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Geld allein macht nicht glücklich

Dass Ökonomen auch die scheinbar wirtschaftsfernen Bereiche unseres Lebens durchleuchten, ist nichts Neues mehr: Partnerschaft, Liebe, sogar Sex, auch im privaten Bereich spielt die bewusste oder unbewusste Kosten-Nutzen-Rechnung eine weit größere Rolle, als wir es wahrhaben wollen. Selten aber trauen sich Wirtschaftswissenschaftler, die Vision einer glücklichen Gesellschaft zu entwerfen. Der britische Ökonom Richard Layard von der London School of Economics tut es. Es geht in seinem Buch weniger um Konsum und Kaufkraft – denn dass Geld allein nicht glücklich macht, weiß schon der Volksmund. Nicht, was ich habe, sondern was ich zu bekommen glaube, hebt meine Laune, darüber bringt Layard viele Zahlen zum Sprechen. Was für den Ökonomen Layard sonst noch eine glückliche Gesellschaft ausmacht, dazu Marietta Schwarz.

Von Marietta Schwarz |
    " Stellen Sie sich vor, Sie könnten es sich aussuchen, in welcher der beiden folgenden Welten Sie leben möchten:
    - In der ersten Welt verdienen Sie 50.000 Euro im Jahr, während das Durchschnittsgehalt Ihrer Mitmenschen bei 25.000 Euro liegt.
    - In der zweiten Welt würden Sie 100.000 Euro im Jahr verdienen, während das Durchschnittsgehalt der übrigen Menschen bei 250.000 Euro liegt.
    Angenommen, die Preise sind in beiden Welten die gleichen. Für welche Welt würden Sie sich entscheiden? "
    Die meisten Menschen entscheiden sich für Variante 1, sagt der renommierte britische Ökonom Richard Layard. Denn viel Geld verdienen ist gut, aber noch besser ist: mehr Geld zu verdienen als andere. Denn:

    " Einkommen ist mehr als bloßes Zahlungsmittel. Wir sehen unser Einkommen auch als Gradmesser für die Wertschätzung, die man uns entgegenbringt, und, wenn wir nicht aufpassen, auch als einen Gradmesser der Wertschätzung, die wir für uns selbst empfinden. "

    Das Beispiel ist nur eines von vielen, mit dem der Autor die Leser seines Buches in sein Boot holt - und das ist nirgendwo andershin unterwegs als zum Glück. Es ist eine packende Reise, und der Reiseleiter Richard Layard ist sehr gut vorbereitet! Zudem bringt er Humor und persönliches Engagement mit, lenkt den Blick auf vermeintlich Unwichtiges. Dass Geld allein nicht glücklich macht, darum geht es eigentlich. Das ist nicht neu, aber es gleicht einem Geniestreich, der Frage "warum eigentlich nicht?" auf den Grund zu gehen und ist zudem politisch brisant, wie sich im Verlauf des Buches zeigt. Glück, das legt Layard dar, ist ein kompliziertes Gefüge, das sich aus vielen äußeren und inneren Bedingungen zusammensetzt. Im Zuge seines interdisziplinären Diskurses bricht der Autor die komplexen Fragen von Wohlstand und Armut, Freiheit und Selbstverwirklichung auf die alles entscheidende Frage "Wem nützt es?" herunter und driftet bisweilen in fragwürdiges Ratgeberniveau ab mit überflüssigen Tipps wie...

    "Eines der Geheimnisse des Glücks ist es, Dinge zu genießen, so wie sie sind, ohne sie an Besserem zu messen. "

    Dennoch: Layards Auseinandersetzung ist spannend, die These "Eine glückliche Gesellschaft ist möglich" dagegen weniger naiv als verwegen und die Auswertung zahlreicher Umfragen äußerst unterhaltsam: da ist in einer Tabelle der

    "Prozentsatz der 11-15jährigen, die aussagen, die meisten ihrer Mitschüler seien freundlich… "

    …aufgelistet, ein Schaubild setzt sich mit dem…

    " …Rückgang des Glücksempfindens in Punkten…"

    …auseinander. Immer wieder stellt der Ökonom das Handeln und Fühlen des Individuums den großen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen einer Gesellschaft gegenüber, zieht Psychologie und Neurobiologie heran und trifft uns damit ins Mark. Denn es zeigt sich: Der eigene Glücksgewinn geht meist mit dem Glücksverlust eines anderen einher. Geradezu lustvoll und manchmal waghalsig kommen Layards Schlussfolgerungen für eine Gesellschaft daher:
    " Studien belegen eindeutig, dass eine Zunahme des Einkommens anderer dem eigenen Glücksempfinden schadet. Dieser psychologische Mechanismus verhindert, dass Wirtschaftswachstum wirklich glücklicher macht. Er führt auch zu einer Verzerrung von Anreizen. Denn wenn ich mehr arbeite und mehr verdiene, dann hat das zur Folge, dass andere Menschen unglücklicher werden."
    Unverkennbar steckt hinter der Argumentationslinie Richard Layards jener Philosoph, der im 18. Jahrhundert seine Vorstellungen vom "Prinzip des größten Glücks" formulierte: Jeremy Bentham. Ihm widmet der Autor ein ganzes Kapitel. "Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl von Menschen" nannte Bentham als politisches Ziel. Demnach ist auch jene Politik die beste, die den Menschen das größte Glück bringt. Was Layard reklamiert, ist jene philosophische Basis einer Gesellschaft, die zum richtigen Handeln anleitet. Doch kämpfen nicht gerade Ökonomen an einer anderen Front? Ja und nein, sagt der Autor:


    "Die Ökonomie ist eine wunderbare Wissenschaft. Ich selbst bin Wirtschaftswissenschaftler geworden, weil das damals, als ich um die dreißig war, die einzige Sozialwissenschaft war, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten auseinandergesetzt hat, und zwar, was die menschliche Wohlfahrt angeht. Aber dann habe ich festgestellt, dass es eine Schwäche der Ökonomie ist, dass sie nämlich gerade die Idee dessen, was menschliche Wohlfahrt erzeugt, eingrenzen muss. "

    Warum haben westliche Gesellschaften in den letzten 50 Jahren ihren wirtschaftlichen Wohlstand deutlich verbessert, sind aber in der selben Zeit nicht zufriedener geworden? Layard kritisiert, dass Begriffe wie Bruttosozialprodukt oder Kaufkraft zwar Bemessungshilfen für Wohlstand seien, über die Bedürfnisse der Menschen aber wenig aussagten - Bedürfnisse, die zwar ziemlich beständig sind, aber immer weniger gedeckt werden, nämlich Vertrauen und Sicherheit. Eine Absage an das Wachstumsprinzip?

    "Nein, Wachstum ist im wissenschaftlich geprägten Zeitalter das natürliche Resultat menschlicher Kreativität. Und ich bin mir absolut sicher, dass das Prinzip Wachstum immer funktionieren wird. Die Menschen haben ein natürliches Interesse, Dinge neu zu entwickeln und das ist gut so. Was dagegen nicht gut ist, ist dem Wachstumsprinzip im Vergleich zu anderen Dingen die Priorität einzuräumen. Wir sollten uns frei machen von dem Gedanken, dass wir uns in Zukunft sozialstaatliche Dinge wie Sicherheit und Solidarität mit den Schwachen nicht mehr leisten können. Die Idee, dass ein Staat nur dann wettbewerbsfähig ist, wenn er schlechtere Arbeitsbedingungen hat als bisher, kann nicht richtig sein. Allerdings ist klar, dass weiterhin gute Arbeitsbedingungen Einkommenseinbußen nach sich ziehen. Das ist übrigens eine Botschaft, die sich auch an die Gewerkschaften richtet! "
    Doch bevor Layard sowohl den Verfechtern des Wirtschaftsliberalismus ebenso wie denen des steuernden Sozialstaates eine Absage erteilt, setzt er sich mit dem Glücksbegriff selbst auseinander. Ganz oben auf seiner Rangliste von Glücksfaktoren tauchen Familie, finanzielle Situation und Arbeit auf - da bedürfe es des staatlichen Schutzes, bis hin zur Besteuerung zu hoher Einkommen. Denn Anerkennung, Status und Geld lenkten vom eigentlichen individuellen Glück ab - da hebt ein Wertkonservativer den moralischen Zeigefinger gegen übersteigerten Wettbewerb:

    "Wir können uns und anderen guten Gewissens eine Pause gönnen. In unserer immer schneller werdenden Gesellschaft haben wir nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir schaffen es mit Müh und Not und seufzen erleichtert auf - oder wir versagen. Dazwischen gibt es nichts mehr, es ist unmöglich, ein vernünftig gestecktes Ziel zu erreichen. "
    Es ist wohltuend, wie unkonventionell und gleichzeitig provokant der Autor gegen den Schrei nach immer mehr Produktivität argumentiert. Unzeitgemäß ist sein Plädoyer für mehr Religiosität sicher, und wird daher auch für viele eine fragwürdige Alternative bleiben. Auf der Werteskala des Volkswirtschaftlers Layard ganz oben steht, wie bei seinem Vorbild aus dem 18. Jahrhundert, die "Menschliche Wohlfahrt", und die beginnt mit oder ohne Religion: beim Menschen.

    "Das Wichtigste scheint mir zu sein, dass wir ein Gefühl der gegenseitigen Verpflichtung wiederentwickeln und die Fähigkeit, sich auch über den Erfolg anderer zu freuen. Um ehrlich zu sein, mein größtes Anliegen in dem Buch ist es, diese Idee vom moralischen Verhalten zu promoten, denn das ist es, was das größte Glück in der Welt erzeugt, und auf der anderen Seite ist auch diejenige Politik die beste, die das größte Glück in der Welt erzeugt. Dieser moralische Punkt scheint mir so wichtig, denn solange die Menschen nicht das Glück anderer als ihre eigene Aufgabe betrachten, wird unsere Gesellschaft nicht glücklicher werden. "

    Marietta Schwarz las: Die glückliche Gesellschaft. Kurswechsel für Politik und Wirtschaft, ein Werk von Richard Layard, 324 Seiten dick, erschienen bei Campus in Frankfurt am Main zum Preis von 19 Euro 99.