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Gejagtes Rüsseltier

Archäologie. - Dass die sogenannte Clovis-Kultur von vor rund 13.000 Jahren mit ihren prägnanten Pfeilspitzen nicht die erste menschliche Kultur auf amerikanischem Boden war, setzt sich in der Archäologie langsam durch. Die Rippe eines Mastodons, die vor rund 13.800 Jahren von einer Pfeilspitze aus Knochen getroffen wurde, untermauert diesen Befund jetzt.

Von Katrin Zöfel | 21.10.2011
    Das CT-Bild zeigt deutlich einen porösen Knochen, in dem steckt tief hineingebohrt eine hell weiße Knochenspitze. Das, sagt der Forscher Michael Waters von der Texas A&M University, war einmal die Speerspitze eines jagenden Menschen.

    "Aus Sicht des Jägers war das aber ein ziemlich schlechter Wurf. Eigentlich wollte er zwischen die Rippen treffen und so innere Organe verletzen, aber das Tier hat sich wohl bewegt oder er hat schlecht gezielt, jedenfalls traf der Speer eine Rippe und blieb stecken, statt zwischen die Rippen einzudringen."

    Am Ende erlegten der Jäger und seine Horde ihre Beute doch, ein Mastodon, ein großes, damals häufiges, elefantenartiges Tier. Es wurde an Ort und Stelle Stück für Stück ausgeweidet, das zeigen Schnitt- und Schlagspuren an weiteren Knochenstücken. Die Überreste der Jagd wurden 1979 nahe Manis im Nordwesten der USA von einem Schaufelbagger zufällig zutage gefördert. Archäologen bestimmten das Alter der Funde auf ungefähr 14.000 Jahre. Doch das widersprach der gängigen Theorie, dass erst etwa 1000 Jahre später Menschen auf dem amerikanischen Kontinent gelebt und gejagt hätten, die Menschen der sogenannten Clovis-Kultur. Die Ergebnisse der ersten Untersuchung wurden angezweifelt. Erst die neue Studie von Michael Waters und seinen Kollegen zeigt, die Knochen sind tatsächlich um die 13.800 Jahre alt. Waters ließ das Rippenstück außerdem im Computertomographen scannen, die Bilder zeigen deutlich, wie die Speerspitze im Knochen feststeckt. Und:

    "Wir haben DNA und Eiweiße aus der Speerspitze untersucht, und stellten fest, dass sie aus Mastodon-Knochen besteht. Das heißt, diese Menschen müssen vorher schon mindestens ein Mastodon erlegt haben, aus dessen Knochen machten sie dann die Speerspitze für die nächste Jagd."

    Inzwischen gibt es zahlreiche, gut untersuchte Hinweise darauf, dass moderne Menschen den amerikanischen Kontinent früher besiedelten als lange vermutet, sagt der Forscher Bruce Bradley von der Universität von Exeter in Großbritannien:

    "Dieser Fund ist nicht einzigartig, überhaupt nicht. Ich schätze, es gibt inzwischen so um die 20 Fundstätten in ganz Nordamerika, die alle zeitlich vor der Zeit der Clovis-Kultur liegen. Aber die Studie ist ein weiteres, wichtiges Teilstück für das große Puzzle."

    In die Zeit dieses Puzzles vor 12 bis 14.000 Jahren fällt auch das allmähliche Verschwinden fast aller großen Wildtiere der Region. Michael Waters:

    "Im späten Pleistozän gab es in Nordamerika riesige Herden von Mammuts, Mastodons, Riesenbisons und Pferden, aber so etwa um 12.700 waren sie alle ausgestorben."

    Häufig wird das Auftauchen des jagenden Menschen als Grund für das Verschwinden der großen Tierarten genannt. Doch vermutlich, so Waters, war die Änderung des Klimas mindestens genauso wichtig. Es wurde deutlich wärmer, die Vegetation veränderte sich dramatisch. Und möglicherweise war die Tatsache dass die Menschen allmählich immer bessere Jagdwaffen entwickelten, eine Reaktion auf diese Veränderungen in seiner Umwelt.

    "In der Zeit, als die Clovis-Kultur entstand, waren nur noch Mammuts und Mastodons übrig geblieben. Vielleicht entstanden die ausgeklügelten Jagdwaffen dieser Zeit, weil die Menschen nur noch diese großen Tiere als mögliche Beute vorfanden. Die neuen Clovis-Klingen jedenfalls sind viel besser geeignet als die ursprünglicheren, um Großwild zu verletzen, zu schwächen und schließlich zu erlegen."

    Stimmt diese Theorie, wäre das Entstehen der Clovis-Kultur, also der ersten großräumig verbreiteten Kultur auf amerikanischem Boden quasi eine erzwungene Reaktion auf widrige Umstände.