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Gelbwesten in Frankreich
"Wir sind unsere eigenen Medien"

Journalisten sind bei den Demonstrationen der Gelbwesten zunehmend unerwünscht, Sprecher will die Bewegung keine haben. Ihre Mobilisation läuft vor allem über die Sozialen Medien – doch dort droht die Gefahr, in der eigenen Blase stecken zu bleiben.

Von Anne Françoise Weber | 21.01.2019
    Protest der Gelbwesten am 29. Dezember 2018 in Paris
    Ende 2018 demonstrierten die Gelbwesten vor dem Hauptgebäude des Fernsehsenders "BFMTV" in Paris. (picture alliance/dpa/Foto: Michel Stoupak)
    Lilly, eine zierliche Frau Mitte zwanzig mit gelber Sicherheitsweste, geht durch die auf dem Börsenplatz in Bordeaux versammelten Demonstranten und hält dabei ihr Mobiltelefon vor sich – sie macht gerade Live-Berichterstattung auf Facebook. Kurz schaltet sie die Kamera auf sich, um zu erklären, dass sie jetzt einem deutschen Radiosender ein Interview gibt, dann zeigt sie wieder Bilder von der Demonstration und erklärt dabei:
    "Wir vertrauen den traditionellen Medien nicht. Vor allem sind die Bilder nicht richtig gedreht. Man filmt eher jemanden, der einen Mülleimer in Brand setzt, als die daneben, die einer in den Nebelschwaden verlorenen Dame helfen. Wir sind dabei, wir erleben, was die Gelbwesten erleben, wir sind selbst Gelbwesten. Wir können Antworten geben und die Wahrheit zeigen, das, was wirklich mittendrin passiert."
    Es gibt zig solcher Facebook-Seiten und -Gruppen für die Gelbwesten; eine Zentralisierung hält Lilly weder für nötig nach für richtig. Sie hat schon zwei Facebook-Gruppen verlassen, weil sich darin ein paar zu sehr als Leader aufgespielt hätten; das entspricht nicht ihrem Verständnis der Bewegung. Außerdem hätten einzelne Personen, die sich zu Sprechern gemacht hätten, inzwischen große Probleme mit der Justiz, warnt sie. Das Argument, dass die Gelbwesten ohne Führungspersonen auch für die Medien schwer zu fassen sind, zählt für sie nicht. "Wir sind unsere eigenen Medien", schreibt sie auf ihrer Facebookseite.
    "Mehr Wut auf nationale als auf lokale Medien"
    Doch nicht alle Gelbwesten haben es aufgegeben, sich jenseits der Sozialen Medien zu informieren. Nicolas, der ebenso wie Lilly seinen Nachnamen lieber nicht nennen will, gehört zu einer Gruppe, die in der Kleinstadt Langon südöstlich von Bordeaux ein "Bürgerhaus" eingerichtet hat. Er findet:
    "Es gibt viele Medien, die nicht viel Gutes, aber auch nicht viel Schlechtes sagen. Man muss aussortieren, dann kann man informiert bleiben - man muss einfach lesen anstatt fernzusehen. Die traditionellen Medien in Frankreich gehören alle einflussreichen Freunden von Präsident Macron, die konsumiere ich schon lange nicht mehr. Und wer sich das noch anschaut, dem sage ich: Schaut woanders, es gibt genug anderes."
    Als Lokaljournalist in Calais im Norden Frankreichs hat Eric Dauchart auch die Erfahrung gemacht, dass die Gelbwesten nicht alle Medien über einen Kamm scheren: "Wir haben mehr Wut auf nationale als auf lokale Medien erlebt. Hier, auf lokaler Ebene, gab es Beschimpfungen. Ein Kollege von mir wurde beleidigt, man hat ihm gesagt, er arbeite für Macron und so weiter. Aber nachdem es hier eine Zeitlang Zerstörungen durch Randalierer gab, hat sich die Bewegung wirklich verändert; jetzt sind es nicht mehr die gleichen Demonstranten. Mit den Personen, die noch geblieben sind, läuft es jetzt wirklich gut. Ich wurde nicht beschimpft, mein Fotograf auch nicht. Eine Kollegin von mir war letzte Woche bei der Demonstration, auch das ging gut."
    In Calais allerdings sind die Demonstrationen klein und weitgehend friedlich, die Lokaljournalisten kennen schon viele Demonstranten und können auch vorab manche anrufen, um zu erfahren, was denn für den nächsten Samstag geplant ist.
    Oder einfach gar nicht berichten?
    Andere Erfahrungen macht da Jean-Marc Terrié vom Privatradiosender RTL in Bordeaux, einer Stadt, die in den letzten Wochen vermehrt Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten erlebt hat. "Als Journalisten werden wir alle in dieselbe Schublade gesteckt. Die Gelbwesten sagen: Ihr sagt nicht die Wahrheit, ihr verdreht die Reportagen. Sie beschuldigen das Fernsehen, vor allem die Nachrichtenprogramme, allen voran den Sender BFM. Der lebt ehrlich gesagt auch davon, Nachrichten öfters zu übertreiben, nach dem Motto: je trashiger, desto besser verkauft es sich. Das läuft als Geschäftsmodell, hat sich aber wie ein Bumerang gegen den Sender gewendet. Deswegen wurden die BFM-Teams als erste angegriffen. Und jetzt geht es gegen die ganze Berufsgruppe."
    Für Terrié, der selbst am Sylvesterabend in seinem Auto angegriffen wurde, ist auch klar, dass Journalisten vielen Gelbwesten als besonders privilegiert gelten – immerhin können sie eine hohe Werbungskostenpauschale von ihren Steuern absetzen.
    Die französischen Medien haben wegen der Angriffe eine Protesterklärung veröffentlicht, vergangenen Samstag demonstrierten Journalisten unter dem Hashtag #libresdinformer – frei zu informieren – in Paris. Jean-Marc Terrié fände eine andere Aktion wirksamer:
    "Mir wäre es lieber, wenn alle Medienkonzerne sagen würden: Nächsten Samstag legen wir die Kameras, Mikros und Aufnahmegeräte nieder, wir berichten überhaupt nicht. 6000 Demonstranten in Bordeaux und wir reden nicht darüber. Blackout. Das wäre ein Hammer, keiner würde das tun. Zwei Medien würden es vielleicht tun, drei andere würden sagen: ‚Doch doch, wir gehen hin, man weiß ja nie. Wenn es fünf Tote gibt, dann müssen wir dort sein.‘ Genau das hat man mir in meiner Radioredaktion geantwortet."