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Gelb für Gefahr

Medizin. - Zahllose Versuchstiere lassen jedes Jahr ihr Leben für Pharmazie, Medizin oder Chemie. Daher werden Alternativen zu Tierversuchen dringend gebraucht. Ein Testverfahren der Universität Konstanz wird jetzt in Europa eingeführt und rettet schätzungsweise 200.000 Kaninchenleben pro Jahr.

Von Thomas Wagner | 03.06.2010
    Ein nüchterne Laborraum an der Uni Konstanz: Der Mediziner Stefan Fennrich zeigt auf ein kleines weißes Kästchen, das auf einem Tisch liegt:

    "Dieses weiße Schächtelchen kann in Europa etwa 200.000 Tiere, Kaninchen ersetzen, die verwendet werden, um injizierbare Arzneimittel zu überprüfen."

    "Pyrodetect" steht auf dem Deckel des Kästchens, ein Verfahren, das Stefan Fennrich zusammen mit Thomas Hartung und Albrecht Wendel an der Uni Konstanz entwickelt hat. Für die Wissenschaftler gibt es Grund zur Freude. Ihr neues Verfahren wurde kürzlich europaweit als Alternative zum sogenannten Kaninchentest bei der Neueinführung von Medikamenten zugelassen. Dabei geht es um sogenannte Pyrogene – Rückstände toter Bakterien, die im menschlichen Körper eine verheerende Wirkung entfalten können. Fennrich:

    "Der Name setzt sich aus ‚Pyros‘, Feuer, Pyrotechnik, Hitze und ‚Genesis‘, ‚Entstehung‘, zusammen. Das heißt: Pyrogene induzieren im menschlichen Körper eine Entzündungsreaktion wie zum Beispiel Fieber. Im weiteren Verlauf kommt es zum Blutdruckabfall, zum Multiorganversagen, zum Schock. Und wer in diesen Zustand hat nur noch eine Überlebenschance von 50 Prozent auf der Intensivstation."

    Klare Sache deshalb: Neue Medikamente müssen pyrogenfrei sein. Wie dies aber feststellen? Da half bislang nichts: Das neue, zu testende Medikament musste einem Kaninchen injiziert werden. Bekam das Tier starkes Fieber, dann deutete dies auf Pyrogene hin. Die meisten Versuchskaninchen sterben bei solchen Versuchen – für die Konstanzer Forscher der Grund, nach Alternativen zu suchen. Ihr neuer Pyrogentest, dessen Elemente sich in dem kleinen weißen Kästchen befinden, arbeitet mit menschlichem Blut aus Blutspenden. Fennrich:

    "Wir bringen das Blut mit der Probe in Kontakt. Das machen wir in 37 Grad außerhalb des menschlichen Körpers in einem Brutschrank. Und über Nacht passiert im Labor genau das, was im menschlichen Körper passieren würde – nämlich, wenn die Probe verunreinigt ist, werden Fiebermoleküle freigesetzt, die wir am nächsten Tag mit einer bestimmten Methode nachweisen können."

    Enthält die Probe tatsächlich Pyrogene, bilden sich im menschlichen Blut sogenannte Botenstoffe, die normalerweise dem Gehirn signalisieren: Krankheitserreger im Körper eingedrungen, Temperatur hochfahren, um diese zu vernichten! Die Reaktion wäre heftiges Fieber. Da sich die Blutprobe jedoch statt im Körper in einem Reagenzglas befindet, bleibt es bei der Ausbildung des Botenstoffes. Die Konstanzer Wissenschaftler haben deshalb eine Substanz entwickelt, die das Blut verfärbt, wenn diese Botenstoffe gebildet werden. Fennrich:

    "Je tiefer gelb die Farbreaktion wird, desto mehr Verunreinigungen von Pyrogenen ist vorhanden. Und dann muss man aufpassen!"

    Das funktioniert perfekt, so ganz ohne lebende Tiere: Drei Jahre haben die Konstanzer Forscher die Alternativmethode zum herkömmlichen Kaninchenversuch getestet. Mardas Daneshan aus dem Forscherteam erklärt:

    "Das ist sozusagen der Höhepunkt unserer 20jährigen Forschung auf diesem Gebiet. Wir haben am Ende doch einen Test geschaffen, der erste Test seiner Art, der international anerkannt ist, in Europa eingeführt wird und auch von den amerikanischen Autoritäten akzeptiert wird. Das heißt: Wir haben einen Test, der international dazu führt, eine bessere Sicherheitsprüfung zu haben und Tierverbrauch zu vermeiden und damit ein Stück weit ethischer zu sein in unserem Verbrauch und in unserer Produktion."