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Geisterstrahl durch Minnesota

Physik. - Seit Physiker entdeckten, dass Neutrinos - Geisterteilchen, die nahezu alle Materie nahezu ungehindert durchdringen - entgegen erster Annahmen doch eine Masse besitzen, entstehen zahllose Projekte zu ihrer Erforschung. Jetzt nahm der Neutrino-Detektor MINOS in den USA seine Arbeit auf.

Von Frank Grotelüschen |
    Jeff Pearce ist ein Geisterjäger. Der Physiker des Rutherford Appleton Laboratory in England ist hinter einem Teilchen her, das derart scheu ist, dass es sich kaum fassen lässt.

    "Es ist so schwierig mit Neutrinos zu arbeiten, weil sie fast überhaupt nicht mit anderer Materie interagieren. Deshalb wissen wir noch sehr wenig über ihre Eigenschaften. Genau darum geht es bei MINOS: Wir wollen die Eigenschaften dieses ziemlich seltsamen Teilchens untersuchen."
    Will man Neutrinos studieren, braucht man zunächst mal eine starke Neutrinoquelle - eine regelrechte Neutrinokanone, die möglichst viele Geisterteilchen ausspuckt.

    "Wir produzieren die Neutrinos mit einem Teilchenbeschleuniger am Fermilab nahe Chicago. Dieser Beschleuniger feuert Salven von Wasserstoffkernen auf eine Zielscheibe aus Kohlenstoff. Dabei entstehen Teilchen namens Pi-Mesonen. Diese Pi-Mesonen sind instabil - sie zerfallen nach kürzester Zeit in andere Partikel, darunter auch Neutrinos. Und diese Neutrinos formen unseren Strahl."

    Um diesen Strahl auffangen und analysieren zu können, braucht es extrem empfindliche Detektoren. Die Forscher haben gleich zwei davon gebaut, beide bestehen aus Tausenden Tonnen Eisen. Ganz selten bringt ein vorbeihuschendes Neutrino einen Eisenkern im Detektor zum Zerplatzen. Und das macht sich in den Geräten der Physiker als elektrisches Signal bemerkbar.

    "Wir schießen jeden Tag eine Billion Neutrinos in den Detektor. Doch wir rechnen nur mit drei oder vier Reaktionen pro Tag. Wir müssen also sehr darauf achten, dass diese Reaktionen nicht von Störsignalen verfälscht werden - insbesondere von der kosmischen Strahlung."

    Deshalb sind beide Detektoren in unterirdische Höhlen eingebaut - das Erdreich schirmt das Störfeuer der kosmischen Strahlung ab. Der erste Detektor steht am Fermilab. Er zählt die Teilchen, die direkt aus der Neutrinokanone kommen. Der zweite Detektor ist 735 Kilometer entfernt in eine ehemalige Eisenmine eingebaut, und zwar 700 Meter tief unter der Erde. Er schaut nach, ob unterwegs einige der Neutrinos verloren gegangen sind - oder genauer gesagt: ob sich die Teilchen verwandelt haben in Neutrinos einer anderen Sorte. Jeff Pearce spricht von Neutrinooszillationen.

    "Diese Neutrinooszillation wollen wir mit MINOS vermessen - also das seltsame Phänomen, dass sich Neutrinos im Fluge verwandeln. Das kann übrigens nur funktionieren, wenn Neutrinos Masse besitzen. Experimente wie Superkamiokande in Japan und SNO in Kanada haben diese Oszillationen vor ein paar Jahren entdeckt. Seitdem erst weiß man überhaupt, dass Neutrinos Masse besitzen."

    Nur: Wie groß ist diese Masse? Diese Frage wird zwar auch MINOS nicht abschließend beantworten. Aber das Experiment dürfte die bisher gewonnenen Messwerte präzisieren.

    "Alle Versuche, die Neutrinomasse direkt zu messen, sind bislang gescheitert. Das Teilchen ist offenbar zu leicht, um es direkt zu wägen. So wie es aussieht, ist das Neutrino mindestens eine Million Mal leichter als das Elektron. Im Moment besteht die einzige Möglichkeit darin, mit Hilfe der Neutrinoszillationen herauszufinden, wie groß die Massendifferenz zwischen den drei verschiedenen Neutrinosorten ist. Und genau das wird MINOS präzise messen."

    Seit März nimmt das 170-Millionen-Dollar-Experiment Daten. Auf handfeste Ergebnisse aber müssen die knapp 200 beteiligten Wissenschaftler noch ein Weilchen warten. Pearce:

    "Eben weil Neutrinos so selten mit Materie reagieren, muss man sehr lange messen, um präzise Daten zu erhalten. Deswegen haben wir vor, mindestens fünf Jahre lang zu messen. Mit dem Endergebnis rechnen wir 2010."