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Geisterspiele
Was die fehlenden Fans für den Fußball bedeuten

Die Geisterspiele im Profifußball sind zurück - die Infektionszahlen haben dazu geführt, dass die Stadien wieder komplett leer sind. Wie geht es Fans dabei und welche langfristigen Konsequenzen fürchten sie?

Von Sabine Lerche |
Leere Nordkurve im Schalker Stadion
Leere Nordkurve im Schalker Stadion (TEAM2sportphoto)
Jetzt bleibt den Fußball-Fans zum Zuschauen wirklich wieder nur der Fernseher. So geht es auch Christian Thelen. Er ist Fan des 1. FC Köln und Dauerkartenbesitzer. Im Stadion war er unter Pandemie-Bedingungen nicht mehr.
Unabhängig von den Infektionszahlen findet er den kompletten Zuschauerausschluss aber sinnvoll: "Wenn man mit 300 gehen darf, dann ist es eigentlich so, dass es sich überhaupt nicht lohnt hinzugehen, finde ich. Es macht dann schon mehr Sinn, gar keine zuzulassen oder erst ab 10.000 Fans jemanden zuzulassen. Das Stadionerlebnis ist halt mehr als Fußballgucken. Freunde treffen und gemeinsam lachen, gemeinsam Spaß haben, sich regelmäßig alle zwei Wochen sehen in einem größeren Kreis."
Studie: Fans hätten viele Einschränkungen hingenommen
Und doch hätten die Zuschauerinnen und Zuschauer viel in Kauf genommen, um noch ins Stadion zu dürfen. Das ist bei einer Umfrage des Marktforschungsinstituts impact and emotions in Köln herausgekommen. Nur für ein Viertel der Befragten komme ein Stadionbesuch während der Corona-Pandemie nicht infrage.
Die übrigen würden sogar strenge Auflagen akzeptieren, stellt Studienleiter Pierre Hatje überrascht fest: "Also, dass man auf den Alkohol verzichtet, zum Beispiel, ist überhaupt kein Problem. Da haben unglaublich viele gesagt: die leichteste Hürde, die sie sofort in Kauf nehmen würden. Was mich auch überrascht hat war, dass so viele die Gästefans als einen wesentlichen Anteil im Stadionerlebnis haben. Mund-Nasen-Schutz war von mir erwartet worden, dass der sehr negativ sein würde. Aber auch da muss man sagen, die Hälfte der Leute würde sagen: Ist in Ordnung, dann ziehe ich eben das ganze Spiel über den Mund-Nasen-Schutz an, wenn ich dafür wenigstens ins Stadion kann."
Manche Fans bleiben möglicherweise dauerheft fern
Die Studie über die Stimmung unter den Fans ist zusammen mit der App FanQ vor dem ersten Spieltag der Fußballbundesliga durchgeführt worden. Wer diese App hat, ist ohnehin bereits ein motivierter und involvierter Fußballfan. Die Ergebnisse zeigen, warum manchen Fans nicht ins Stadion wollen. Die einen haben Angst, sich anzustecken, anderen geht es ums Erlebnis: Keine Gästefans, kein großer Fansupport. Das fehlt. Es ist einfach nicht das Fußballerlebnis, das es einmal war.
Das bemerkt auch Thomas Weinmann, Fanbeauftragter bei Borussia Mönchengladbach. Er befürchtet, dass in der Pandemie Teile der Fußballfans verloren gehen werden: "Diese Vorstellung haben alle Vereine, dass uns ein Großteil der Leute, die halt bisher ihr Freizeitverhalten so gestaltet haben, dass sie gesagt haben: 'Ja, samstags ist klar, da gehe ich zum Spiel.' Und die jetzt plötzlich mit der Familie was machen oder was anderes entdeckt haben. Und dann vielleicht in einem halben Jahr sagen: 'Also och nö, jetzt Fußball, muss ich jetzt nicht mehr haben.' Alle Vereine werden das spüren, dass die Leute, also ein Teil der Leute, nicht mehr zurückkommt. Der Einbruch, der wird bei den Leuten sein, für die der Fußball ein Event war. Die sagen: 'Ja, was machen wir denn jetzt am Samstag, gehen wir golfen, gehen wir Tennis spielen? Ach ne, Borussia spielt gegen Bayern, machen wir das.' Die gehen dann Golfen und Tennis spielen."
Auch Gelegenheitsfans sind wichtig
Neben den sogenannten "Event-Fans" könnten auch die Fans verloren gehen, die nicht hochmotiviert und stark an ihren Verein gebunden sind. Pierre Hatje nennt sie "Sportschau-Fans". Sie schauen sich samstags die Bundesliga-Zusammenfassung an und gehen nur hin und wieder mal ins Stadion. Hatje vermutet, dass ihre Leidenschaft zum Fußball während der Pandemie abnimmt.
Und das hätte dann auch Auswirkungen auf den Fußball insgesamt. "Wenn die Bedeutung des Fußballs auf dem Segment langsam weniger wird, dann kann das auch bedeuten, dass generell nach einer sehr langen Phase", sagt Hatje. "Das ist jetzt nicht etwas, das über zwei, drei Monate passiert, sondern über Jahre hinweg. Wenn wirklich das so der Fall sein sollte, dann steuert der Fußball auf ein Problem zu, dass er die Vorreiterrolle so in der Form nicht mehr haben würde."
Denn für das System Fußball sind auch die weniger interessierten Gelegenheitsfans extrem wichtig. Durch ihre große Zahl füllen auch sie die Stadien mit. Sie müssen nach der Pandemie, aber auch schon jetzt, neu für den Fußball begeistert werden, sagt Pierre Hatje.
Furcht um die Fußballkultur und vor Investoren
Köln-Fan Christian Thelen wird sein Fußballinteresse nicht verlieren. Er glaubt auch, dass sich einiges ändern könnte. Aber eher von Seiten der Vereine. Vor allem, weil ihnen eine Menge Geld aus den Ticketeinnahmen fehlt. Er hat die Sorge, "dass einige Vereine jetzt durch die Hintertür versuchen werden, auf Sitzplätze zu gehen, statt auf Stehplätze. Dass sie vielleicht versuchen, die 50+1-Regel zu kippen im Hintergrund, damit sie irgendwie die Gelder generieren, die sie jetzt verloren haben durch Corona. Und ich könnte mir vorstellen, dass dadurch das Stadionerlebnis eigentlich so, wie es einmal war, nicht mehr gegeben sein wird. Oder der Kulturkampf zwischen Ultras, aktiver Fanszene und dem Verein sich noch mal verschärfen wird."