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Geiz ist gar nicht geil

Jeder Deutsche, ob Kind, Mittvierziger oder Greis, kauft im Schnitt zwei Mal am Tag ein Produkt. Macht 150 Millionen Konsumentscheidungen pro Tag. 150 Millionen Mal eine Entscheidung für oder gegen eine bessere Welt - wenn man zwei Büchern Glauben schenkt. Wenn wir Konsumenten anders agierten, dann hätten wir auch Macht, sagen die beiden Autoren in ihren beherzten Plädoyers gegen eine Billigökonomie. Eine Rezension von Andreas Beckmann.

    Vergesst "Geiz ist geil", kauft in Zukunft sozial und ökologisch bewusst ein! So könnte man die Botschaft zusammenfassen, die Fred Grimm und Tanja Busse in ihren neuen Büchern ihren Lesern verkünden. Dabei sind beide Autoren weit davon entfernt, Konsumverzicht zu predigen. Beide versprechen statt dessen Tipps, wie man den Einkaufsspaß sogar noch steigern kann, wie man sich im Laden neben leckeren Lebensmitteln oder schönen Kleidern auch noch ein gutes Gewissen abholen kann. Bei Fred Grimm scheint das eine Sache zu sein, die sich quasi im Vorbeigehen erledigen lässt.

    "Wann immer wir in den Kaufhäusern, Trendshops, Tante-Emma-Läden oder Bio-Supermärkten ein Angebot sehen, das Umwelt schonend und ohne Ausbeutung von Mensch und Tier produziert wurde, tun wir uns und unserer Welt doch bitte einen Gefallen: Packen wir's ein."

    Wenn heute schon Discounter Bio-Lebensmittel anbieten, dann scheint Grimm der Trend zum nachhaltigen Wirtschaften unumkehrbar. Tanja Busse rückt dagegen in den Mittelpunkt, dass sich die meisten Unternehmen immer noch in erster Linie für Profite interessieren und sich dafür auch leicht mal über Arbeits- und Umweltschutz hinwegsetzen. Und sie betont, was für ein hartes Stück Arbeit es wäre, daran etwas zu ändern. Das Härteste dabei könnte sein, dass wir uns selber ändern müssen.

    "Je weiter sich der Markt ausbreitet und je weiter sich der Staat aus seinen Kerngebieten zurückzieht, desto wichtiger wird es für die Bürger, ihre Stellung gegenüber der Wirtschaft zu stärken. Deshalb ist es heute - nach der Emanzipation des Untertans zum Staatsbürger - an der Zeit für eine Emanzipation des Konsumenten."

    So wie der Bürger in der Wahlkabine solle auch der Konsument eine politische Entscheidung treffen, fordert Tanja Busse.

    "Es gibt ganz viele Leute, die aus Überzeugung das eine oder das andere boykottieren, ... aber es schlägt sich noch nicht so richtig durch, aber ich glaube, dass liegt nicht daran, dass die Leute nicht richtig wollen, sondern dass sie nicht genug drüber sprechen und das gemeinsam machen und daraus politische Forderungen ableiten."

    So reicht es aus der Sicht von Tanja Busse nicht, beim Lebensmittelkauf darauf zu achten, dass Obst und Gemüse ein Bio-Siegel tragen. Es reicht auch nicht, zum Neuland-Schlachter zu gehen, der nur Fleisch von artgerecht gehaltenen Tieren anbietet. Selbst die Bereitschaft, für die Milch von Weide-Kühen fünf Cent mehr zu zahlen als für Milch aus Agrarfabriken, genügt immer noch nicht. Zum politischen Konsumenten im Sinne von Tanja Busse qualifiziert sich erst, wer auch die Forderung nach strengeren Agrar-Gesetzen für die gesamte Landwirtschaft aktiv unterstützt.

    "Bio-Lebensmittel sind deshalb teurer, weil die Schäden, die in der Industrie-Landwirtschaft entstehen, nicht auf die Kosten der Produkte umgerechnet werden. Also es gibt keine Pestizid-Abgabe, obwohl das Trinkwasser durch Pestizide z. T. verschmutzt wird, und auch Tierschutzrichtlinien sind sehr, sehr lasch und wenn das alles nicht gestattet wäre, wenn man sagen würde, es gibt Mindeststandards, die wir einhalten sozial, ökologisch, ethisch, wenn es diese Mindeststandards gäbe, dann wären auch die korrekten Lebensmittel nicht mehr teurer."

    Bei gleichen Preisen ließen sich konventionell hergestellte Lebensmittel nicht mehr so gut verkaufen. Andererseits: Ohne die Billigangebote kämen zum Beispiel Hartz-IV-Empfänger mit ihrem Budget nicht mehr zurecht. Bewusstes Einkaufen ist auch eine soziale Frage, betont Tanja Busse. Dem würde auch Fred Grimm sicher nicht widersprechen, aber er schreibt es nicht so ausdrücklich. Auch sein Buch ist durchaus kritisch, aber selten so pointiert wie das von Tanja Busse. Und er leitet aus seine Diagnosen kaum politischen Forderungen ab. Getreu seinem Titel "Shopping hilft die Welt verbessern" glaubt er, der Konsument könne die Probleme selbst lösen.

    "Wir Verbraucher haben die Macht, mit unseren Kaufentscheidungen, Produkte und Firmen zu unterstützen, die ökologisch-soziales Bewusstsein, Qualität und Ästhetik vereinen."

    Bei Tanja Busse müssen die Verbraucher die Unternehmen immer wieder unter Druck setzen. Sie sollten sie mit Nachfragen und Emails eindecken und sich an Kampagnen von Organisationen wie Greenpeace oder Foodwatch beteiligen. Grimm vertraut auf die Marktmacht der Konsumenten, Busse setzt auf die Kombination von aufgeklärtem Einkaufsverhalten und intensiver Lobbyarbeit. In dieser anderen Akzentuierung liegt der Hauptunterschied der beiden Bücher, die sich ansonsten inhaltlich sehr ähnlich sind. Beide sind nach Produktgruppen gegliedert, beide beginnen mit Lebensmitteln und Textilien, also mit den Dingen, die wir am häufigsten kaufen. Beide erzählen haarsträubende Geschichten von vergifteten Produkten, die dennoch massenhaft in den Handel kamen. Beide berichten aber auch von den ersten Verbrauchergruppen, die sich dagegen wehrten. Und die darüber hinaus danach zu fragen begannen, unter welchen Bedingungen denn die Bauern oder Näherinnen arbeiten mussten, die diese Produkte herstellten. Einige dieser Gruppen schlossen sich zusammen zur Kampagne für fairen Handel. Die vertreibt hier in Deutschland Waren, die von Genossenschaften in der Dritten Welt hergestellt werden. Zusätzlich zum Weltmarktpreis erhalten die Produzenten einen Aufschlag, damit sie ihre Arbeiter besser entlohnen können, erklärt Georg Abel von der Verbraucher-Initiative.

    "Neben den besseren Arbeitsbedingungen, die diese Menschen haben, gibt es Sozialleistungen wie ärztliche Versorgung, das Recht auf Gewerkschaftsfreiheit und die Kriterien des fairen Handels, wie zum Beispiel des Verbot illegaler Kinderarbeit wird eingehalten und es wird natürlich auch kontrolliert."

    Zu erkennen sind die fair gehandelten Produkte an dem Fair-Trade-Siegel, das auf die Produkte aufgeklebt ist. Längst gibt es sie nicht mehr nur in Dritte-Welt-Läden, sondern auch in Kaufhäusern und Supermärkten. Prominente wie die Schauspielerin Nina Petri werben für den Kauf solcher Waren.

    "Also, ich find's einfach eine supergeniale Sache, dass man sich indem man faire Produkte kauft, konsumiert gleichzeitig für Armutsbekämpfung einsetzen kann und auch noch soziale Projekte unterstützt."

    Nicht zuletzt die Unterstützung von Show- oder Sportstars hat dazu geführt, dass ökologisch und sozial bewusster Konsum heutzutage als chic gilt. Fred Grimm und Tanja Busse beschreiben, wie die Kampagne für den fairen Handel längst zahlreiche Nachahmer gefunden hat. Genossenschaften von Bio-Bauern haben sich gebildet, die ihre Produkte mit eigenem Siegel in ihrer Region vertreiben. Für Kleidung und Teppiche, für Holz und Möbel und zahllose andere Artikel gibt es inzwischen ähnliche Siegel. Auf manche kann man vertrauen, andere sind reiner Etikettenschwindel. Beide Bücher helfen hier weiter, erklären, von wem die wichtigsten Siegel verliehen werden, für was sie stehen und wer kontrolliert, ob für die Produktion wirklich kein Regenwald abgeholzt wurde und die Arbeiter einen anständigen Lohn erhielten. Beide Autoren verweisen aber auch darauf, dass solche Siegel bei vielen Produktgruppen noch fehlen. Zum Beispiel bei Handys. Die enthalten alle Mikroprozessoren aus dem Edelmetall Tantal. Und an dem klebt häufig Blut, wie Fred Grimm beschreibt.

    "Noch vor kurzer Zeit wurden 80 Prozent des weltweit verwendeten Tantals aus Vorkommen des zentralafrikanischen Landes Kongo gewonnen. Im Kongo herrscht seit Jahren ein Bürgerkrieg, der seit 1998 vier Millionen Menschenleben forderte. Seit langem ist bekannt, dass die verschiedenen Kriegsparteien ihren Kampf mit dem Verkauf des Tantal-Grundstoffes Coltan finanzieren."

    Grimm zitiert anschließend zahlreiche Handy-Hersteller, die kein Tantal kongolesischer Herkunft mehr verwenden wollen. Tanja Busse kennt diese Beteuerungen auch, aber sie führt daneben UN-Studien an, wonach die Geschäfte der Kriegsparteien weiter florieren.

    "An der Stelle bin als Konsument fast machtlos. Ich kann bei meinem Hersteller nachfragen, woher beziehen sie das Coltan für ihre Handys und es wird gehandelt auf verschiedenen Zwischenstufen und verschiedenen Ebenen und es ist relativ kompliziert zu sagen, diese Charge Coltan kam nun genau daher und wenn das irgendwo lagert, weiß man auch nicht mehr genau, wo es herkommt, weil eben auch die Zwischenhändler diese Kriegsherkunft zu verschleiern versuchen."

    "Zum verantwortungsvollen Konsum braucht man Zugang zu Informationen. ... Die Hersteller wissen alles über die Produktion ihrer Waren, ihre Kunden sehr viel weniger."

    Der Kampf um mehr Informationen wird für Tanja Busse darüber entscheiden, ob die Konsumenten wirklich sozial und ökologisch bewusst einkaufen können. Deshalb kritisiert sie gegen Ende ihres Buches auch die ihrer Ansicht nach immer noch unzureichenden Informationsrechte für Verbraucher. Gleichzeitig warnt sie vor Kundenkarten, die der Kontrolle der Verbraucher dienen, und vor neuartigen Chips, die bald auf die Waren geklebt werden könnten und den Handelsketten noch viel mehr über das Kundenverhalten verraten würden. Tanja Busse wendet sich an politisch interessierte Konsumenten, die auch außerhalb des Ladens mitbestimmen wollen über die Art und Weise, wie Unternehmen produzieren und Handel treiben. Fred Grimm hat einen Einkaufsführer für den eiligen Konsumenten geschrieben, für den sozial-ökologische Sensibilität zum Lifestyle gehört. Sein Buch bietet den umfassenderen Service, weil es auch Themen wie Reisen oder Kosmetika mit einschließt, die bei Tanja Busse fehlen. Beide Werke taugen als praktische Ratgeber für den Alltag. Sie sind übersichtlich gegliedert und bieten zahlreiche Hinweise auf weitere Informationsquellen, vor allem im Internet. Für welches der beiden Bücher man sich entscheidet, ist letztlich eine Frage des politischen Temperaments.

    Tanja Busse propagiert in ihrem Buch "Die Einkaufsrevolution". Konsumenten entdecken ihre Macht, heißt es programmatisch im Untertitel, verlegt vom Münchner Karl Blessing Verlag zum Preis von 14 Euro 95. "Shopping hilft die Welt verbessern". Das ist die These von Fred Grimm und auch der Titel des gleichnamigen Buches, das im Untertitel "Der andere Einkaufsführer" heißt. Erschienen sind die 400 Seiten bei Goldmann als Taschenbuch für 14 Euro 95.
    Wir nähern uns dem Ende der Politischen Literatur. Ich danke Ihnen für's Zuhören und wünsche Ihnen noch einen schönen Montagabend. Am Mikrophon war Sandra Pfister.