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Geißler plädiert für demokratisches Verfahren in der K-Frage

    Capellan: Von einem Treppenwitz in der Geschichte der Union werden die Sozialdemokraten möglicherweise jetzt in Anlehnung an Stoiber und Glos sprechen. Ausgerechnet Roland Koch soll nun also zwischen Stoiber und Merkel vermitteln. Ausgerechnet jener Mann, der kurz nach dem CDU-Parteitag, als alle ja Frau Merkel in höchsten Tönen lobten, neues Öl ins Feuer goss und die Diskussion über die Kandidaten neu entfachte. Darüber möchte ich nun mit dem ehemaligen CDU-Generalsekretär, Heiner Geißler, sprechen. Guten Tag Herr Geißler.

    Geißler: Guten Tag.

    Capellan: Halten Sie das für ein faires Prozedere, wenn Koch Frau Merkel nun zum Rückzug ermuntern soll?

    Geißler: Das, was jetzt Roland Koch angetragen oder nicht angetragen wird, ist ja nur ein ganz kleines Mosaiksteinchen in einem Prozess, der gar nicht schlimmer hätte laufen können. Und der eigentliche Fehler bestand darin, dass die Führung beider Parteien geglaubt hat, sie könnten mit Vorstellungen aus dem Vormärz, also mit vordemokratischen Prinzipien ein solches Problem lösen. Die Hoffnung zu haben, dass zwei Kandidaten, die sich ernsthaft um ein solches Amt bewerben, im Zwiegespräch unter vier Augen eine Lösung finden könnten, ist lächerlich.

    Capellan: Da haben Sie nie dran geglaubt, dass das funktionieren würde, Herr Geißler?

    Geißler: Ich habe immer vorgeschlagen, dass man ein demokratisches Verfahren braucht. Und das ist ja auch das einzig gangbare. In einer Demokratie gibt es nur eine Lösung, wenn ein Personalkonflikt, der ja nichts ungewöhnliches ist, vorhanden ist. Das ist heute völlig normal und dann muss demokratisch entschieden werden. Dann muss abgestimmt werden, und wenn es kein Gremium gibt, das von den Statuten her vorhanden ist, dann muss man eines schaffen.

    Capellan: Wo könnte man abstimmen? In der Fraktion? Halten Sie das für den richtigen Weg?

    Geißler: Wenn nichts anderes von den beiden Parteivorständen geschaffen worden wäre - man hätte ja auch an eine gemeinsame Delegiertenkonferenz denken können. Die hat es schon einmal 1980 geben, wo Strauß im nachhinein in Mannheim auf einer solchen Delegiertenkonferenz bestätigt worden ist, nachdem die Fraktion vorher abgestimmt hatte. Aber wenn die Vorstände dazu nicht in der Lage waren, dann blieb ja gar nichts anders übrig, wenn die Kandidaturen aufrecht erhalten werden, als dass man in der einzigen gemeinsamen Institution, nämlich der Fraktion abstimmt. Und diesen ganz normalen demokratischen Weg ist man nicht gegangen und deshalb kommt man jetzt in diese fürchterliche Geschichte hinein.

    Capellan: Wer trägt die Verantwortung dafür, dass es jetzt so gelaufen ist?

    Geißler: Das sind die Vorstände, und zwar beider Parteien. Auf dem Bundesparteitag in Dresden hat ja ein Landesverband ein solches demokratisches Verfahren vorgeschlagen, was dann von der gesamten Führung abgelehnt worden ist.

    Capellan: Lassen Sie uns noch mal auf die aktuelle Entwicklung, also auf diese Vermittlungsfunktion von Roland Koch, zu sprechen kommen. Das kann doch wirklich nur bedeuten, dass Angela Merkel nun zum Rückzug bewegt werden soll, oder sehen Sie das anders?

    Geißler: Dazu kann ich nichts sagen, weil ich diese Meldung auch gar nicht kenne und sie auch uninteressant ist. Diese ganzen Vermittlungen führen auch zu überhaupt nichts. Angela Merkel muss jetzt feststellen, ob sie eine Mehrheit hat. Das ist sowieso notwendig. Niemand kann Kandidat werden ohne dass die eigene Organisation, die eigene Partei sie mehrheitlich trägt. Das muss man doch vorher feststellen.

    Capellan: Muss man denn da noch viel feststellen, oder ist das nicht klar, dass sie keine Mehrheit hat? Sie kennen ja auch die Stimmungslage in der Fraktion: Hat Sie dort überhaupt noch eine Mehrheit?

    Geißler: Es wird das eine oder das andere von Einzelnen behauptet, aber es ist ja nie abgestimmt worden. Das ist reine Gerüchtekocherei.

    Capellan: Das heißt also für Sie, dass das Rennen noch nicht entschieden ist?

    Geißler: Das weiß ich nicht. Ich glaube schon, dass durch das Vorpreschen der CSU-Landesgruppe die Dinge in Bewegung gekommen sind, und zwar eher zu Gunsten von Stoiber. Das glaube ich schon.

    Capellan: Frau Merkel hat selbst einmal gesagt, dass der gegen Gerhart Schröder antreten soll, der die besseren Chancen gegen ihn hat. Ist das jetzt nicht klar nach allen Umfragen, die wir kennen, dass Edmund Stoiber der Bessere wäre? Wrum zögert sie noch, sich zurückzuziehen?

    Geißler: Ich sehe das insofern wieder etwas ruhiger. Es schadet im Moment der CDU, aber auf die Dauer ist es unerheblich, weil Bundestagswahlen nie Personalwahlen sind. Bundestagswahlen sind Richtungsentscheidungen und die CDU hat Wahlen gewonnen, und zwar haushoch mit über 45 Prozent, obwohl die Kanzlerkandidaten ganz weit hinten lagen. Das galt sowohl für Strauss als auch für Kohl, die eigentlich nie einen Kanzler-Bonus gehabt haben. Die Leute wählen eine politische Richtung und es kommt infolge dessen darauf an, dass in den nächsten Wochen klar wird, in welche Richtung die Union marschiert.

    Capellan: Ist denn die politische Richtung bei Frau Merkel erkennbar?

    Geißler: Die ist sicher bei Frau Merkel erkennbar. Vor allem ist sie noch zu erarbeiten, was allerdings für Stoiber genau so gilt.

    Capellan: Wofür steht Frau Merkel?

    Geißler: Frau Merkel ist die Parteivorsitzende der CDU und steht natürlich für das, was programmatisch, z.B. auf dem letzten Parteitag, beschlossen wurde.

    Capellan: Steht sie auch ganz besonders für ostdeutsche Wähler-Interessen? Das sagen ja die Merkel-Befürworter immer wieder, dass sie als Protestantin, als Frau, als Ostdeutsche vor allen Dingen Wähler in den neuen Bundesländern gewinnen könnte.

    Geißler: Das ist ganz sicher so, gilt allerdings auch für den Westen. Mann kann aber genau so Argumente für Edmund Stoiber finden. Das ist doch alles Kaffeesatzleserei. Keiner hat da festen Grund unter dem Boden. Diese Sache kann nicht durch Zuruf, Animation oder Kaffeesatzleserei entschieden werden, sondern müsste demokratisch entschieden werden. Das ist nicht passiert und deshalb gibt es jetzt nur die eine Lösung, dass Frau Merkel herausbringt: Hat sie eine Mehrheit in der CDU, dann muss sie sich dafür auch ein Votum geben lassen, und wenn sie zu der Feststellung kommt, dass sie kein Votum hat, dann sollte sie von sich aus als Parteivorsitzende Edmund Stoiber vorschlagen.

    Capellan: Heiner Geißler war das, der ehemalige CDU-Generalsekretär. Herr Geißler, vielen Dank und auf Wiederhören.