peter Greiner gebaut hat, besonders die "extreme Wandlungsfähigkeit" schätzt. "Eine Geige", sagt sie, "ist immer etwas sehr Persönliches. Sie soll den Klang, den man im inneren Ohr hat, nach außen tragen." Das gelingt ihr hier in allen Facetten, auch und besonders im langsamen Mittelsatz.
    Musik: Robert Schumann: Violinkonzert d-Moll, 2.Satz: Langsam
    Klänge wie aus einem Kokon – als dringe die Musik aus einer abgekapselten Sphäre flüsternd nach draußen. Was diese Aufnahme auszeichnet, zeigt sich gerade in dieser Passage: So sehr die Geige isoliert scheint und ganz für sich eine lyrische Melodie singt, lässt Schumann Soloinstrument und Streicher, insbesondere die Celli, gleichsam miteinander verschmelzen. So entsteht eine fein geäderte Form von Kammermusik, aus der sich die sanft unruhigen Triller der Geige herausheben wie ein unsicherer Nachklang der Nervosität aus dem ersten Satz.
    Musik: Robert Schumann: Violinkonzert d-Moll, 2.Satz: Langsam
    Manze verpflichtet die NDR Radiophilharmonie zunächst ganz auf Diskretion um dann, nach dem nahtlosen Übergang zum Finale, das polonaisenartige Motiv entsprechend selbstbewusst spielen zu lassen.
    Musik: Robert Schumann: Violinkonzert d-Moll, 3. Satz: Lebhaft, doch nicht zu schnell
    Das zweite Werk auf dieser CD ist das Doppelkonzert für Geige, Cello und Orchester von Johannes Brahms. Auch hier klingt die Eröffnung beherzt und entschlossen, bevor Maximilian Hornung als erster der beiden Solisten einsetzt.
    Musik: Johannes Brahms: Doppelkonzert für Violine und Cello a-Moll, op. 102, 1. Satz: Allegro
    Inniges Zwiegespräch
    Nach 30 Takten schaltet sich erstmals die Geige ein, und es entspinnt sich ein Duett der beiden Solo-Instrumente. In dieser Aufnahme erscheint die Passage wie ein inniges Zwiegespräch. Nicht nur, dass beide Musiker hier all ihre kammermusikalische Erfahrung ausspielen, auch der Klang der beiden Instrumente bildet eine Art Amalgam, so dass man Geige und Cello zwar einzeln erkennen kann, gleichzeitig sich ihre Stimmen wie zu einer vereinigen.
    Musik: Johannes Brahms: Doppelkonzert für Violine und Cello a-Moll, op. 102, 1. Satz: Allegro
    Wenn anschließend das Orchester einsetzt, zahlt sich der Ansatz historisch-informierten Spiels aus, für den Dirigent Andrew Manze steht. Das klingt hier wunderbar schlank, beweglich und auf angenehme Weise entfettet. Auch und besonders, wenn sich die Holzbläser schließlich wie selbstverständlich einschalten und behutsam das Solisten-Duo in der Führung ablösen – zumindest vorübergehend.
    Musik: Johannes Brahms: Doppelkonzert für Violine und Cello a-Moll, op. 102, 1. Satz: Allegro
    Wie sehr es sich bei dieser Einspielung um ein wahres Doppelkonzert handelt und nicht um die simulierte Wettkampf-Situation zweier Solisten, die gegenseitig die Führungsrolle für sich beanspruchen, zeigt sich im einträglichen Unisono am Beginn des langsamen Satzes.
    Musik: Johannes Brahms: Doppelkonzert für Violine und Cello a-Moll, op. 102, 2. Satz: Andante
    Diese nicht erzwungene, sondern wie aus sich selbst geborene Harmonie zwischen Geige und Cello, zwischen Antje Weithaas und Maximilian Hornung, prägt auch den Beginn des dritten Satzes.
    Musik: Johannes Brahms: Doppelkonzert für Violine und Cello a-Moll, op. 102, 3. Satz: Vivace non troppo
    In einem Verzicht auf alles vordergründige Kalkül und auf feurig getrimmte Höhepunkte liegt das große Plus dieser Produktion. Wir erleben, wie zwei Solisten sich von einem Werk aufrichtig beseelen lassen, anstatt sich ihm krampfhaft anzudienen.
    Musik: Johannes Brahms: Doppelkonzert für Violine und Cello a-Moll, op. 102, 3. Satz: Vivace non troppo
    Heute habe ich Ihnen zwei CDs mit der Geigerin Antje Weithaas vorgestellt. Zunächst Violinkonzert und Konzertrhapsodie von Aram Chatschaturjan mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie unter Daniel Raiskin und zuletzt das Violinkonzert von Robert Schumann, gekoppelt mit dem Doppelkonzert von Johannes Brahms. Andrew Manze leitet die NDR Radiophilharmonie. Beide Produktionen sind beim Label cpo erschienen.
    Aram Chatschaturjan
    Violinkonzert d-Moll
    Konzert-Rhapsodie für Violine und Orchester
    Antje Weithaas, Violine
    Staatsorchester Rheinische Philharmonie
    Leitung: Daniel Raiskin
    cpo
    Robert Schumann
    Violinkonzert d-Moll, WoO 1
    Johannes Brahms
    Doppelkonzert für Violine und Cello a-Moll, op. 102
    Antje Weithaas, Violine
    Maximilian Hornung, Violoncello
    NDR Radiophilharmonie
    Leitung: Andrew Manze
    cpo