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Gelähmtes Land

Seit dem Misstrauensvotum gegen die tschechische Regierung im März regiert in Prag ein überparteiliches Beamtenkabinett. Wichtige Richtungsentscheidungen bleiben seither liegen, man wartet die vorgezogenen Neuwahlen am 9. und 10. Oktober statt. Doch nun stellt das Verfassungsgericht deren Rechtmäßigkeit infrage.

Von Kilian Kirchgeßner | 03.09.2009
    Die Musik klingt schwungvoll, sie soll den Aufbruch verheißen. Wahlkampfauftakt in Brünn, ganz im Süden von Tschechien.

    Mit feierlicher Stimme begrüßt ein Moderator die Gäste, aber feierlich geht es hinter den Kulissen der tschechischen Politik derzeit nicht zu. Alle Parteien haben dem Wahltermin in fünf Wochen entgegengefiebert - und plötzlich sieht es so aus, als fänden die vorgezogenen Neuwahlen gar nicht statt, oder zumindest nicht so früh. Das Verfassungsgericht hat seine Zweifel angemeldet, ob die Wahlen überhaupt zulässig seien. Für die Politiker kam diese Entscheidung aus heiterem Himmel - und vor lauter Ratlosigkeit flüchten sie sich in Galgenhumor.

    "Und da sagt man immer, dass Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist"," spottet Miroslav Kalousek, einer der konservativen Spitzenpolitiker. ""Dabei stimmt das gar nicht, wenn man sich die Entscheidung des Verfassungsgerichtes anschaut: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind eindeutig wir hier in Tschechien."

    Tatsächlich hätte niemand in Prag es für möglich gehalten, dass sich der Verfassungsgerichtshof so weit in die Tagespolitik einmischt. Die Parteien jedenfalls haben ungeachtet des Stopps von höchster Stelle unisono eine Losung ausgegeben: Weitermachen, als sei nichts gewesen. Miroslav Kalousek:

    "Nein, wir ändern nichts an unserem Wahlkampf. Wir bleiben bei unserem ursprünglichen Plan. Es ist zwar etwas eigenartig, Wahlwerbung zu machen, wenn gar nicht feststeht, wann die Wahlen eigentlich sind, aber jetzt möchten wir die Kampagne auf keinen Fall unterbrechen."

    Die Partei von Miroslav Kalousek steht in Tschechien unter ganz besonderer Beobachtung. Top09 heißt sie und tritt zum ersten Mal an. Konservativ und pro-europäisch, so lässt sich das Profil am besten zusammenfassen - und an der Spitze stehen bekannte Gesichter: Kalousek selbst war über Jahre Finanzminister und Vize-Premier, unterstützt wird er vom früheren Außenminister Karel Schwarzenberg. Das prominente Führungsduo könnte der Partei nach letzten Umfragen aus dem Stand zehn Prozent der Wählerstimmen einbringen - damit käme ihr vermutlich die Rolle des Königsmachers bei der Regierungsbildung zu. Top09 setzt auf die Wähler, die von den Machtspielchen und den nicht enden wollenden Skandalen der etablierten Parteien genug haben.

    "Wir fühlen Verantwortung für unsere Gesellschaft, verkündete Karel Schwarzenberg beim Wahlkampf-Auftakt in Brünn. In der Vergangenheit kam die größte Bedrohung für uns von außen, heute bedrohen wir unser Land selbst - zum Beispiel damit, wie verantwortungslos in der Politik gehandelt wird. Wir müssen das selbst in Ordnung bringen, niemand anders macht das für uns."

    Bei den Wählern kommt diese Rhetorik gut an. Verlässlichkeit wollen sie - und die Entscheidung des Verfassungsgerichts zum Stopp der Neuwahlen sehen sie als weitere peinliche Posse in der Serie der politischen Verfehlungen.

    "Ich schäme mich für unsere Politiker, sagt diese Frau. Erst machen sie uns bei der Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union eine Schande, und jetzt geht das hier bei uns genauso weiter. Und dieser Mann schimpft: Das ist ein Versagen der Politik. Die Wahlen sollten stattfinden, gerade in einer schwierigen wirtschaftlichen Zeit brauchen wir Stabilität. Das ist doch wichtig für alle hier im Staat!"

    Dass die vorgezogenen Neuwahlen dringend geboten seien, sehen auch die tschechischen Politiker so. Gestern gab es deshalb Krisensitzung auf Krisensitzung - mit Tricks und Kniffen wollen die Parteichefs zusammen mit Staatspräsident Václav Klaus jetzt versuchen, den geplanten Wahltermin in fünf Wochen doch noch zu halten. Im Gespräch ist sogar eine Verfassungsänderung im Blitzverfahren, mit der sich die rechtlichen Bedenken gegen die Neuwahlen aus dem Weg räumen ließen.

    "Wir werden uns nicht damit abfinden, dass es keine vorgezogenen Wahlen mehr geben könnte, sagt Staatspräsident Vaclav Klaus. Wir werden nicht einfach abwarten, was sich ohne unsere eigene Aktivität, ohne unseren Eingriff entwickelt."

    Eine Gruppe von Verfassungsexperten soll jetzt Auswege aus der akuten politischen Krise suchen. Vorgezogene Wahlen um jeden Preis, so heißt die Devise - einen politischen Stillstand bis zum regulären Wahltermin im Sommer nächsten Jahres will in Prag niemand ernsthaft riskieren.