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Geist in der Falle

Physik.- Die sogenannten Neutrinos sorgen bei Physikern für Stirnrunzeln – vor allem durch den Umstand, dass sich die mysteriösen Teilchen im Fluge in andere Neutrinoarten umwandeln können. Nun scheint diese Umwandlung erstmals direkt nachgewiesen worden zu sein.

Von Frank Grotelüschen | 01.06.2010
    Extrem leicht und überaus rätselhaft - das ist der Steckbrief eines Neutrinos. Genauer gesagt gibt es diese Geisterteilchen, die mit gewöhnlicher Materie kaum interagieren, in drei Sorten: das Elektron-Neutrino, das Myon-Neutrino und das Tau-Neutrino. Seit gut zehn Jahren gehen die Physiker davon aus, dass sich diese Sorten buchstäblich im Fluge ineinander umwandeln können. Die Fachleute sprechen von "Neutrino-Oszillationen". Bislang aber gab es dafür nur indirekte Beweise. Einem riesigen, 1500 Tonnen schweren Klotz in Italien scheint nun der erste direkte Beweis gelungen zu sein.

    "Opera ist ein großer unterirdischer Detektor. Er liegt im Gran-Sasso-Labor in Italien, dem größten Untergrundlabor der Welt. Opera fängt einen künstlichen Neutrinostrahl auf, der in 730 Kilometern Entfernung am Teilchenforschungszentrum Cern in Genf erzeugt wird",

    sagt Professor Antonio Ereditato von der Universität Bern. Er ist der Sprecher eines 170-köpfigen internationalen Forscherteams, das Opera in Italien aufgebaut hat und seit knapp drei Jahren betreibt. Der Strahl, der in Genf mit einem Teilchenbeschleuniger erzeugt wird, besteht aus einer ganz bestimmten Neutrino-Sorte, aus Myon-Neutrinos. Er fliegt von Genf aus durch die Erde nach Italien, wo er auf den Opera-Detektor trifft.

    "Das Herz des Detektors besteht aus fotografischen Filmen. Diese Filme nehmen im Gegensatz zu einer normalen Kamera kein Licht auf, sondern die Spuren von Teilchen, die von den Neutrinos erzeugt werden. Ganz selten nämlich interagiert eines der aus Genf kommenden Neutrinos mit dem Detektor, und dann entsteht eine Kaskade von seltenen, kurzlebigen Teilchen. Diese Teilchen hinterlassen charakteristische Spuren auf den Filmen. Und durch eine genaue Analyse der Spuren können wir rekonstruieren, dass uns tatsächlich ein Neutrino ins Netz gegangen ist."

    Bislang hatten die Forscher immer nur Myon-Neutrinos aufgefangen – also jene Sorte, die in Genf als ein gebündelter Strahl erzeugt wird. Doch nun scheint das erste Tau-Neutrino ins Netz gegangen zu sein – vorausgesetzt, die Forscher wurden nicht durch Störsignale getäuscht.

    "Es ist sehr wahrscheinlich, zu etwa 98 Prozent, dass dieses Ereignis von einer Verwandlung eines Myon-Neutrinos in ein Tau-Neutrino stammt und nicht von irgendwelchen Störsignalen. Ältere Detektoren hatten nur beobachten können, wie die Myon-Neutrinos verschwinden – ein indirekter Beweis der Neutrino-Verwandlungen. Wir dagegen konnten nun messen, wie ein Tau-Neutrino auftaucht. Das wäre der erste direkte Beweis der Neutrino-Verwandlungen."

    Als Entdeckung aber darf man das Resultat noch nicht sehen. Dazu müssen Ereditato und seine Leute noch ein paar mehr Tau-Neutrinos aufschnappen.

    "Letztlich wollen wir eine Wahrscheinlichkeit von 99,99 Prozent erreichen, und dazu müssen wir noch vier oder fünf weitere Ereignisse messen. Mit etwas Glück könnte das in den nächsten beiden Jahren passieren."

    Für die Teilchenphysik wäre das Ergebnis auf jeden Fall hochwillkommen. Schließlich geben die Verwandlungskünste der Neutrinos manche theoretische Rätsel auf. Und je mehr man über sie weiß, umso größer ist die Chance, dass die Physiker eines Tages die letzten Geheimnisse aus der Welt der kleinsten Teilchen lüften können.