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Gekürte Regisseurin mit neuer Inszenierung

Sie handeln nicht, sie bekennen: immerhin! ist dies ja auch Handlung, denn das Wort, einmal gesagt, läßt sich nicht mehr verschlucken. Phädra liebt Hyppolytos, nur, daß das ihr Stiefsohn ist, aber was macht das, ist doch Theseus der Gatte und Vater verschwunden, tot geglaubt, da läßt sich schon mal das Ungeheuerliche aussprechen, nur, daß Hyppolythos wiederum Arikia liebt und nicht die Stiefmutter.

von Sven Ricklefs |
    Mich hat der Rache Durst der Himmlischen getroffen. Mir graut mehr vor mir selbst als es dich schaudert. Die Götter sind mir Zeuge, die Götter, die das Blut in meinem Leib entflammten, die Götter, die zu ihrem grausamen Triumph die Seele einer Sterblichen verstrickten. Du selber, denk an die Vergangenheit zurück. Ich mied dich nicht nur, Grausamer, ich habe dich vertrieben, verabscheuenswert wollt ich dir scheinen, unmenschlich, ich suchte deinen Haß, um besser dir zu widerstehen.

    Da steht man nun mit seinen Geständnissen und zum Überfluß kehrt dann auch noch der längst im Orkus geglaubte Vater unverhofft zurück und die Tragödie nimmt ihren Lauf: Hyppolythos fällt dem väterlichen Fluch zum Opfer, Phädra und ihr dienstbarer Schatten Önone schaffen sich selbst aus der Welt, übrig bleibt Arikia und übrig bleibt der Vater, der Heimkehrer, der diese Arikia gleich mal adoptiert.

    Was versöhnlich trauernde Geste scheint, könnte auch der Beginn einer fürchterlichen Fortsetzung sein, immerhin zeigt sich dieser Vater doch als Grund und Ursache allen Schreckens und auch allen Schweigens, das nur gebrochen wurde, weil er, der Herr des Hauses, wie es schien, nicht nur dieses Haus verlassen hatte, sondern sogar totgesagt war.

    Um Sprechen oder Schweigen und damit um Leben und Tod dreht sich diese in mächtig eleganten Alexandrinern gehaltene Racinesche Tragödie, die man nun in München allerdings in der nüchternen Prosaübersetzung von Simon Werle spielt.

    Überhaupt hat Regisseurin Barbara Frey das Nüchterne, das Unterkühlte ja Leblose dieser Figuren und ihrer Schicksale sichtlich interessiert, sind sie doch gefangen in einem Teufelskreis: Schweigen heißt Nicht-Leben, Reden aber heißt Sterben. Von lebloser Weite schon die Bühne: eine - fast wie ein kalter sakraler Raum -hochaufschießende Hotellounge, in der leere Sofas herumstehen und in der eine – allerdings niemals laufende – Jukebox wie ein Fremdkörper vom fernen Leben kündet: ein toter, moderner Allerweltsraum, aus dem Wegweiser zu scheinbar unendlichen Zimmerfluchten führen, Fahrstühle himmelwärts fahren.

    Und tatsächlich wird Önone, die Vertraute Phädras, einen dieser Lifte direkt hinauf zum Tod nehmen. Sie ist die Einflüsterin der Königin, die zum Geständnis drängt und später zur Verleumdung, (wird doch dem Heimkehrer Theseus der Sohn und nicht die Gattin als inzestiöser Verräter präsentiert). Und meist wandert diese Önone tatsächlich nur wie ein böser Schatten ihrer Königin durch das Stück, um einer der dunkelsten Frauenfiguren von Schuld zu entlasten. Doch Regisseurin Barbara Frey hat ihr einen Grund erfunden für ihr Tun, einen ebenso einfachen wie naheliegenden, auch Önone liebt ... und schweigt, sie liebt in lesbischer Zuwendung Phädra, die ihr manchmal tatsächlich – wie im Vorbeigehen – die eine oder andere Zärtlichkeit gewährt.

    Allerdings steht und fällt ein auch noch so zurückhaltendes Regiekonzept mit der Qualität der Schauspieler: und so scheitert auch Barbara Frey an den engen Grenzen des immer wieder weit überschätzten Talents der vor allem aus dem Film populären Juliane Köhler, die Großäugigkeit schon mit existentiellem Schrecken der Önone verwechselt. Sonst aber tragen Schauspieler wie Sybille Canonica, Lambert Hamel oder Christian Nickel diesen selten gewagten Klassiker mit aufrecht beeindruckendem Gestus, um im Laufe des Geschicks ihre Figuren mehr und mehr ins Schicksal zu beugen, bis schließlich Phädra ihrem Gatten die eigene verfehlende Liebe Stirn an Stirn gelehnt gesteht.

    Barbara Frey hat nach ihrem jetzt zum Berliner Theatertreffen eingeladenen Onkel Wanja nun am Bayerischem Staatsschauspiel in München eine ebenso kluge wie unspektakuläre Version von Phädra abgeliefert, die ihre Bedeutung sicherlich auch dadurch erlangt, daß sie an diesem von Dieter Dorn dominierten und oftmals ästhetisch hermetisch wirkenden Haus gänzlich auf jegliches Pathos verzichtet und es wagt im nüchtern modernen Zugriff eine eigene Handschrift zu formulieren und weiter zu schreiben.