Freitag, 19. April 2024

Archiv


Geld allein macht nicht glücklich

Glück ist nicht messbar. Dafür Wohlstand über das Bruttoinlandsprodukt. Ob das wirklich etwas über die Lebenszufriedenheit der Bürger aussagt, ist fraglich. Ökonomen und auch Politiker arbeiten deshalb an neuen Messmethoden, einem neuen Index für Wohlstand und Lebensqualität zu entwickeln.

Von Ingeborg Breuer | 27.01.2011
    Geht es den Menschen wirklich besser, wenn die Wirtschaft wächst?
    Geht es den Menschen wirklich besser, wenn die Wirtschaft wächst? (picture alliance / dpa)
    "Wenn ich diesen Typ Wohlstand als Wohlstand, als einzigen Wohlstand anerkenne, wie wir ihn in den zurückliegenden Jahrzehnten gehabt haben, dann brauchen wir dieses Wirtschaftswachstum. Aber das nützt ja alles nichts. Wir werden dieses Wachstum, ob gut oder schlecht, nicht haben und infolgedessen müssen wir einen neuen Wohlstandsbegriff definieren."

    Meinhard Miegels Botschaft irritiert. Unser Wirtschaftswachstum hoch wie lange nicht, boomender Export, anziehender Konsum, sinkende Arbeitslosenzahlen. Und der Chef des Bonner "Denkwerks Zukunft" entwirft ein pessimistisches Bild. Für den Sozialwissenschaftler ist das augenblickliche Wirtschaftswachstum nur ein vorübergehendes Aufflackern der Konjunktur. Und zudem, so Prof. Meinhard Miegel Mitte Januar auf der Berliner Konferenz "Wege zu zukunftsfähigen Lebensweisen", sei das Wirtschaftswachstum, wie es Jahr für Jahr im BIP, im Bruttoinlandsprodukt gemessen wird, ohnehin eine zweischneidige Sache.

    "Wirtschaftswachstum ist eine ambivalente Geschichte. Wirtschaftswachstum hat ganz offensichtlich segensreiche Wirkungen, die Beschäftigungssituation verbessert sich, der Konsum erhöht sich. Aber Wirtschaftswachstum hat auch negative Wirkungen. Wenn ich mir das aktuelle Wirtschaftswachstum ansehe, aktuell 3,6 Prozent, die Hälfte des Wachstums beruht auf Schulden, das ist ein Wachstum auf Pump. Und die Bedeutung der anderen Wachstumsteile, die werden sich erst in den kommenden Jahren herausschälen."

    Schon Ludwig Erhard, der Kanzler des Wirtschaftswunders in den späten 50er-Jahren, versprach den Deutschen "Wohlstand für alle" durch eine wachsende Wirtschaft. Doch, fragen kritische Stimmen seit geraumer Zeit, stimmt diese Gleichung "steigendes Wirtschaftswachstum = steigender Wohlstand" überhaupt? Bedeuten 3,6 Prozent mehr Wachstum im Jahr 2010 auch 3,6 Prozent mehr Wohlstand, mehr Lebensqualität - ja, pointiert gesprochen, mehr Glück? Prof. Ulrich van Suntum, Direktor des Centrums für angewandte Wirtschaftsforschung der Universität Münster, hat sich mit der Frage nach Glück und Geld befasst:

    "Wir wissen, dass die Lebenszufriedenheit sehr stark mit dem Einkommen verbunden ist - für niedrige Einkommen. Das heißt bis zu einem Einkommen von 5000 Dollar pro Jahr (weltweit gemessen) ist das ganz extrem miteinander korreliert. Aber die Kurve flacht dann ab, je höher das Einkommen ist, das ich dann schon habe, desto weniger bedeutsam sind weitere Einkommenszuwächse."

    Natürlich, glücklich machen Menschen zunächst einmal die nicht materiellen Werte: Beziehungen, Freunde, Familie, Gesundheit. Dies allerdings sind Glücksfaktoren, die politisch kaum beeinflussbar sind. In einem Forschungsprojekt im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hat Ulrich van Suntum aber Faktoren bestimmt, auf die die Politik möglicherweise doch Einfluss nehmen kann. Er erforschte die makro- und mikroökonomischen Faktoren, die für die individuelle Lebenszufriedenheit von Bedeutung sind.

    "Das Einkommen steht immer in Beziehung. Wir vergleichen uns immer damit, welches Einkommen hat mein Nachbar, fährt der ein größeres Auto, hat der ein größeres Haus als ich. Und dann, wenn alle gleichzeitig mehr Einkommen erzielen, dann stell ich ja gar nicht fest, dass ich mehr Einkommen hab als mein Nachbar, das heißt, dass ich reicher geworden bin. Also das relative Glücksgefühl ist nicht gestiegen . Also dass haben wir auch bei unsere Glücks-BIP festgestellt, immer dann, wenn das Einkommen steigt, dann geht's den Leuten gut und wenn das Einkommen stagniert oder zurückgeht, dann sind sie unzufrieden. Das heißt wir wollen immer Fortschritt sehen, wir wollen weiter kommen: es geht nicht um die absolute Höhe des Einkommens, man muss weiterkommen. Wir wissen auch, dass Menschen, die keine Arbeit haben, bei gleichem Einkommen unglücklicher sind als die, die Arbeit haben. "

    Mit seinem "Glücks-BIP" - also Glücks-Bruttoinlandsprodukt - versuchte Ulrich van Suntum Bedingungen für das Wohlergehen jedes Einzelnen zu erfassen. Andere Wissenschaftler haben eher die gesamtgesellschaftliche Lebensqualität im Auge. Doch alle weisen darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum - gemessen im Bruttoinlandsprodukt - keine ausreichende Messgröße für Wohlstand und Wohlfahrt einer Gesellschaft darstellt. Beispiel: Fährt ein Mensch sein Auto gegen einen Baum, hat er dem Bruttoinlandsprodukt etwas Gutes getan, weil er ein neues Auto kaufen muss. Muss er deshalb auch noch ins Krankenhaus, nützt dies auch noch dem Gesundheitssektor. Glücklich macht ihn das voraussichtlich nicht. Oder: der Untergang einer Ölplattform trägt durchaus zur Steigerung des jährlichen Wachstums bei, weil Milliarden bei den anschließenden Lösch- Aufräum- und Sanierungsarbeiten investiert werden. Der ökologische Schaden wird dabei aber nicht erfasst.

    Seit Mitte Januar versucht sogar der Bundestag in einer fraktionsübergreifenden Enquetekommission ergänzende Messgrößen zum Bruttoinlandsprodukt zu finden und einen neuen Wachstums- und Wohlstandsbegriff zu erarbeiten. Und im Auftrag des Bundesumweltministeriums haben Prof. Hans Diefenbacher von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft Heidelberg und Roland Zieschank von der Forschungsstelle für Umweltpolitik der FU Berlin einen Index entwickelt, der nicht nur den Wohlstand, sondern, wie sie es nennen, die "Wohlfahrt" einer Gesellschaft messen will. Roland Zieschank erläutert diesen "Nationalen Wohlfahrtsindex":

    "Wir würden eine Neujustierung vornehmen, indem ein Stück weit auch Einkommensunterschiede noch mit berücksichtigt werden, indem man sieht, gibt es eine gleiche Einkommensentwicklung oder geht das auseinander, wie wir das zur Zeit sehen. Und dann kommt eine ganze Reihe an Kosten, die wir her abziehen würden. Vor allem im ökologischen Bereich wie Luftverunreinigung, Kosten die durch Emissionen entstehen, Kosten auch die durch CO2 entstehen, sprich Klimawandel. Auf der anderen Seite würden wir auch einige Positionen mit einbeziehen, die bisher unberücksichtigt sind, weil das Bruttoinlandsprodukt und die Berechnungsweise eigentlich nur marktgenerierte Produkte und Dienstleistungen mit einbezieht: das wär zum Beispiel die Haushaltsarbeit und die ehrenamtlichen Arbeiten."

    Roland Zieschank und Hans Diefenbacher kommen bei ihren Berechnungen zu dem Ergebnis, dass das Bruttoinlandsprodukt zwar weiter steigt, der "Nationale Wohlstandsindex" dagegen weist eine gegenläufige Tendenz dazu auf: er nimmt tendenziell ab:

    "Man kann sagen, dass ab dem Jahr 2000 im Endergebnis das BIP bis 2007 weiter steigt. Während die Teilvariablen, wenn man sie alle zusammennimmt im Nationalen Wohlfahrtsindex, das sind 21, die würden ab dem Jahr 2000 tendenziell eher sinken. Das heißt wir haben eben eher eine Tendenz, dass man sagen kann, in Deutschland hätte seit dem Jahr 2000 der wirkliche materielle Wohlstand nicht mehr weiter zugenommen, sondern geht tendenziell zurück. Ein wichtiger Faktor ist immer größere Teile der Einkommen, die bisher bei der Mittelschicht waren, gehen tendenziell nach unten. Das heißt der Anteil der Bevölkerung, der ärmer ist, nimmt zu. Aber auch der Anteil der Personen, die etwas mehr verdient, nimmt zu. Das ist ein wichtiger Faktor. Der zweite ist, dass insgesamt die ökologischen Schäden zunehmen, das sind bei uns ca. 450 Milliarden Euro pro Jahr, die wir nach der Berechnung abziehen würden."

    Angesichts solcher Befunde, so die beiden Wissenschaftler, stehe die Fixierung auf ein bloß quantitatives Wachstum in Frage. Denn eine Ökonomie, die keine Rücksicht auf ökologische und soziale Belange nimmt, sei nicht zukunftsfähig. Politiker aller Couleur zeigen sich empfänglich für diese Botschaft. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel befand in ihrer Neujahrsansprache: "Wohlergehen und Wohlstand - das heißt nicht nur 'mehr haben‘, sondern auch 'besser leben‘".

    "Die Frage ist eben, will man sich an einem Wachstum orientieren, so wie‘s bisher war im Sinne des BIPs, was von der Philosophie noch sehr ähnlich ist vielleicht auch zur damaligen DDR , wo‘s einfach nur um die Mengen geht, um die Zahlen an sich. Das BIP ist völlig gleichgültig gegenüber dem, was hergestellt wird. Und die Frage ist, ob man im Hinblick auf eine zukünftige Entwicklung sich überlegen könnte, ob wir ein qualitatives, nachhaltigeres Wachstum anstreben könnte."

    Eine beträchtliche Anzahl von Experten geht aber noch weiter. Sie stellen das Wirtschaftswachstum gleich ganz in Frage. Denn der gesamte an materiellem Wohlstand orientierte westliche Lebensstil mit seinem "Weiter, Höher, Schneller", sei als Zukunftsmodell nicht länger tauglich. So der Göttinger Neurobiologe Professor Gerald Huether auf der Tagung zum Thema "Wege zu zukunftsfähigen Lebensweisen" in Berlin:

    "Es ist ja so, dass die eigentlichen Probleme dadurch zustande kommen, dass wir die Probleme, die wir gegenwärtig auf der Welt verursacht haben mit denselben Denkweisen zu lösen versuchen, die sie hervorgebracht haben. Das heißt was wir im Augenblick für Probleme haben, sind vor allem aus dem Westen kommende, durch das eigene Denken, die eigenen Überzeugungen die inneren Einstellungen und Haltungen, die wir hier in der westlichen Welt entwickelt haben, ausgelöste Prozesse. Denkmuster, westliche Denkmuster sind das eigentliche Problem dieser Welt."

    Sozusagen als Alternative zu den destruktiven westlichen Denkmustern gedacht, war denn auch der Vortrag des buddhistischen Präsidenten des Centers for Bhutan Studies Dasho Karma Ura auf der Berliner Konferenz. Denn für Bhutan, ein kleines, armes, buddhistisches Land im Himalaya ist nicht die Steigerung des Bruttoinlandprodukts das oberste Ziel der Politik, sondern der "Gross National Happiness" das, so übersetzt, "Bruttosozialglück". Die Menschen in Bhutan sollen nicht primär reich, sondern glücklich werden. Und zwar durch den Schutz von Kultur und Natur und ebenso auch - durch "good governance", gute Staatsführung. Dasho Karma Ura und seine Mitarbeiter versuchen, das Glück der Bhutaner objektiv zu messen - eben durch einen Index für das Bruttosozialglück.

    " Die Idee hinter dem Bruttosozialglück ist, eine Gesellschaft zu schaffen, deren Schlüsselwert das gemeinschaftliche Glück ist. Wenn das der Hauptwert ist, hat das Glück Vorrang zum Beispiel vor ökonomischem Wachstum. Und wenn das der Schlüsselwert ist, muss dieses Ziel messbar sein, in unseren Indikatoren."

    Nun sind die Ziele eines Landes, das nicht einmal 700 000 Einwohner hat, wohl kaum auf eine der größten Volkswirtschaften der Welt zu übertragen. Doch die Ideen einer "Postwachstumsökonomie", einer neuen Wirtschaftsordnung unter dem Motto "besser leben als mehr haben" greifen auch in Deutschland um sich. Der Oldenburger Volkswirtschaftler Prof. Niko Paesch etwa fordert eine Entrümpelung und Entschleunigung unseres gesamten Lebensstils, der dauerhaft nicht weiter finanzierbar sei. "Suffizienz" - Genügsamkeit - ist das Motto. Der Essener Kulturwissenschaftler Prof. Harald Welzer fordert ebenso dazu auf, sich von der Wachstumsidee generell zu verabschieden. Und Meinhard Miegel stimmt dem zu:

    "Seit 20 Jahren haben 40 Prozent der Bevölkerung in einem Land wie Deutschland keine Wohlstandserfahrung in Sinne von zunehmendem Wohlstand mehr. Es geht nicht weiter, dieser Anteil wird künftig größer werden. Und das bedeutet für eine Gesellschaft, dass sie in eine eher kritische Situation kommt. Denn wenn die Sinnfrage dieser Gesellschaft beantwortet wird, mit, wir werden den materiellen Wohlstand erhöhen, aber dieser materielle Wohlstand nicht kommt, dann ist die Sinnfrage nicht mehr beantwortet."
    Sinn kann nach deshalb nicht mehr allein in materiellem Wohlstand liegen. Stefanie Wahl, Geschäftsführerin des Denkwerks Zukunft und Mitarbeiterin von Meinhard Miegel wirbt deshalb für immateriellen Wohlstand.

    "Wenn wir den immateriellen Wohlstand uns anschauen, dann kann der auch unabhängig von Wirtschaftswachstum wachsen. Zum Beispiel Bildung, zum Beispiel unser Verhältnis zu den Mitmenschen, zum Beispiel die Erneuerung oder die Reparatur der Umwelt, das sind alles Formen von immateriellem Wohlstand, der unabhängig von mehr materiellem Durchfluss wachsen kann."

    Das klingt schön, doch ist es tatsächlich so einfach? Äußert sich materieller Wohlstand wirklich nur in Konsumgütern wie Flachbildschirmen, Porsche Cayennes oder dem neuen Apple iPad? Sind nicht auch Gesundheit, Bildung, eine intakte Umwelt hochgradig abhängig von dem materiellen Reichtum einer Gesellschaft? Sind medizinischer Fortschritt, gute Schulen und Universitäten oder ein funktionierenden Umweltschutz finanzierbar ohne Wirtschaftswachstum? Würde nicht das romantisch ausgemalte "andere genügsame Leben" - gern vorgetragen auch auf internationalen Tagungen von eigens dazu eingeflogenen Professoren mit Pensionsanspruch - für viele dann doch ein "ärmeres Leben"? Ulrich van Suntum warnt deshalb davor, mit dem BIP als alleiniger Messgröße für gesellschaftlichen Wohlstand die Notwendigkeit des Wirtschaftswachstums gleich mit in Frage zu stellen. Doch auch er plädiert dafür, dieses Wachstum so zu gestalten, dass es ökologisch verträglich ist.

    " Die einseitige Fixierung auf das Wirtschaftswachstum ist sicherlich zu wenig. Auf der anderen Seite ist auch ein Ergebnis unserer Studien, dass das Wirtschaftswachstum immer noch eine Rolle spielt. Es sollte niemand glauben, wenn wir das Wirtschaftswachstum auf null schrauben, dann sind die Menschen genauso glücklich wie vorher, das würde nicht funktionieren. Schon deswegen nicht, weil wir ja auch unsere Renten weiter bezahlen müssen, weil wir Steuereinnahmen brauchen, weil am Arbeitsmarkt wir Produktivitätsfortschritte haben, die zu Arbeitslosigkeit führen, wenn wir nicht Wirtschaftswachstum haben. Wenn Sie sich mal ansehen, wie die Umwelt wirklich gelitten hat in den sozialistischen Volkswirtschaften die Verschmutzung ist um ein Vielfaches höher gewesen als bei uns. Nicht weil die das nicht schlimm gefunden hätten, sondern sie hatten schlichtweg nicht die Mittel das in den Umweltschutz zu stecken. Und das ist in vielen anderen Ländern auch der Fall. Wir brauchen das Wirtschaftswachstum. Es muss aber ein qualitatives Wachstum sein. "