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Geknüllt oder gefaltet

Wer sein Altpapier achtlos in die blaue Tonne wirft verschenkt in vielen Städten bares Geld. Denn Altpapier ist auf dem Weltmarkt ein begehrter Rohstoff. Einige Unternehmen haben deshalb das alte DDR-Sammelsystem Sero in neuer Form wiederbelebt: Firmen oder Privatpersonen sammeln Altpapier und bringen es gegen Bezahlung zur Annahmestelle. Mit diesem simplen Konzept hat sich die Berliner Papierbank auf Expansionskurs begeben. 70 Filialen gibt es bereits.

Von Karsten Zummack |
    Mehrere Plastiktüten werden über einem großen blauen Container entleert. Heraus purzeln Zeitungen, Zeitschriften, Werbeprospekte.

    "235 Kilo sind das dann."

    Marko Knospe liest die Menge des Altpapiers an der Waage ab und notiert die Summe in einer Liste. Mehr als zehn Euro bringt die Lieferung, sagt der junge Mann. Er leitet die Annahmestelle im Berliner Ortsteil Alt-Biesdorf. Ein unscheinbarer, wüst wirkender Hof. Und dennoch stehen die Autos an diesem Vormittag Schlage.

    "Die fahren hier ran, liefern ihr Papier ab. Das wird hier gleich vor Ort verwogen. Und die Kunden haben alle ein Kundenkonto. Das haben sie halt beantragt bei der Papierbank. Und dem wird das dann gut geschrieben. Und wenn sie das Geld haben wollen, können sie es sich überweisen lassen. Der Grundpreis pro Kilo Papier ist fünf Cent."

    Für fleißige Sammler gibt es noch einen Mengenbonus. Nicht viel - doch Kleinvieh macht auch Mist, sagen sich offenbar viele der Kunden. So wie Rainer Adam. Der Rentner trägt das Altpapier im ganzen Wohngebiet zusammen. Zwei mal die Woche kommt er damit zur Annahmestelle der Papierbank.

    "Gute Sache. Erstmal nebenbei ein paar Pfennige. Reich wird man nicht davon. Aber 25 Euro jede Woche. Zu DDR-Zeiten war es so üblich, wurde ja alles gesammelt. Normalerweise hat es die Schule gemacht früher."

    Sekundärrohstofferfassung, kurz Sero, hieß das System damals. Papierbank heißt es heute. Firmengründer Dirk Bernhardt hat viel von Sero gehört in den vergangenen Jahren. Selbst kannte er das nicht. Bernhardt stammt aus Westberlin. Bis 1999 noch war der gelernte Ingenieur in einer Risikokapitalgesellschaft beschäftigt. Doch mit dem Platzen der New Economy-Blase ging auch diese Firma bankrott. Der heute 40-Jährige sattelte um, ging zu einer Firma im Bereich Recycling.

    "Die Idee für das Sammelsystem kam mir im Jahre 2004, als wir einen Standort hatten und wir überlegt haben, wie wir mehr Kunden generieren können, wie wir einfach mehr Material praktisch zu uns bekommen. Und dort haben wir angefangen, mit Flyerwerbung in der nahen Umgebung die Leute darauf aufmerksam zu machen, dass wir Papier gegen Vergütung entgegen nehmen."

    Im Osten Berlins musste er das Prinzip nicht lange erklären. Schnell meldeten sich die ersten tausend Kunden. So entstand die Geschäftsidee. Anfangs etwas belächelt. Doch der Papierpreis stieg von Jahr zu Jahr um zehn bis zwanzig Prozent. Aus seinem Büro in Berlin-Kreuzberg direkt am Ufer der Spree kann Bernhardt heute beobachten, wie sich überdimensionale Ballen aus Altpapier auf dem Hof stapeln.

    Gabelstapler hieven die begehrte Ware in riesige blaue und graue Container. Männer wühlen sich mit Handschuhen durch die Bündel. Immer wieder kommen neue Kunden, entladen ihren Auto-Kofferraum oder einfach nur den Fahrrad-Gepäckständer. Zwischen ein- und zweieinhalbtausend Tonnen werden hier monatlich weiter verarbeitet, sagt der Geschäftsführer. Und die Kurve kannte zuletzt
    nur die Richtung nach oben.

    "Wir haben natürlich auch eine sehr starke Nachfrage aus den asiatischen Ländern, hier in erster Linie China, Indien und Pakistan. Das führt natürlich auch dazu, dass der Inlandsmarkt, dass dort der Preis relativ stabil beziehungsweise auch weiter steigt. Denn wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, ist das eine ganz normale Bewegung, das heißt: der Preis wird dann steigen."”

    Das Altpapier geht nicht nur nach China. Längst können moderne Papierfabriken in Deutschland aus Altstoffen weißes Papier herstellen. Auch davon profitiert das Berliner Unternehmen von Dirk Bernhardt. Während die Konkurrenz in den Städten einfach blaue Tonnen platziert, setzt die Papierbank darauf, dass die Kunden selbst die Ware abliefern. Der Kampf um die Zeitung von gestern ist hart. Mancherorts werden die Altpapiertonnen nachts sogar von übereifrigen Sammlern geplündert. Geschäftszahlen will der Papierbank-Chef nicht preisgeben. Nur soviel, dass sich der Umsatz in den vergangenen zwei Jahren verdreifacht hat.

    Das ist auch zu spüren im Büro der Papierbank-Zentrale.

    Kundendienstleiterin Petra Götting kramt in einer Geldkassette, zahlt die Kunden aus. In dem verqualmten, engen Raum steht das Telefon kaum eine Minute still. Immerhin betreut die Frau von hier aus mehr als 50.000 Kunden.

    "Also wir haben wirklich die Kleinsammler dabei in allen Altersklassen. Also auch Kinder, die kommen, sich ein bisschen was zum Taschengeld dazu verdienen. Aber durchaus auch Großkunden dabei. Graphische Betriebe, das sind Schulen, das sind Kitas, die für die Klassenkassen oder für ihre Fördervereine zum Beispiel für die Schulen sammeln. Und das rechnet sich schon für die."

    Und es rechnet sich wohl auch für die Papierbank selbst. Fünf Cent pro Kilo zahlt sie selbst für Altpapier. Für acht bis zwölf geht es in der Regel wieder raus. In Anbetracht von Transport-, Lohn- und sonstigen Kosten keine üppige Gewinnmarge. Doch es reicht zum Leben, versichert Firmenchef Dirk Bernhardt.

    "Wir kalkulieren natürlich sehr eng am Limit. Das ist ganz klar. Da wir den Großteil der Vergütung, die wir selbst erhalten, an unsere Kunden ausreichen und unsere Partner natürlich auch bezahlen müssen, bleibt für uns am Ende nur ein kleiner Betrag übrig. Da wir aber mittlerweile 70 Stationen haben, können Sie sich vorstellen, dass ein kleiner Betrag, der vielleicht an 70 Stationen übrig bleibt, summiert sich am Ende zusammen und das reicht am Ende auch."

    Die Papierbank funktioniert als eine Art Franchise-Unternehmen. Das heißt: viele Annahmestellen arbeiten selbständig. Werden die mitgerechnet, leben insgesamt mehr als einhundert Menschen vom Papierbank-System. Und es werden immer mehr. So gibt es mittlerweile sogar einige Annahmestellen in Westdeutschland.