Dienstag, 21. Mai 2024

Archiv


Geistliche Chor-Musik

Der Stuttgarter Kammerchor hat Werke von Otto Nicolai aufgenommen. Dabei handelt es sich um geistliche Musik, was für Nicolai eher ungewöhnlich ist. Die A-cappella-Chorwerke für die Kirche basieren auf Psalmtexten oder Teilen der Liturgie.

Ludwig Rink | 03.10.2012
    Wie vielen anderen am Ende des 19. Jahrhunderts gebauten Kirchen sieht man auch dem Berliner Dom die Rückgriffe auf frühere Baustile an. Während woanders neoromanisch oder neogotisch gebaut wurde, ließ sich in Berlin der damalige Architekt Julius Raschdorff von der italienischen Hochrenaissance und dem Barock inspirieren. Vergleichbare Rückgriffe auf frühere Stile kennen wir auch in der Musik. Heute Morgen soll von einem Komponisten des 19. Jahrhunderts die Rede sein, dessen Werke mindestens vier frühere Stile wiedererkennen lassen: Renaissance und Barock, Wiener Klassik und italienischen Belcanto. Und mit dem Berliner Dom, zumindest dem Vorgängerbau, wie ihn Karl Friedrich Schinkel 1821 gestaltete, steht die Kirchenmusik aus seiner Feder in direkter Verbindung: Zu geistlicher Musik von Otto Nicolai begrüßt Sie am Mikrofon Ludwig Rink.

    "Otto Nicolai
    Aus: Jauchzet dem Herrn, alle Welt (Psalm 100)
    Dauer: 1’10
    Kammerchor Stuttgart
    Leitung: Frieder Bernius
    LC 03989 Carus
    83.299"

    Otto Nicolai – der Name ist vermutlich vor allem dem Opernliebhaber bekannt, war er doch der Schöpfer der bis heute nach wie vor ungemein beliebten Oper "Die lustigen Weiber von Windsor". Die neue CD des Stuttgarter Kammerchores zeigt den Komponisten von einer daneben eher überraschenden Seite: faszinierende a-cappella-Chorwerke für die Kirche, oft doppelchörig angelegt, basierend auf Psalmtexten oder Teilen der Liturgie. Vieles davon erscheint hier erstmals auf CD - und dann gleich auch noch in allerhöchster Qualität. Egal ob im Ensemble oder solistisch: Die Profis des Stuttgarter Kammerchores zaubern einen Klang, dem dramatische Kraft ebenso gelingt wie einfühlsame Sensibilität.

    "Otto Nicolai
    Aus: Jauchzet dem Herrn: ab "Denn der Herr…" (Soli)
    Dauer: 1‘38
    Kammerchor Stuttgart
    Leitung: Frieder Bernius
    LC 03989 Carus
    83.299"

    Otto Nicolai war ein Zeitgenosse Felix Mendelssohn Bartholdys. 1809 bzw. 1810 geboren verbindet beide das Schicksal eines frühen Todes noch vor dem 40. Lebensjahr. Beide studierten in Berlin an Carl Friedrich Zelters "Königlichem Institut für Kirchenmusik". Hier lernte Nicolai den strengen Stil der alten Meister kennen. Besonders nah kam er den römischen Meistern der Spätrenaissance und des Frühbarock, als ihn der preußische Gesandte in Rom als Organist an die Gesandtschaftskapelle der dortigen deutschen evangelischen Gemeinde verpflichtete. In der Sixtinischen Kapelle lernte er die Werke von Palestrina kennen, von denen er sagte, sie seien "das Einzige, weshalb ein deutscher Musiker nach Italien reisen muss." In Italien studierte Nicolai auch die Theorie des Renaissance-Meisters Zarlino und die "Praktische Grundlehre des Kontrapunktes", die Padre Martini aus Bologna verfasst hat, jener Franziskanermönch, bei dem einst Johann Christian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart studiert hatten. Ab 1837 hatte Nicolai ein Engagement als Kapellmeister in Wien; das spätere berufliche Pendeln zwischen Österreich und Italien scheint sich auch in seinem Werk widerzuspiegeln: Orientiert an Leitbildern wie Bellini oder Donizetti komponierte Otto Nicolai Opern im damals modernen italienischen Stil; seine Verehrung für Mozart und Beethoven, deren Orchesterwerken er in Wien als Dirigent mustergültige Interpretationen widmete, führte zu dem Wunsch, selber auch deutsche Opern zu komponieren, was ihm schließlich mit seinem bekanntesten Meisterwerk "Die lustigen Weiber von Windsor" grandios gelang. 1844 wurde in Nicolais Geburtsstadt Königsberg im Rahmen der Feierlichkeiten zum 300. Gründungstag der dortigen Universität seine kirchliche Fest-Ouvertüre über den Choral "Ein feste Burg ist unser Gott" aufgeführt. Der dabei anwesende König Friedrich Wilhelm IV. war davon so beeindruckt, dass er den Komponisten nach Berlin holen wollte, was drei Jahre später auch gelang: Zum Oktober 1847 erhielt Nicolai seinen Vertrag als Kapellmeister am Königlichen Theater in Berlin und folgte Mendelssohn im Amt als künstlerischer Leiter des Domchores. Hier entstanden dann, angeregt durch den durchaus um die protestantische Kirchenmusik besorgten König, eine Reihe größer angelegter Kirchenmusiken für den evangelischen Gottesdienst wie das folgende "Ehre sei Gott in der Höhe".

    "Otto Nicolai
    Heilig, heilig, heilig
    Dauer: 2‘33
    Kammerchor Stuttgart
    Leitung: Frieder Bernius
    LC 03989 Carus
    83.299"

    Stuttgarter Ensembles haben Barockmusik und vor allem das Werk Johann Sebastian Bachs seit dem 2. Weltkrieg auf sehr hohem künstlerischen Niveau gepflegt, man denke nur an Dirigenten wie Karl Münchinger oder Helmuth Rilling. Dem Dirigenten der vorliegenden Aufnahme, Frieder Bernius, gebührt dabei das Verdienst, dem schwäbischen Publikum relativ spät, aber dann auch in hoher Qualität die Möglichkeiten und Überraschungen einer historischen Aufführungspraxis nahegebracht zu haben. Außerdem ist Bernius ein begnadeter Chorleiter, dem es gelungen ist, über Jahrzehnte hinweg mit seinem Stuttgarter Kammerchor die schwierigen großen und kleineren a-cappella-Werke der Romantik mit immer wieder anrührendem musikalischen Ausdruck und einer verblüffenden, geradezu traumwandlerischen Intonationssicherheit im Konzert oder im Aufnahmestudio zu Gehör zu bringen. Beredte Zeugnisse für diesen in doppeltem Sinne "langen Atem" bietet eine 10teilige CD-Box, die die Firma Carus jetzt zu ihrem 40jährigen Jubiläum herausbringt. Hier können Sie das umfangreiche geistliche Chorwerk von Felix Mendelssohn Bartholdy in maßstabsetzenden Interpretationen erleben und einen Chor, der in den letzten 25 Jahren trotz sicherlich vieler Wechsel der Mitglieder gleichbleibend gut geblieben ist.

    "Felix Mendelssohn Bartholdy
    Aus: Warum toben die Heiden (Anfang)
    Dauer: 1‘25
    Kammerchor Stuttgart
    Leitung: Frieder Bernius
    LC 03989 Carus
    83.020"

    Doch zurück zu der neuen Einspielung von Psalmen Otto Nikolais, die ebenfalls beim Stuttgarter Label Carus erschienen ist. Einen besonderen Höhepunkt bietet dort Nicolais kurz vor seinem unerwartet frühen Tod entstandene Psalm-Vertonung "Der Herr ist König". Ausdrucksvolle, hochromantische Harmonik kombiniert er gekonnt mit uralter Polyphonie, manche Passage kommt mit der Klarheit und Kraft eines Händel’schen Oratorienchores daher und alles zusammen erscheint folgerichtig, selbstverständlich, geradezu natürlich wie Musik aus Mozarts Feder. Klar, dass Nicolai dabei als gelernter Opernkomponist auch noch der musikalischen Ausdeutung des jeweiligen Textes besondere Beachtung schenkt.

    "Otto Nicolai
    "Der Herr ist König" (Psalm 97)
    Dauer: 6‘38
    Kammerchor Stuttgart
    Leitung: Frieder Bernius
    LC 03989 Carus
    83.299"

    Die Neue Platte – heute mit geistlicher Musik von Otto Nicolai, gesungen vom Kammerchor Stuttgart unter Leitung von Frieder Bernius, aufgenommen zum Teil vom WDR und vom SWR und auf CD herausgebracht vom Carus-Verlag in Stuttgart. Mit Wünschen für einen schönen Sonntag verabschiedet sich im Studio Ludwig Rink.