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Gekonnte Sprachakrobatik

Ake Edwardson gilt längst als ebenso populärer schwedischer Schriftsteller-Export wie Henning Mankell. Sein Protagonist Erik Winter hat sich neben Mankells Kurt Wallander einen ebenbürtigen Platz erobert. Neuster Fall für Winter: "Zimmer Nr. 10".

Von Ingrid Müller-Münch | 19.12.2006
    "Mein Name ist Ake Edwardson. Ich bin ein Autor aus Schweden."

    Ake Edwardson, schwedischer Erfolgsautor, in Deutschland vor allem durch seine Romane um den Göteborger Polizeikommissar Erik Winter bekannt. Sein neuester, soeben erschienener Krimi "Zimmer Nr. 10" ist in seinem Heimatland der erfolgreichste seiner bislang erschienen sieben Kommissar-Winter-Romane.

    "'Zimmer Nr. 10' ist eines meiner komplizierteren Bücher. Ich wollte darin deutlich machen, dass Dich die Vergangenheit immer einholt. Aufgebaut ist er ein bisschen wie ein Kammerspiel. Mit wenigen Personen, die immer wieder miteinander konfrontiert werden. Während Du als Leser spürst, dass es eine Antwort gibt auf die Verwicklungen, aber Du sie einfach nicht findest."

    Die Geschichte gestaltet sich in Zeitsprüngen, Vergangenes und Gegenwärtiges vermischen sich, sind miteinander verwoben. Das Eine kann nur durch das Andere verstanden werden.

    "Es geht um den Mord an einer jungen Frau, deren Leiche in Zimmer Nr. 10 eines schäbigen Göteborger Hotels aufgefunden wird. Als Erik Winter am Tatort eintrifft, wird ihm so nach und nach klar, dass er hier schon einmal war, n diesem Zimmer, 18 Jahre zuvor. Damals ging es ebenfalls um eine junge Frau, etwa im gleichen Alter wie die jetzige Tote, 29/30 Jahre alt, die vor 18 Jahren einfach verschwand und nie mehr auftauchte, die aber zuvor damals in diesem Hotelzimmer gewesen war."

    Die Tote, Paula Ney, hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, der zunächst auf Selbstmord hindeutet. Gleichzeitig finden sich aber keinerlei Hinweise darauf, dass sie jemals auf dem Stuhl stand, auf den sie hätte steigen müssen, um sich zu erhängen. War es Mord, war es Selbstmord? Edwardson liest die entscheidende Passage aus "Zimmer Nr. 10", in der Winter über diese Frage nachgrübelt.

    "Hatte Paula Ney den Brief an ihre Eltern wirklich selbst geschrieben? Die Schrift war ähnlich, und im Augenblick mussten sie davon ausgehen, dass Paula Ney den Brief geschrieben hatte, doch eine genauere Analyse sollte es endgültig beweisen. Genauere Analysen wurden an allem vorgenommen, was sie im Hotelzimmer gefunden hatten, aber Winter konnte nicht still in seinem Zimmer sitzen und warten, während andere die Vorarbeit leisteten. Er musste vom ersten Moment an über die vier großen Fragen nachdenken, die sich immer stellen, sofort. Was genau ist passiert? Warum ist es passiert, und warum gerade so? Wer könnte den Mord auf gerade diese Weise ausgeführt haben? Und welche Motive steckten dahinter?"

    Klassische Fragen, die ein Krimi eigentlich beantworten sollte. Ake Edwardson weiß das, empfindet sie als Herausforderung, will sie beantworten, aber ohne stringent nur auf die Lösung des Problems hinzusteuern. Seine Winter-Krimis bieten sehr viel mehr an literarischen Exkursen, an gedanklichem Beiwerk, das weit über einen lediglich unterhaltsamen Krimi hinausgeht:

    "Für einen Schriftsteller und seriösen Autor ist ein Krimi die größte Herausforderung. Es ist sehr schwierig, eine Geschichte zu schreiben, die ein richtiges Ende hat. In jeder anderen Romanform kannst Du irgendwann mittendrin, wann immer du willst, aufhören. Aber hier musst du zu einem Ende kommen. Das ist sehr schwierig. Ich wollte mich einer klassischen Dramaturgie bedienen, ein Geheimnis kreieren, gefolgt von der Suche nach Antworten und der Lösung. So lautet die Dramaturgie jeden Krimis. Ich wollte mich dieser Herausforderung stellen."

    Dabei hat Ake Edwardson den Ehrgeiz, sich aus der Schar der schwedischen Krimiautoren herauszuheben. Allein im vergangenen Jahr, so erzählt er, sind 85 schwedische Krimis erschienen. Die meisten sind seiner Meinung nach sehr schlecht. Auf gar keinen Fall will er mit ihnen verglichen werden, seinen Kommissar Erik Winter in einen Topf geworfen wissen mit dem Typus des melancholischen schwedischen Kommissars, der sein Leben verpfuscht hat.

    "Einer der Gründe, weshalb ich Erik Winter schuf, war, weil es für meinen Geschmack zu viele Kommissare gab, die dem Alkohol zu häufig zusprachen, die geschieden waren, heruntergekommen, mit Mayonnaiseflecken auf den Revers ihrer Jacketts, die Opernmusik liebten. Ich hatte den Eindruck, als wären Krimis zu Zufluchtsorten für gescheiterte, leidende ältere Männer verkommen. Hartnäckig hält sich das Klischee, genau dies sei typisch für schwedische Krimis. Aber Erik Winter ist in meinem ersten Roman über ihn erst 37 Jahre alt. Er hat nichts, aber auch gar nichts mit diesen Typen zu tun."

    Ake Edwardson schuf in Erik Winter eine Art Gegenpol zu diesem in Schweden unter anderem bei Henning Mankell äußerst beliebten Kommissar-Typen.

    "In meinem ersten Buch 'Tanz mit dem Engel' trägt Winter Baldessarini-Anzüge, nicht so billiges Zeug wie Armani oder Hugo Boss. Der Grund hierfür war seine Unsicherheit, seine Ängstlichkeit. Wie ein Ritter im Mittelalter seine Rüstung anzog, um sich zu schützen, zog Winter seine Anzüge an, um vor dem Bösen gefeit zu sein. Doch es funktionierte nicht, natürlich nicht. Aber diese Anzüge waren sein psychologischer Panzer."

    Inzwischen hat Winter das nicht mehr nötig. Er hat eine Familie, was für den Protagonisten einer erfolgreichen Krimiserie eher unüblich ist. Ake Edwardson gilt längst als ebenso populärer schwedischer Schriftsteller-Export wie Henning Mankell. Sein Protagonist Erik Winter hat sich neben Mankells Kurt Wallander einen ebenbürtigen Platz erobert. Beide beschreiben distanziert und mit kritischem Blick die Veränderungen im schwedischen Alltag. Die zunehmende Gewalt, den wachsenden Abstand zwischen Arm und Reich, die Abschottung der Etablierten gegen Flüchtlinge und Fremde. Beide, Edwardson wie Mankell, glauben dabei an die Kraft des Wortes, Ake Edwardson schon seit seiner Schulzeit.

    "Ich habe mit 15 Jahren eine Schülerzeitung gegründet. Wir druckten erotische Geschichten ab und sehr links angesiedelte revolutionäre Ideen. Das war eine anarchistische Zeitung. Der Rektor verbot die Schülerzeitung. Ich sollte abgestraft werden. Hierzu lud er demonstrativ den Journalisten der Lokalzeitung ein. In dessen Beisein sagte er mir, wie schrecklich, wie böse das sei, was ich da tue. Doch dieser Journalist schrieb einen Artikel und lobte die erfrischenden Ideen von uns jungen Leuten. Seitdem weiß ich, wie wichtig das geschriebene Wort ist. Du kannst damit etwas bewirken. Also beschloss ich, Journalist zu werden.

    Das war für mich als 15-Jähriger eine wichtige Erfahrung, zu erleben, dass man Leute durch das, was man schreibt, aus der Fassung bringen kann."

    Aus der Fassung bringen, das tut Ake Edwardson noch immer. Inzwischen nicht mehr als Journalist, sondern als Schriftsteller, vor allem aber als erfolgreicher Schöpfer eines Kommissars, der nicht nur ermittelt, sondern auch nachdenkt. Über den Sinn des Lebens, die fatalen Folgen falscher Entschlüsse, der melancholische Betrachtungen anstellt, aber deshalb noch lange nicht in Depressionen versinkt. "Zimmer Nr. 10" ist ein fast historisch anmutender Krimi, einfühlsam, anrührend, vor allem aber ein Genuss für Leser, denen es nicht nur um die Verfolgung falscher Fährten geht, sondern auch um das dazugehörende menschliche Beiwerk. Gedacht für Krimi-Fans, die sinnierend und illusionslos das Leben mit all seinen Schrecken betrachten möchten, wohlig im Lehnstuhl sitzend, darauf vertrauend, das ein Profi wie Ake Edwardson sie mit sicherer Feder und gekonnter Sprachakrobatik bis zum Finale leiten wird.