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Geknechtete Insulaner

Am 5. April 1722 erreichte Jacob Roggeveen als erster Europäer ein abgelegenes Eiland im Pazifischen Ozean. Und da an diesem Tag Ostersonntag war, hieß es fortan Osterinsel.

Von Karl F. Gründler | 05.04.2007
    Im Frühjahr 1722 kreuzte der holländische Admiral Jacob Roggeveen mit drei Schiffen durch die endlosen Weiten der Südsee auf der Suche nach Gewürzen und Edelmetallen. Am Ostersonntag, dem 5. April, entdeckte die Mannschaft 3700 Kilometer westlich der chilenischen Küste ein spärlich bewachsenes Eiland. Roggeveen ankerte und nannte es anlässlich des christlichen Feiertages Osterinsel.

    Der mitreisende, aus Mecklenburg stammende Offizier Carl Friedrich Behrens beschrieb die erste Begegnung zwischen Europäern und den Rapa Nui, wie die Insulaner sich und ihre Insel nennen.

    "Die Einwohner sammelten sich in so großer Zahl um uns, dass wir nicht weiter konnten und sie mit Gewalt auseinander treiben mussten. Und als einige sich sogar unterstanden, unsere Waffen anzugreifen, ward Feuer unter sie gegeben, worüber sie sich heftig erschraken, und viele wurden erschossen."

    Roggeveen blieb wie die nachfolgenden europäischen Seefahrer des 18. Jahrhunderts nur wenige Tage. Hier gab es nichts Wertvolles zu erbeuten: kein Gold, kein Pfeffer oder Purpur, kaum Lebensmittel. So notiert der britische Weltumsegler James Cook 1774,

    "dass es kein Eiland in diesem Meer gibt, das weniger Erfrischungen und Annehmlichkeiten für die Schifffahrt bietet."

    Die europäischen Kurz-Besucher bewunderten die bis zu zehn Meter hohen Tuffsteinfiguren, Teil eines Polynesischen Ahnenkultes, und ließen die etwa 4000 Rapa Nui auf der Osterinsel ansonsten in Ruhe.

    Das änderte sich nach 1860, als der Sklavenhandel aus Afrika verboten wurde. Die Ausbeuter der Guano-Inseln vor Peru, Minen- und Haciendabesitzer setzten weiterhin auf Menschenware. Sklavenjäger unter peruanischer oder chilenischer Flagge steuerten daraufhin die zu diesem Zeitpunkt staatenlose Osterinsel an. Davon erzählen sich heute noch die Rapa Nui.

    "Sie kamen mit vielen Schiffen und lockten uns mit allerlei Zeugs ans Ufer. Plötzlich fingen sie an zu schießen. Wir wollten davonlaufen. Aber sie jagten uns von allen Seiten, schlugen uns nieder und fesselten uns. Die sie nicht kriegen konnten, schossen sie nieder, auch Frauen und Kinder. Überall Jammern und Schreien und Blut - soviel Blut."

    Binnen neun Monaten wurden 1500 Insulaner nach Peru in die Sklaverei verschleppt. Im ungewohnten Klima starben dort viele an Infektionskrankheiten. 1863 konnten auf internationalen Druck nur 15 Überlebende zurück auf ihre Insel gebracht werden, was dort ein neues Unglück auslöste. Der Alt-Amerika-Experte Gerd Kutscher:

    "Sie haben eben leider Epidemien mitgebracht sie haben vor allen Dingen Blattern eingeschleppt, und dadurch ist der größte Teil derjenigen Insulaner, die auf den Inseln geblieben waren, sehr bald gestorben, so dass 1864 überhaupt ungefähr nur noch 150 oder 160 Insulaner übrig waren."

    Noch Jahrzehnte später fand man ausgebleichte Gebeine überall auf der Insel. Die Kultur der Rapa Nui war im Kern zerstört. Niemand konnte mehr die heiligen Schriftzeichen lesen oder die Riten für die Ahnen ausführen. Und jetzt kamen Missionare, Abenteurer und Schafzüchter, die sich untereinander um Boden, Wasser und Tiere stritten.

    1888 annektierte Chile das ferne Eiland und verpachtete es als Weideland an verschiedene Farmer. Diese beanspruchten 88 Prozent der Fläche für ihre Tiere und sperrten die Rapa Nui mit Waffengewalt in ein Getto im Westen der Insel hinter Mauern und Stacheldraht. So berichtete ein chilenischer Offizier 1914 über das Leben der Rapa Nui:

    "Man verkauft ihnen kein Fleisch, man erlaubt ihnen nicht, zum Fischen hinauszufahren Ihre Felder sind unbearbeitet, da sie kein Saatgut und keine Geräte für die Landarbeit haben. Sie leben im größten Elend und haben kaum etwas, um sich zu bedecken."

    Ab 1917 verwaltete ein chilenischer Gouverneur die Insel, was die Lebensverhältnisse der Rapa Nui allerdings nicht verbesserte. Die Schafzucht bot nur Wenigen Arbeit. Sie durften nur ihre Parzellen im Getto bebauen und nicht die Insel verlassen. Wer heimlich nachts am Strand fischte, wurde eingesperrt oder ausgepeitscht.

    1964 erreichten die Rapa Nui mit herausgeschmuggelten Petitionen erstmals die Weltöffentlichkeit. Die chilenische Regierung wurde dadurch 1966 gezwungen, das Getto aufzulösen. Ureinwohner der Osterinsel erhielten nun alle Rechte der chilenischen Staatsbürger. Die heute etwa 3500 Inselbewohner leben ausschließlich von archäologisch interessierten Touristen.


    Literaturtipps:

    Hermann Fischer: "Schatten auf der Osterinsel" Oldenburg 1998
    Francis Mazière: "Insel des Schweigens" Berlin 1966
    Thor Heyerdahl: "Aku Aku" Berlin 1957