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Geistliche Musik aus Rom um 1640

Heute mit geistlicher Musik aus dem Rom um 1640 von Giacomo Carissimi und Zeitgenossen, die neueste Aufnahme des Ensemble européen William Byrd unter der Leitung von Graham O'Reilly, erschienen beim belgischen Label passacaille im Vertrieb von note 1.

Von Christiane Lehnigk |
    Musikbeispiel: Giacomo Carissimi (zugeschrieben), aus: Mottet sur la Vanité des hommes a 2

    "Vanitas vanitatum, et omnia vanitas", "Vergänglichkeit des Vergänglichen, und alles ist vergänglich", dieser Ausspruch des biblischen König Salomo wurde zum Sinnbild einer ganzen Kunstrichtung. Beruhend auf den Glaubenssätzen noch mittelalterlichen Denkens, sich von den irdischen Gütern abzuwenden und sich Gott allein zu widmen, da alles andere Vergänglichkeit und Täuschung sei, hat die Vanitas-Idee in der Malerei wie in der Musik in Nord- und Südeuropa im 17.Jahrhundert ihre vielfältige Ausformung gefunden.

    Diesem Thema hatte sich vor zwölf Jahren auch schon das Ensemble Tragicomedia gewidmet, eine in der Reihe "Das Alte Werk" bei Teldec erschienene Referenzaufnahme.

    Doch Graham O'Reilly beschränkt sich in seiner Aufnahme nicht nur auf das Vergänglichkeitsthema, sondern er versucht eine breit gefächerte Auswahl der Musik zu geben, die um 1640 in Rom, in der Kirche und in den luxuriösen Salons zu hören war.

    Im Mittelpunkt steht dabei Giacomo Carissimi, der von 1629 bis zu seinem Tode 1674 Kapellmeister des von den Jesuiten geführten Collegium Germanicum et Hungaricum und der dazugehörigen Kirche San Appolinare war. Für dieses Zentrum der Katholischen Gegenreformation schrieb Carissimi Messen, geistliche Kantaten und Motetten und trug wesentlich zur Entwicklung des lateinischen Oratoriums bei. Er gehörte zu den angesehensten Musikern im Rom seiner Zeit und sein Ruhm verbreitete sich bald in ganz Europa. So pilgerten auch viele Musiker aus Deutschland und Frankreich nach Rom, um hier ihre Ausbildung zu vervollkommnen.

    Die Texte seiner Oratorien stammten aus dem Alten und aus dem Neuen Testament, zum bekanntesten gehört die Historia Jephta, Anastasius Kircher beschrieb in seiner Musurgia Universalis die Eindrücke einer zeitgenössischen Aufführung:

    Nach Siegen, Triumphen und Zeremonien, nähert sich Jephtes Tochter mit verschiedenen Instrumenten und Tanz um ihm zu gratulieren. Im musikalischen Stil, Rezitativ genannt, drückt Carissimi den fassungslosen Vater mit einzigartigen, bestechenden und durchbohrenden Tönen aus. Jephtes Freude schlägt plötzlich in Traurigkeit und Klage um, als seine Tochter unerwartet gegen ihn eilt, weil das unabänderliche Gelöbnis für diese Begegnung schicksalsträchtig auf sie fallen muss. Carissimi erzielt diesen Wandel mit antagonistischer Rührung , die Tonalität geschickt variierend. Zudem fügt er später ein Lamenti zu sechs Stimmen für die jungfräulichen Begleiterinnen seiner Tochter hinzu, in denen sie sich sehr über ihr Unglück beklagen. Dieses Stück ist mit solch einer Kunstfertigkeit komponiert, dass man sogar meinen könnte, das Schluchzen und Weinen der Mädchen vernehmen zu können.

    Musikbeispiel: Giacomo Carissimi, aus: Historia Jephte a 6

    Um die Kompositionen von Giacomo Carissimo hat das Ensemble européen William Byrd unter der Leitung von Graham O'Reilly noch Werke von ebenfalls in Rom wirkenden Zeitgenossen gruppiert. Da gibt es zum Beispiel den Violinisten und Organisten Michelangelo Rossi, den "Kopf der römischen Schule", der auch "Michel Angelo del Violino" genannt wurde.

    Er war Schüler von Girolamo Frescobaldi und seine Werke für Tasteninstrumente stehen in dieser Tradition, wenn sie auch wesentlich theatralischer und gewagter sind, als die seines Lehrers.

    Die folgende 7. Toccata ist durch eine außergewöhnliche Chromatik geprägt, die heute noch ungewöhnlich und modern wirkt und geradezu eine Herausforderung an die mitteltönige Stimmung darstellt. Es spielt Yannik Varlet an der historischen Orgel von Moutiers au Perche.

    Musikbeispiel: Michelangelo Rossi, Toccata Settima

    Yannik Varlet spielte die Toccata Settima von Michelangelo Rossi.

    Das Ensemble européen William Byrd unter der Leitung von Graham O'Reilly besteht jetzt schon seit 15 Jahren. Der Schwerpunkt des Repertoires des im Kern mit 6 internationalen Sängern besetzten Ensembles liegt auf der Vokalmusik des 17.Jahrhunderts. Dabei werden die Projekte von musikologischen und historischen Forschungen getragen. O'Reilly hat mit seinen Sängern einen eigenen Stil geschaffen, bei dem sie sich auch zu einem Chor zusammenfinden können, ohne dass die Individualität einer jeden Stimme verloren geht.

    Denn heute weiß man, dass die Chorkultur eine Erfindung des 18.Jahrhunderts ist, die Tradition aber zunächst eine solistische Besetzung vorsah. Hinzu kommt, dass das Ensemble européen William Byrd auch mit dem Raumklang experimentiert, um der ursprünglichen Aufführungstradition so nahe wie möglich zu kommen. So wurden in dieser Aufnahme die Chorpartien, wenn es die Dramaturgie verlangte, oben auf der Empore, neben der Orgel gesungen. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Orgel, wie hier über spezielle Registrierungen verfügt. Aber es wird auch der übrige Kirchenraum mit einbezogen, so wurden zum Beispiel im 17. Jahrhundert in Rom zusätzliche Orgeln gemietet und speziell auf Plattformen an verschiedenen Orten aufgestellt, um spezielle Effekt zu erzielen.

    Diese Effekte sind in der vorliegenden Aufnahme gut nachhörbar und der differenzierte Klang glasklar aber doch warm und ohne störende Hall-Wolken.

    Hier zum Abschluss ein Ausschnitt aus Il Predica del Sole von Marco Marazzoli. Im diesmal nicht lateinischen sondern italienischen Text geht es um die Sonne als Sinnbild der Zeit, von dem alle lebendigen Wesen abhängig sind. Aber sogar die Sonne muss sich einer höheren Ordnung fügen, und nur Weisheit und Tugend können den Sterblichen den Weg in den Himmel weisen. Marazzoli war Tenor und Harfenspieler und arbeitete für die einflussreiche Familie von Kardinal Barberini. Er hinterließ mehr als 10 Opern, zahlreiche Oratorien und Dialoge und fast 400 Kantaten, womit er wohl der Ausnahmeerscheinung in seiner Zeit war. Seine Werke zeichnen sich durch ansprechende Melodien und geradezu sinnliche Harmonien aus.

    Musikbeispiel: Marco Marazzoli, aus: Il Predica del Sole

    Die Neue Platte im Deutschlandfunk. Wir stellten Ihnen heute Musik von Giacomo Carissimi und Zeitgenossen aus dem Rom um 1640 vor, eine Aufnahme des belgischen Labels passacaille, das bei uns von Note 1 vertrieben wird. Das Ensemble européen William Byrd unter der Leitung von Graham O'Reilly singt hier in der Besetzung von Catherine Greuillet und Alena Dantcheva - Sopran, Brigitte Vinson - Mezzo-Sopran, Bruno Boterf und Vincent Bouchot - Tenor sowie François Fauché - Bass. Die Instrumentalisten sind Julia Fredersdorff und Ariane Dellenbach - Violine, Elis Joglar - Violoncello, Marc Wolff - Theorbe und Yannick Varlet - Orgel.