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Gekaufte Begeisterung

Ein Konzert, eine Talkshow oder eine Party steht und fällt mit der Stimmung. Ob die immer aufkommt, lässt sich aber schwer vorhersagen. Wer als Veranstalter nichts dem Zufall überlassen will, kann Stimmungsmacher, sogenannte Claqueure, engagieren.

Von Sebastian Witte | 19.03.2013
    Joel Aufterbeck sitzt an einem Freitagabend in seiner Kölner Studentenwohnung. Aus den Boxen klingt Led Zeppelin. Obwohl er Rockfan ist, sieht er sich heute mit seinen Freunden die Show eines Schlagerkünstlers an. Diese Musik mag er eigentlich überhaupt nicht. Aber er geht auch nicht nur zum reinen Vergnügen zu diesem Konzert.

    "Heute Abend werde ich als Claqueur arbeiten! Es erwartet mich schlechte Musik, aber ich glaube auch eine ganze Menge Spaß, weil ich mit meinen Freunden dahin gehe und wir einfach versuchen, das Beste da rauszuholen."

    Als Claqueur soll Joel auf Veranstaltungen jubeln und klatschen, aber auch im richtigen Moment Stillschweigen bewahren. Keiner soll wissen, dass er gemietet wurde, um das Konzert zu besuchen. Wenn das raus käme, wäre der Ruf der Veranstaltung und des Künstlers ruiniert. Wessen Auftritt sich Joel ansieht, darf er deshalb nicht verraten. Das steht in seinem Arbeitsvertrag. Auch sein Auftraggeber bleibt geheim.

    "Es ist ja entweder so, dass der Künstler nicht weiß, dass seine Fans gekauft sind. Oder es ist so, dass der Künstler davon weiß, aber nicht möchte, dass es an die Öffentlichkeit gerät, weil es natürlich ein bisschen unangenehm ist."

    Dabei stört es Joel kein bisschen, dass er als Fan von harter Gitarrenmusik, auf einem Schlagerkonzert klatscht.

    "Ich gehe auch für Geld ins Büro! Ich bin Student und brauche Geld, und das ist immerhin ein lustiger Job, der nicht langweilig ist. Es soll ja nicht erfüllend sein."

    Claqueure wie Joel werden von Veranstaltern nicht nur für Konzerte gemietet. Auch auf Messen, Firmenevents, Flash Mobs oder Partys sorgen sie für Stimmung. Eine Agentur, die dafür Leute bereitstellt, ist "Rent A Fan" aus Bayern. Seit der Gründung vor rund zehn Jahren haben sich schon über 6000 Leute als Fans angemeldet. Im deutschsprachigen Raum schickt "Rent A Fan" diese Claqueure auf etwa 20 Veranstaltungen pro Jahr. Auch die Auftraggeber melden sich über das Internet bei Klaus Bernhard, dem Chef von "Rent A Fan".

    "Als Erstes kommt immer erst mal eine E-Mail-Anfrage. Dann sagen wir dem Kunden, dass wir unbedingt miteinander sprechen müssen, damit wir genau wissen, was er will. Dann wird ein Angebot erstellt, und dann fangen wir an, unsere Datenbank zu durchkramen für Leute, die dafür infrage kommen."

    Der "Rent A Fan"-Chef ist bei allen Aufträgen selber mit dabei. Mal geht er mit zehn Fans auf ein Konzert und mal werden 200 Klatscher für einen Flash Mob eingeladen.

    "Der Auftraggeber bekommt auch gar nicht mit, wer jetzt Claqueur ist und wer nicht. Wir statten unsere Leute ja nicht mit roter Nase aus!"

    Ein Event kann von den Stimmungsmachern enorm profitieren. Dem Veranstalter, dem Künstler und dem Publikum wird suggeriert, an einem erfolgreichen Event teilgenommen zu haben.

    "Ich sehe das nicht als Betrug. Ich sehe das als Marketinginstrument. Wenn ich mir abends die Werbung ansehe, wird mir so viel Unwahrheit vorgegaukelt. In dem Fall ist es ja so, dass das vorhandene Publikum noch mehr mitgeht, noch mehr klatscht!"

    Klaus Bernhard schickt Claqueure zu jeder Art von Veranstaltung. Auch eine Beerdigung war schon mal dabei. Dort musste der gemietete Gast natürlich nicht klatschen und jubeln, sondern Anteilnahme zeigen. Die gespielte Echtheit hat aber auch für Klaus Bernhard Grenzen: Anfragen für politische Veranstaltungen lehnt er ab.

    "Generell machen wir keine politische Meinungsbildung. Von uns wird es keine bezahlten Demonstranten geben. Ein Produkt zu verkaufen ist was anderes, als eine Meinung zu verkaufen. Ich bin mir auch sicher, dass wir nicht einen Fan dafür finden würden. Auch bei uns zählt ein bisschen freie Meinungsbildung!"

    Joel und seine Freunde brechen auf. Der Schlagersänger ruft. Vor Ort werden sie Trillerpfeifen bekommen, um Stimmung zu machen. Es soll alles real wirken, wenn sie vor der Bühne stehen und applaudieren.

    "Man wird ja dafür bezahlt, möglichst echt und authentisch rüber zu kommen. In der perfekten Welt kann ich echte von gekauften Fans nicht unterscheiden."