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Geisterberge im ewigen Eis

Geologie. - 51 Jahre ist es her, dass ein sowjetischer Geophysiker bei seismologischen Untersuchungen tief unter dem Eis der Antarktis das Gamburtsev-Gebirge entdeckte. Es ist so groß wie die Alpen, nur sehen wir es nicht. Den vergangenen antarktischen Sommer nun haben Geophysiker über diesem Gebirge verbracht, um es erstmals zu vermessen. Dieses war eines der zentralen Elemente des gerade abgelaufenen Internationalen Polarjahrs.

Von Dagmar Röhrlich |
    Es ist ein Geistergebirge, das sich da unter einem kilometermächtigen Eispanzer der Ostantarktis verbirgt: das Gamburtsev-Massiv. Es liegt am "Pol der Unzugänglichkeit" - und der verdankt seinen Namen der Tatsache, dass er selbst für antarktische Verhältnisse weit abgeschieden liegt - dort das Überleben noch schwieriger ist als ohnehin schon. Vom "Pol der Unzugänglichkeit" zur nächsten Station sind es Hunderte Kilometer. Im Sommer bringen es die Temperaturen auf gerade einmal minus 35 Grad, und die Luft ist quälend trocken. Dort ist selbst die topographische Höhenangabe von 3500 Meter "relativ":

    "Die barometrische Höhe, also Druckhöhe, die ist dort noch etwas anders: Die Luft ist noch etwas dünner und das entspräche etwa so 4000 Meter bei uns. Wir mussten deshalb alle auch, bevor wir in das Camp gingen, erst mal drei Tage als Minimum akklimatisieren auf einer etwas größeren Höhe, und auch, als wir dann die nächste Schritt gemacht haben auf die 3500 Meter, hieß es, die ersten zwei Tage: keine großen körperlichen Anstrengung."

    Detlef Damaske von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Die Zeit in den beiden Forschercamps war strapaziös, aber als Lohn konnten die Geophysiker erstmals die "Geisterberge" im Inneren der Antarktis vermessen - und zwar durch das kilometerdicke Eis hindurch. Damaske:

    "Nach den ersten vorläufigen Ergebnissen, die wir haben, können wir sagen, es handelt sich um ein Gebirge, was nicht ganz unähnlich den europäischen Alpen ist. Es gibt dort scharfe Berge und Täler, tief eingeschnitten, es gibt größere Strukturen, das Gebiet ist etwa vergleichbar groß auch, nach dem was wir bisher wissen, ansonsten müssen wir jetzt erst einmal schauen, was die Daten im Detail her geben."

    Von zwei Camps aus überflogen die Geophysiker mit ihren beiden Messflugzeugen die rund 1200 Kilometer lange Gebirgskette. Sie vermaßen das Magnetfeld und das Schwerefeld und durchleuchteten mit dem Eisdickenradar den Gletscher bis zum Grund. Unter anderem zeigen diese Messungen, dass in den Tälern Wasser unter dem Eis fließt, und einen See haben die Forscher wohl auch entdeckt Damaske:

    "Der ist so 20 Kilometer bestimmt, jedenfalls in der Länge. Wir haben nur eine einzige Linie darüber."

    Der Verdacht ist, dass es unter den Gletschern der Antarktis ein verzweigtes Netz von Flüssen und Seen gibt. Vielleicht besteht sogar eine Verbindung zu dem berühmten Wostok-See, dem größten bislang bekannten See unter dem Eis, der vielleicht schon seit einer Million Jahre von der Außenwelt abgeschnitten ist. Aus den gewonnenen Daten ließ sich außerdem ablesen, dass die höchsten Bergspitzen des Gamburtsev-Massivs nicht sehr tief im Gletscher stecken. Damaske:

    "Es sind sicherlich weniger als 1000 Meter, was schon recht wenig ist. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ich habe auch noch nicht alle Daten gesehen, aber ich habe von Kollegen gehört, auch 500 Meter wurde genannt und eine Aussage war 300 Meter."

    Falls sich das bestätigt, wären die Bergspitzen nahe genug an der Oberfläche, um in sie hinein zu bohren. Die Chinesen planen das, denn das Gestein könnte wohl eine wichtige Frage beantworten: Wie alt ist das Massiv? Derzeit glauben die meisten Geophysiker, dass es - wie die Alpen - zu den jungen Gebirgen gehört. Das wäre dann sehr interessant, denn:

    "man vermutet ja, dass in diesem hoch gelegenen Teil der Gamburtsev Mountains der Beginn der Vereisung war."

    Das Gamburtsev-Massivs wäre dann vor rund 30 Millionen Jahren so hoch gewachsen, dass die Gletscher entstanden. Und weil das verborgene Gebirge auch heute noch steile Berge und Täler hat, müsste damals alles sehr schnell gegangen sein. Das Eis hatte keine Zeit, den Fels abzuhobeln. Aber auch diese Idee muss erst noch überprüft werden. Genaueres wird man in ein oder zwei Jahren wissen, wenn alle Daten ausgewertet sind.