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Geklärte Familienverhältnisse

Paläontologie. - Die Einordnung fossiler Funde in ein biologisches System, das die Abstammung und Verwandtschaft unserer Vorfahren klären soll, ist schwierig. Argentinische Forscher berichten jetzt von einer neuen Methode, wie sich die Verwandtschaftsverhältnisse von Neandertaler und Co klären lassen.

Von Michael Stang |
    In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen die Hominiden Australopithecus afarensis, Parantrhopus boisei und Homo erectus? Da heutzutage nicht nur diese drei, sondern knapp zwei Dutzend Vertreter der menschlichen Linie bekannt sind, können Paläontologen diese Familienverhältnisse nur schwer aufklären. Rolando González hat es dennoch versucht. Der argentinische Anthropologe vom Centro Nacional Patagónico in Puerto Madryn hat zusammen mit seinen Kollegen die Schädel von 17 Urmenschen untersucht. Das Ziel war: Wie kann man die komplexen Verwandtschaftsverhältnisse mit wenigen, aber eindeutigen Charakteristiken an den Knochen klären?

    "Wir haben uns entgegen der gängigen Praxis nicht für hunderte verschiedener Merkmale am Schädel entschieden, sondern lediglich für vier eindeutige anatomische Eigenheiten. Neben der Form des Schädels haben wir die Neigung des Gesichts, die Wölbung des Schädels und die Form des ganzen Kauapparats in unsere Analysen einfließen lassen."

    Nur vier im Gegensatz zu 100 Merkmalen, das klingt im ersten Moment ungenau, habe jedoch einen entscheidenden Vorteil, sagt Rolando González. Alle ungenauen Merkmale kämen in der Analyse nicht vor. Zudem sind strittige Datierungen, also wie alt ein Fund ist, außen vor. Es ging einzig darum, welche anatomischen Merkmale sich wie verändert haben. Anhand ursprünglicher und neuerer Merkmale lässt sich dann sagen: Urmensch B ist aus Urmensch A hervorgegangen, ohne dass eine zeitliche Komponente eine Rolle spielt. Gesagt, getan. Die Forscher vermaßen alle 17 Urmenschenschädel, zum Vergleich zusätzlich noch die Schädel eines heutigen Menschen, sowie einen von Schimpanse und Gorilla.

    "Unseren Ergebnissen zufolge haben wir den bislang schlüssigsten Stammbaum aller Hominiden erstellt, da die Daten logisch, eindeutig und damit unstrittig sind. Wir konnten dadurch etwa zeigen, dass die Neandertaler eine in sich geschlossene Gruppe sind, die kaum etwas mit unseren Vorfahren gemein haben, das gilt auch für den Homo heidelbergensis. Unseren Daten nach ist der Homo heidelbergensis nicht der letzte gemeinsame Vorfahr der Neandertaler und unseren Ahnen. Nur die Neandertaler sind aus dieser Linie hervorgegangen."

    Mit einem so klaren Ergebnis hatte niemand gerechnet. Das gleiche betraf die Überlegung, welcher Vertreter der Gattung Homo der Urahn aller Menschenformen ist. Paläontologen gingen bislang davon aus, dass dies Homo rudolfensis sein müsste, da seine Knochen mit rund 2,5 Millionen Jahren die ältesten sind. Dem widersprechen die neuen Daten jedoch.

    "Die Unterschiede zwischen Homo rudolfensis und Homo habilis sind nur im Detail zu klären, allein der Blick auf die Knochen löst das Rätsel nicht. Unseren Ergebnissen zufolge kann Homo rudolfensis nicht der Urahn der Gattung Homo sein, da er bereits neue Merkmale zeigt, die es später nicht mehr gibt. Demzufolge ist Homo habilis die Wurzel, aus der sich alle Vertreter des Genus Homo entwickelt haben."

    Ist der geschickte Mensch – der Homo habilis – nun tatsächlich der Urahn aller Menschen? Rolando González hatte nicht damit gerechnet, solche strittigen Fragen so einfach beantworten zu können.

    "Am meisten hat uns die Tatsache überrascht, welche klaren und eindeutigen Ergebnisse wir bei der Analyse von nur vier Parametern erhalten haben. Normalerweise heißt es immer, je mehr Merkmale bei solchen Stammbaumanalysen, desto besser. Das stimmt jedoch nicht ganz. Wir beanspruchen natürlich nicht die absolute Wahrheit für uns, jedoch konnten wir einige strittige Punkte klären. Um der Gefahr zu entgehen, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, ist es manchmal notwendig, sich nur auf wenige Merkmale zu konzentrieren. Manchmal ist eben weniger mehr."