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Geld als Droge

Gogols schwarze Komödie vom kollektiven Amtsmissbrauch wird von Sebastian Nübling zeitgemäß modernisiert. Dem Richter werden statt der Jagdhunde kleine Mädchen zugeführt - und die ganze Gesellschaft wirkt zeitweise wie eine Horde zugekokster Managertypen.

Von Karin Fischer |
    Der Bedienstete trägt schwarze statt weißer Handschuhe. Die Bühne ist mit der Tapete des Zuschauerraums ausgekleidet und von einem roten Vorhang mit goldenen Troddeln umrahmt. Eine kleine Ewigkeit lang ist nur der alte Santana-Ohrwurm zu hören, so lange, dass sich seine Wirkung komplett verschiebt: von "Bedeutung" in "Kulisse". In dieser gespiegelten Theater-Welt spielt die erste Szene folgerichtig im Parkett. Ein Revisor ist angekündigt; die ganze Gesellschaft hat Dreck am Stecken; es gilt also, "Maßnahmen zu ergreifen". Michael Neuenschwander gibt den Stadtpräsidenten im harten schwyzerdeutschen Dialekt als brutalen Einpeitscher, aber Hauptsache "es bliibt ja elles under eus - oddr?"

    Gogols schwarze Komödie vom kollektiven Amtsmissbrauch wurde hier zeitgemäß modernisiert: Dem Richter werden statt der Jagdhunde kleine Mädchen zugeführt, der Postmeister geilt sich an Briefen auf, die bei ihm durchkommen; von der falschen Spesenrechnung bis zur Botoxbehandlung auf Krankenkasse kommen alle gängigen Zivilisations-Krankheiten vor. Der Stadtpräsident hält mit aggressiver Drohgebärde alles zusammen, seine Frau ist eine dauerlächelnde Charity-Lady in Chanel-Kostüm und Löwenmähne, seine Tochter hängt an Champagner und Handy wie an einer Droge, und die ganze Gesellschaft wirkt zeitweise wie eine Horde zugekokster Managertypen. Als der falsche Revisor gesichtet wird, bekommt er ein "Cüpli" angeboten, der Krankenhausmanager verteilt kleine Pillen.

    Jetzt geht das Spiegel-Spiel in die nächste Runde: Matthias Bundschuh tritt als somnambuler Doppelgänger des Stadtpräsidenten auf: gleiche Klamotten, nur längere Haare. Schnell hat er kapiert, was hier läuft, dreht voll auf und mit an den Stellschrauben der Komödie: Täuschung durch Korruption und Bestechlichkeit; Selbsttäuschung durch Einfalt und schlechtes Gewissen. Chlestakow ist hier nicht der junge beamtische Hohlkopf, den Gogol gefordert hat, sondern ein labiler Manischer, der schnell vom Virus des schönen Scheins und des großen Geldes infiziert wird. In der Bestechungsszene gerät er in einen veritablen Geldrausch, wirkt wie ein Süchtiger auf Entzug, und baggert am Ende die Frauen des Hauses nur an, um das Letzte rauszuholen: die Goldkette und den Ehering.

    Nüblings Inszenierung wäre allerdings nicht mehr als eine platte Farce, hätte der Regisseur nicht ein paar seiner zircensichen Zauberstückchen eingefügt: Dobtschinskij und Bobtschinskij als sprachwitzige Slapstick-Nummer. Fünf kleine Mädchen, die – die Hand aufhaltend – geisterhaft auf der Bühne herumspuken. Und eine Szenerie, die gekonnt zwischen Wahn und Wirklichkeit changiert und das korrupte Gesellschaftssystem alptraumartig untergründet.

    Die Menschen als Bestiarium vorzuführen ist eine Spezialität von Sebastian Nübling, der in Zürich wieder im bewährten Team mit Muriel Gerstner (Bühne) und Lars Wittershagen (Musik) zusammenarbeitet. Das kann mal schief gehen wie in "Furcht und Zittern" von Händl Klaus, das als groteskes Spiel direkt im Bühnenbild einer Zirkusarena stattfand. Mit Gogol geht es gut. Das Stück stieß wegen seiner übertriebenen Charaktere bei der Uraufführung 1836 in Sankt Petersburg auf überwiegend ablehnende Haltung beim Publikum. Nübling hat die Charaktere ebenfalls überrissen, aber ganz im Sinne Gogols, der forderte, sich den Revisor nicht als äußeres, weltliches, sondern als inneres Gewissen vorzustellen – in der eigenen, seelischen Stadt.

    Wem die Geld- und Bestechungs-Orgie auf der Bühne übertrieben scheint, muss trotzdem Chlestakow zustimmen, der sagt: "Ich kenne mich. Ich bin überall." Deshalb ist Gogol heute ein Klassiker, und in Zürich das Stück über Geld als Droge eine lustige Schweinerei geworden.

    Service:

    Das Stück "Der Revisor" ist bis 27. November 2009 am Schauspielhaus Zürich zu sehen.