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Geiz ist gefährlich

Manche BAföG-Empfänger nehmen es mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau, wenn es dafür mehr der begehrten Finanzunterstützung geben könnte. Seit einem Jahr sind den vermeintlichen Sozialbetrügern jetzt Fahnder der Studentenwerke auf der Spur.

01.05.2003
    Geiz ist geil, hämmert die Werbung, und mancher versteht das offenbar als Aufruf nicht nur zur Knickrigkeit, sondern auch zur Selbstbedienung. Das gilt auch für die mehr als 300.000 Bezieher von BAföG in Deutschland. Mehrere zehntausend Studierende müssen derzeit nämlich nachweisen, dass Sie die Unterstützung vom Staat in der Vergangenheit zu Recht erhalten haben. Sonst drohen ihnen, warnt ein Göttinger BAföG-Fahnder, empfindliche Strafen.

    Das BAföG kennt ein Ordnungswidrigkeiten-Verfahren. Ordnungswidrigkeiten können mit einem Bußgeld bis zu 2500 Euro geahndet werden, und das gilt bei Vorsatz, diese Höchstgrenze. Bei Fahrlässigkeit liegt die Höchstgrenze bei 1250 Euro, und in dem Rahmen könnten aber eben Bußgelder festgesetzt werden. Und im allerschlimmsten Fall, wenn auch kriminelle Energie dahinter festzustellen ist und man auch eine echte Bereicherungsabsicht erkennt, dann könnte auch eine Strafanzeige erfolgen.

    Dass beim BAföG jetzt die finanziellen Daumenschrauben angezogen werden, finden manche Studierende gar nicht so schlimm:

    Prinzipiell ist das eigentlich schon eine ganz gute Sache, weil ja doch relativ viel Schindluder getrieben wird mit dem BAföG, und da eben einige gleicher behandelt werden als andere, und ich finde das eigentlich eine gute Sache, dass das jetzt ein bisschen restriktiver gehandhabt wird.

    Dabei haben es die Studierenden noch relativ gut, sagt der Anwalt für Verwaltungsrecht Wilhelm Achelpöhler:

    Die Sozialhilfe-Empfängerin, die abends ab 22 Uhr noch putzen geht und das gegenüber dem Sozialamt verschweigt und das drei Mal macht, die hat sicherlich erhebliche Strafen zu befürchten, während ein Student, der hier drei Mal falsche Angaben beim BAföG gemacht hat, mit einer Ordnungswidrigkeit wegkommen kann - diese Chance, wenn man sie hat, sollte man nutzen.

    Ans staatsbürgerliche Bewusstsein appelliert der Bildungspolitiker Lutz Stratmann:

    Ich halte es für selbstverständlich, dass, wenn ich Antragsformulare auszufüllen habe, dass ich da wahrheitsgemäß antworte. Ich werde ja auch im Anschluss an das Ausfüllen eines solchen Formulars darauf hingewiesen, dass ich zur Wahrheit verpflichtet bin.

    Bundesweit machen derzeit Studentenvertreter gegen vermeintlichen Datenmissbrauch mobil. Sie sind sauer, weil die BAföG-Ämter seit einigen Monaten per Datenabgleich überprüfen, ob das im BAföG-Antrag angegebene Vermögen und die tatsächlich erzielten Zinseinkünfte zusammen passen.

    Wer einmal BAföG beantragt hat, dem kommt danach jede Steuerklärung wie ein Spaziergang vor. Im Antrag für Zahlungen nach dem Bundesausbildungs-Förderungsgesetz wird detailliert nach jeder nur möglichen Einkommensquelle gefragt. Damit soll sichergestellt werden, dass nur derjenige BAföG bekommt, der es auch wirklich braucht. Manche Studenten missverstehen das jedoch ganz offensichtlich als Aufforderung zum Vertuschen. Seit einem Jahr vergleichen deshalb die Landesämter für Ausbildungsförderung und das Bundesamt für Finanzen ihre jeweiligen Datensätze, um solchen Sozialbetrügern auf die Schliche zu kommen.

    Bernhard Mann ist Referatsleiter der Landesdatenschutzbeauftragten in Nordrhein-Westfalen. Er hält diese Praxis des Datenabgleichs für höchst fragwürdig - eine Einschätzung, die auch auf einer Konferenz der Datenschützer aus Bund und Ländern vor einigen Wochen geteilt wurde.

    Da bestand unter den Datenschutzbeauftragten aller Länder Einigkeit darüber, dass ein solcher Abgleich, wie er jetzt vorgenommen wird, aufgrund der mangelhaften Rechtslage derzeit nicht möglich sein dürfte.

    Denn weder das zuständige Sozialgesetzbuch noch das Einkommens-Steuergesetz erlauben die Datenlieferung der BAföG-Ämter an das Bundesamt für Finanzen. Bernhard Mann:

    Wichtig ist natürlich, herauszustellen, dass Datenschutz kein Tatenschutz ist. Das heißt: Es gibt keinen Datenschützer, der sich schützend vor jemanden stellen würde, der bewusst und gewollt im Rahmen seines BAföG-Antrags - gerade, wenn es um sein Vermögen und Zinseinkünfte geht - bewusst und vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat. Das ist nicht das Anliegen des Datenschutzes. Das Anliegen des Datenschutzes kann nur sein, dass unabhängig davon, welches Verfahren gewählt wird, dieses Verfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt. Und einer dieser Grundsätze ist eben, dass für eine Datenverarbeitung immer eine ausreichende Rechtsgrundlage vorhanden sein muss.

    Und trotzdem: Wer irgendwann einmal in seinem Leben einen Freistellungsauftrag bei einer Bank unterschrieben hat, muss davon ausgehen, dass diese Bank jedes Jahr das Bundesamt für Finanzen darüber informiert, wie viele Zinsen auf jedes Konto des Kunden entfallen. In einer automatisierten Rasterfahndung werden dann die BAföG- und die Zinsdaten mit einander verglichen. Am Ende spuckt der Computer eine Liste mit denjenigen BAföG-Empfängern aus, die verdächtig hohe Zinsbeträge kassiert haben. Wilhelm Achelpöhler, Rechtsanwalt in Münster, sieht dabei durchaus Parallelen zur Rasterfahndung nach terroristischen Schläfern, wie sie nach dem 11. September 2001 durchgeführt wurde. Wilhelm Achelpöhler:

    Es werden einfach mehrere Dateien miteinander abgeglichen, die Schnittmenge von beiden gebildet. Das wird hier gemacht, um herauszufinden, ob jemand zu Unrecht BAföG bezogen hat. Das wird in anderen Fällen dann gemacht, um herauszufinden, ob jemand islamischer Terrorist ist. Da muss man sagen, die Erfolgsaussichten für beide Verfahren sind doch sehr unterschiedlich: Die Studentenwerke sind bei den Studierenden, die Vermögen hatten, doch in erheblichem Umfang fündig geworden; islamische Terroristen sind durch diese Methode bisher noch nicht entdeckt worden.

    Allein in Münster sollen die Rückforderungen in Sachen BAföG bereits die Millionengrenze überschritten haben. Trotzdem, sagt Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, sei noch lange nicht jeder, der viele Zinsen kassiert, auch ein Sozialbetrüger. Wilhelm Achelpöhler:

    Wer meinetwegen am 1. oder 2. Januar 2001 Zinsen gutgeschrieben bekommen hat auf seinem Konto, da wurde der Betrag dann gemeldet. Wenn er dann hinterher das Geld ausgegeben hat und im Oktober BAföG beantragt hat, dann hat er zwar Zinseinnahmen erzielt, hat aber zum Zeitpunkt des BAföG-Antrags - und nur darauf kommt es an - kein Vermögen gehabt. Der muss natürlich gar nichts befürchten. In diesem Fall ist es also durchaus möglich, dass jemand Zinseinnahmen hat und tatsächlich hat er zum Antragstag kein Vermögen gehabt.

    Ohnehin setzt die BAföG-Fahndung bereits ein, wenn Zinsen in Höhe von nur 100 Euro kassiert wurden. Bei einem Zinssatz von fünf Prozent wäre das demnach ein Hinweis auf ein Vermögen von 2000 Euro. Der Freibetrag liegt aktuell allerdings bei 5200 Euro. Im Klartext: Überprüft werden auch etliche Studierende, die auf keinen Fall Sozialbetrug begangen haben können. Umso mehr regt sich Wilhelm Achelpöhler darüber auf, wie fahrlässig aus seiner Sicht mit den hochsensiblen Daten der Studierenden umgegangen wird.

    Man muss ja sehen: Mit einem BAföG-Antrag, da steht der Student ja quasi nackt vor dem Studentenwerk und hat alles angegeben. Und mit diesen Daten muss vernünftig umgegangen werden, und da geht's aus meiner Sicht nicht, dass ich da zum Zwecke des Datenabgleichs, den man dann irgendwo auf Bundesebene für sinnvoll hält, sich vom Landesamt einfach die Daten beschafft und abgleicht. Das geht so nicht.

    Außerdem gebe es etliche Fälle, so Achelpöhler, in dem die Kinder gar nicht wissen, dass ihre Eltern auf ihren Namen Geld angelegt haben.

    Auf einem Konto, dass sie im Namen ihrer Kinder eingerichtet haben. Von dem haben die Kinder nie was erfahren, bis irgendwann mal nach dem 18. Geburtstag einen Stoß von Unterlagen herübergereicht hat, und eins davon war der Freistellungsauftrag für das Konto. In dem Moment ist das Kläppchen gefallen, und das Ganze, was die Eltern für die Kinder angelegt haben, wird den Kindern jetzt vom BAföG abgezogen - hat sich nicht sonderlich gelohnt, die Sparsamkeit.

    Wilhelm Achelpöhler hofft, dass es noch in diesem Jahr zu einer ersten Gerichtsurteil in Sachen Datenabgleich kommt. Eine Siegener Studentin hat vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Rasterfahndung in Sachen BAföG geklagt. Es ist klar, dass solche Rechtsstreitigkeiten die Bildungsminister in Bund und Ländern verunsichern. Und deshalb schmieden sie bereits Pläne, den Datenabgleich auf eine neue gesetzliche Grundlage zu stellen. Doch Datenschützer Bernhard Mann bleibt skeptisch:

    Ist es überhaupt notwendig? Oder komme ich mit dem vorhandenen Rechtsinstrumentarium, was ich habe, aus? Das wäre hier eben die Frage, ob nicht durch eine Verfeinerung der Datenerhebungspraxis der Ämter für Ausbildungsförderung, in dem eben in diesem Punkt andere Nachweise gefordert werden oder die Ämter für Ausbildungsförderung eben gezielt Stichproben unternehmen und auf der Basis eben überprüfen, ob die angelieferten Daten auch richtig sind. Wenn ich dieses Instrumentarium, dass die Stellen ja derzeit schon haben, etwas intensiver nutze, könnte nach meiner derzeitigen Auffassung zumindest die Frage zu Recht gestellt werden: Brauchen wir dann noch eine Norm, die einen 100-prozentigen Abgleich der Daten aller BAföG-Empfänger mit dem Bundesamt für Finanzen beinhalten würde, denn darin liegt ja indirekt die Aussage: Alle BAföG-Empfänger sind potenzielle Förderungsbetrüger, und das ist eine Aussage, die sehr weitgehend wäre.

    Es scheint allerdings, dass in den zuständigen Ministerien die Studierenden in ihrer Gesamtheit sehr wohl für potenzielle Sozialschmarotzer und Betrüger gehalten werden. Denn in keinem einzigen der 16 Bundesländer hat eine Landesregierung sich den ablehnenden Voten der Datenschutzbeauftragten gebeugt. Im Gegenteil, die BAföG-Fahndung läuft. Bundesweit und flächendeckend.

    Links zum Thema

    Aktueller BAföG-Bericht der Bundesregierung.

    Offizielle Homepage des Bundesbildungsministeriums mit aktuellen BAföG-Regelungen, Formularen, Gesetzen und BAföG-Rechner: www.das-neue-bafoeg.de

    In der Broschüre "Ausbildungsförderung - BAföG, Bildungskredit und Stipendien" werden neben dem neuen BAföG auch weitere Fördermöglichkeiten dargestellt. Bestellung unter Tel. 01805-262302 sowie per Email unter books@bmbf.bund.de

    BAföG-Hotline des Bundesministeriums und des Deutschen Studentenwerks (kostenfrei): 0800-2236341 (montags bis freitags von 8:00 bis 20:00, samstags von 10:00 bis 14:00)