Archiv


Geisterschiff auf dem Bodensee

Umwelt. - Flachwasserzonen im Uferbereich gelten als überaus bedeutsam für die gesamte Gewässerbiologie eines Binnensees. Doch immer häufiger werden Flachwasserzonen durch bauliche Eingriffe und den Klimawandel verändert. Ein unbemanntes Forschungsschiff der Universität Konstanz soll den Einflüssen jetzt auf den Grund gehen.

Von Thomas Wagner |
    Ein Schiff wird kommen – ein Geisterschiff ohne Besatzung vor dem Bodenseeufer der Universität Konstanz. Das Ding ist knapp einen Meter lang, schwimmt wie ein Katamaran auf zwei Auftriebskörpern und sieht eigentlich aus ...

    "...na ja, man kann vielleicht sagen, ähnlich wie ein Kühlschrank."

    ... so Hubert Fink von den Wissenschaftlichen Werkstätten der Universität Konstanz, der das unbemannte Forschungsboot mitgebaut hat. Ein Elektromotor im Inneren des kleinen Schiffes fängt an zu surren. Seinen Strom bezieht er über eine Autobatterie, die wiederum über ein Solarpanel auf dem weißen schwimmenden Klotz gespeist wird.

    "Das ist im Moment der X-Vortrieb. Das heißt: Das Gerät läuft jetzt an der Kette entlang oder schwimmt an der Kette entlang bis zum nächsten Messpunkt."

    Ähnlich wie eine Seilbahn wird das unbemannte Forschungsboot an einer Stahlkette geführt. Die verläuft vom Ufer rund 60 Meter in den See hinein zu einer Boje. Das Forschungsboot fährt an dieser Kette ständig auf und ab, hält immer mal wieder an. Dann beginnt sich eine Metalltrommel zu drehen, die so ähnlich funktioniert wie eine Seilwinde. Diese Metalltrommel senkt Kabel mit speziellen Sensoren ins Wasser ab. Harald Kautz von den Wissenschaftlichen Werkstätten:

    "Also momentan geht es um die Sauerstoffsättigung, Temperatur und pH-Wert. Wobei das Gerät im Prinzip flexibel ist. Man könnte jederzeit auch andere Sonden einbauen. Methangassonden sind schon angedacht, weitere Sonden sind schon angedacht."

    Doch gerade die drei Messwerte Sauerstoffsättigung, Temperatur und pH-Wert interessiert die Wissenschaftler des Limnologischen Instituts der Universität Konstanz besonders. Mit Hilfe des unbemannten Schiffes können sie erstmals ein Flachwasserzonen-Kataster über eine große Uferfläche hinweg erarbeiten. Dazu müssen sie nur gelegentlich die Kette nach links oder rechts verlegen. Gleichzeitig wird in diesen Bereichen, so der Konstanzer Limnologe Philipp Fischer, über Proben der Fischbestand ermittelt:

    "So dass wir genau sagen können: Wenn wir Fische zu einer bestimmten Tageszeit in einem bestimmten Bereich finden, haben wir die und die abiotischen Parameter. Und wir versuchen, diese Verteilung vorherzusagen über diese abiotischen Parameter."

    Und genau darum geht es bei dem Projekt: Inwiefern hängt der Jungfischbestand in der Flachwasserzone von so genannter "abiotischen" Parametern wie Sauerstoffgehalt und pH-Wert ab? Wie wirken sich Veränderungen dieser Parameter aus? Stefan Stoll vom Limnologischen Institut der Universität Konstanz:

    "Ich möchte jetzt eben die Jungfischverteilung im Uferbereich räumlich und zeitlich auflösen im Hinblick auf diese Faktoren. Später soll dann noch der Wellenschlag reinkommen, der ist im Moment nicht auf dem Floß integriert. Da gibt es Extrasensoren. Damit soll der Jungfischbestand im Uferbereich genauer charakterisiert werden, das Wachstum von den Fischen erklärt werden auf die zusätzlichen Habitatfaktoren, die da auf die Jungfische einwirken und die natürlich auch Einflüsse auf die Physiologie der Fische haben."

    Solche Forschungsvorhaben, die im Zuge eines DFG-Sonderforschungsbereiches durchgeführt werden, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Dies zeigte sich einmal mehr bei der Tagung "Bodenseeufer und Kimawandel". Dort diskutierten die Fachleute den Einfluss der Erderwärmung auf den Fischbestand in den Flachwasserzonen. Ingo Kramer, Diplombiologe im Dienst des Landesfischereiverbandes Baden:

    "Zum einen sind es Veränderungen in physikalisch-chemischen Werten des Bodensees. Sprich: Mit steigenden Temperaturen nehmen Sauerstoffgehalte ab. Das strapaziert viele Fische, die enge Toleranzbereiche hinsichtlich Temperatur und Sauerstoffbereichen haben. Der andere Aspekt ist, dass durch höhere Temperaturen auch das Nahrungsspektrum der Fische, sprich Plankton, Kleinlebewesen und Wirbellose in den Uferbereichen sich artenmäßig anders zusammensetzen könnten und dadurch auch Veränderungen auftreten können, die die Nahrungsverfügbarkeit für Fische nicht so gewährleisten, wie es derzeit ist."

    Um all diese Daten flächenmäßig zu erheben, wird das unbemannte Forschungsschiff der Universität Konstanz noch viele Bahnen ziehen. Eine Kollisionsgefahr mit Sportschiffen oder mit Schwimmern sehen die Experten nicht. Dafür sei das Forschungsfloß mit vier Metern pro Minute viel zu langsam unterwegs. In den Flachwasserzonen herrsche ohnehin kein Schiffsverkehr – zum Glück. Denn die auf die Uferfläche bezogene Dichte der Daten ist nur mit einem solchen "Geiserschiff" zu bekommen. Davon zeigt sich Limnologe Philipp Fischer überzeugt:

    "Wenn wir vier oder fünf abiotische Parameter messen, brauchen wir vier oder fünf Datensonden, die wir an jedem Punkt ins Wasser hängen. Wir haben das am Anfang mit studentischen Hilfskräften gemacht und mussten sechs studentische Hilfskräfte über 24 Stunden einsetzen, dass wir genau diese Daten bekommen haben. Das können wir uns gar nicht leisten, so viele Leute einzusetzen und auch noch über 24 Stunden zu messen, dieses Gerät misst über 24 Stunden."