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Geld aus aller Welt

Deutschland blickt auf Liechtenstein und sein umstrittenes Stiftungsrecht, doch auch das Verhältnis zur Schweiz ist beim Thema Steuerpolitik seit geraumer Zeit getrübt. Treuhandgesellschaften, Consulting-Unternehmen und Holdings aus Deutschland und dem Rest der Welt siedeln sich bei den Eidgenossen an - die Schweizer Steuerpolitik zieht Unternehmen an wie Motten das Licht.

Mit Reportagen von Knut Benzner; Moderation: Barbara Schmidt-Mattern |
    Der Finanzdirektor des reichen Schweizer Kantons Zug über Geld und Ausländer:

    "Wenn Leute nur kommen, um unser Sozialsystem auszunützen, dort hat der Schweizer generell mehr Mühe, aber Ausländer, die kommen und etwas machen wollen und damit dann auch Geld verdient, dann ist er willkommen."

    Und ein Philosophie-Professor aus Zürich über Geld und Glück:

    "Also Geld macht per se sicher nicht glücklich, das ist falsch, es macht auch nicht notwendiger Weise unglücklich, aber es wohnt zuviel Geldbesitz durchaus die Chance inne, dass man daran scheitert…"

    "Standort Schweiz": Eine Organisation holt deutsche Firmen ins Steuerparadies
    Geld ist in der Schweiz nicht einfach nur ein Zahlungsmittel, Geld ist einer der wichtigsten Standortfaktoren, den die Schweiz zu bieten hat. An kaum einem anderen Ort in Europa - außer vielleicht in Liechtenstein, Monaco oder Andorra - lässt sich Geld so gut sparen wie in der Schweiz. Sie bietet hoch gesicherte Banktresore, diskrete Nummernkonten, ein gut geschütztes Bankgeheimnis, und eine Steuerpolitik, die Unternehmen und Millionäre anzieht wie Motten das Licht.

    Anders als in der Affäre um das Fürstentum Liechtenstein, ist es in der Schweiz nicht das Stiftungs-, sondern das Steuerrecht, das auch und gerade auf Ausländer so unwiderstehlich wirkt. Der Wettbewerb macht es möglich: Weil die Finanzhoheit in der Schweiz bei den Kantonen selbst liegt, übertrumpfen sie sich gegenseitig mit den günstigsten Steuersätzen. Das hat nicht nur Michael Schumacher überzeugt, sondern auch Boris Becker und Theo Müller, der mit bunt gefärbter Milch reich geworden ist. Sie alle haben ihren Wohn- oder Unternehmenssitz aus Deutschland in die Schweiz verlegt, unterstützt von Beraterfirmen, die dabei gut mitverdienen.

    Eine davon residiert in Zürich, unweit des Hauptbahnhofs in einem schmucklosen Bau, der zugleich auch das Staatssekretariat für Wirtschaft beherbergt:


    Dem Staatssekretariat für Wirtschaft untergeordnet: "Standort: Schweiz", Location Switzerland. "Standort: Schweiz": Eine Organisation, die den Wirtschaftsstandort Schweiz nicht etwa nur sichern, sondern erweitern will.
    In der Lobby:

    "Gruezi. Frau Holzgang, grüß Sie..."

    Schwarze Sessel, geschwungene Glastische, ein Board mit Prospekten, an der einzigen fensterlosen Wand eine riesige Weltkarte mit roten und blauen Punkten.

    "Genau. Mit den Swiss Business Hubs, es sind 14, 14 Swiss Business Hubs."

    Standorte, im Ausland. Doch auf der Weltkarte sind noch mehr Punkte. 30, 40, 50.

    "Äh, das sind noch die Handelsvertretungen, die Schweizer Handelsvertretungen im Ausland. Sind sehr viel, sind sehr viele, ja."

    Die Schweiz ist überall.

    "Kaffee?"

    Sehr gerne.

    "Also mein Name ist Alexander Niemetz,..."

    Alexander Niemetz? Woher kennt man Alexander Niemetz?

    "Entschuldigung, mal kurz stoppen."

    Klar! ZDF, Heute-Journal, Niemetz hatte die Sendung neun Jahre lang, bis Ende 2000, moderiert, schied dann auf eigenen Wunsch aus. Und ging zurück in die Schweiz:
    "...u.a. als Repräsentant für Location Switzerland, ’Standort: Schweiz’ in Deutschland und Europa tätig."

    Als Honorarkraft.
    Groß, grau, Gesicht kantig, goldenes Armband links über der Uhr.
    Und: Wie schon zu Fernsehzeiten trägt Niemetz auch bei diesem Interview, das im Frühjahr 2006 geführt wurde, Rollkragenpullover unter dem Jackett.
    ’Standort: Schweiz’:

    "Diese Organisation hat schlicht und ergreifend das Ziel, Kooperationen mit deutschen Unternehmen. Es geht um die Ansiedlung von Unternehmen, die entweder ihren Sitz oder ihre Zweitniederlassung in der Schweiz machen wollen, man kann nie genug Arbeitsplätze haben, besonders in Zukunftstechnologiebereichen und in auch Finanzdienstleistungsbereichen, in Servicebereichen, das sind Dinge, wo man langfristig und vorausschauend tatsächlich auch tätig sein muss und deswegen ist es ein Muss, dass man sich umschaut, die Konkurrenz ist groß, da muss die Schweiz was tun - und sie tut was."

    Deshalb ist ’Standort: Schweiz’ dem Wirtschaftsministerium angegliedert und wird von ihm gesteuert.
    Niemetz’ schwarze Hose wird von einem Gürtel mit silberner Schnalle gehalten. Der gebürtige Schweizer aus der Stadt Solothurn, 61 inzwischen und seit zehn Jahren für ’Standort: Schweiz’ aktiv, wohnt in der Nähe von Zürich, ist verheiratet und hat zwei Kinder.
    Was bietet die Schweiz?

    "Och, die Schweiz bietet, Sie suchen das Steuerparadies oder besuchen das Steuerparadies, das ist ein kleiner Teil dessen, was die Schweiz bietet. Die Schweiz bietet Arbeitsmarktbedingungen, nicht, die gigantisch, gigantisch anders sind als in Deutschland, die also auch wettbewerbsfähiger sind, und auch in Europa, weil niedrige Lohnnebenkosten, zwar sehr hohe Löhne, bei niedrigen Lohnnebenkosten, man sieht also, das geht. Sie bietet hervorragende Ausbildungsplätze, sie bietet im Arbeitsmarkt einen sehr, sehr flexiblen Arbeitsmarkt, z.B. ohne Kündigungsschutz, ohne Mitbestimmung, nicht, das sind alles Wettbewerbsvorteile, man mag es hören wollen oder nicht, eben gegenüber Deutschland z.B., nicht nur gegenüber Deutschland, sie bietet ein Sozialsystem was ähnlich ausgebaut ist, nur professioneller strukturiert ist als das deutsche, die Gesundheitskosten, sprich Krankenkassen, die fallen nicht dem Arbeitgeber zur Last, das sind die Dinge, die ich sagen würde, die die Schweiz eben ausmachen."

    Und die Frage, wie und mit welcher Strategie er deutsche Unternehmen in die Schweiz lockt, erübrigt sich quasi damit.

    "Wir müssen halt nicht locken. Die kommen von selbst."

    Genau.
    Was müsste man denn mitbringen?

    "Hehe, was Sie mitbringen müssen? Eigentlich gar nichts. Kosten tut das zunächst nichts. Kosten tut es dann, wenn Sie in die Schweiz kommen, eine Firma aufmachen, dann haben Sie die normalen Gründungskosten, die im Übrigen nicht sehr hoch sind, dann haben Sie einen Wirtschaftsförderer, der Sie an die Hand nimmt, der Sie in den Gemeinden oder Städten, wo Sie hin wollen, noch herumführt, einführt, das ist der Service und der kostet Sie eigentlich nichts."

    Alexander Niemetz holt kurz Luft.

    "Dann gibt es auch die Möglichkeit, dann steuerliche Vergünstigen, gibt es die Möglichkeit, wenn Sie Arbeitsplätze schaffen z.B., nicht, oder wenn Sie einen Businessplan vorlegen, der in Aussicht stellt, dass Arbeitsplätze geschaffen werden, nicht, dann haben Sie gute Chancen, nicht, gerade in bestimmten Kantonen, die, sagen wir mal, nicht so wohl gesettelt sind wie der Kanton Zug, eben dann auch bestimmte Erleichterungen zu bekommen, nicht. Keine Subventionen."

    Aber Erleichterungen.

    "Erleichterungen, ja. Also steuerlicher Art, hm."

    In Form etwa von Steuerabkommen mit dem jeweiligen Unternehmen. Angenommen, man will mit seiner Firma in die Schweiz, soundso viele Arbeitsplätze, das zu erwartende Steuervolumen soundso hoch, die Ansiedlung der Firma hier oder da... Dann kann es besondere Steuerabkommen geben. Im Kanton Waadt sollen es 1900 sein.
    Darüber, welche Firmen auf sein Engagement hin in die Schweiz…

    "Nein, darüber können wir sicher nicht sprechen, und wie gesagt, da müssen Sie nicht groß locken, die Leute wissen, was sie hier haben, die brauchen nur zusätzliche Informationen und das ist die Serviceleistung, die wir bieten."

    Niemetz raucht. Zigarillos.

    Das Leben im Kapitalismus, Schweizer Prägung.

    "Sicher."

    Und über gewisse Dinge mag in der Schweiz niemand so recht reden.

    "Worüber denn zum Beispiel?"

    Über Geld?

    "Ja mein Gott, wenn Sie von Daimler-Chrysler in Deutschland eine Auskunft haben wollen, wie groß ihr Investitionsvolumen in der Schweiz ist für die kommenden zehn Jahre, werden Sie nicht unbedingt eine Antwort bekommen, beispielsweise nicht? Das ist aber normal, das ist nicht Schweiz-typisch in dem Sinne, das ist einfach ein Teil dessen, was Unternehmen, was Unternehmen eben auch an Aktivitäten entwickeln, die man nicht partout in aller Transparenz öffentlich haben will, nicht."

    2007 hat Alexander Niemetz seine Zusammenarbeit mit Location Switzerland beendet. Jetzt hält er Vorträge und berät immer noch. Auch Bundeskanzlerin Merkel gehörte schon zu seinen Kunden, allerdings nicht bei Geldgeschäften.


    Wer viel hat, darf fast alles behalten: Die Steueroase Obwalden
    Mitten in Europa leben die Schweizer ein glückliches Insel-Dasein - eng verbandelt mit der Europäischen Union, aber nicht ihr Mitglied. Und das ist auch gut so, findet immer noch die Mehrheit der Eidgenossen. Die geografische Mitte reicht ihnen völlig aus, mehr Europa muss nicht sein. Genau diese Haltung beschreibt der Schweizer Journalist und Publizist Hugo Loetscher in seinem Glossenband, mit dem Titel: "Der Waschküchenschlüssel und andere Helvetica":

    "Es fällt auf, dass Städte und Länder gerne im Herzen von etwas liegen. Ich kenne keine Stadt, die sich rühmt, sich im Kopf Europas zu liegen. Völker und Städte scheinen geographisch nur ein Organ zu haben, eben ein Herz. Eingeweide zählen kaum. Obwohl - ich könnte mir leicht Plakate ausmalen, die für Städteflüge mit dem Slogan werben: ’Wir bringen Sie sicher zwischen die Schenkel Europas.’
    In der Mitte zu liegen, verführt nun aber leicht dazu, die Geographie als gottgegebenen Ausweis für Auserwähltsein zu nehmen. Wir kennen die Schweizer Interpreten der Schweiz, die aus der geographischen Lage unseres Landes eine besondere Sendung ableiten.
    Da die Schweiz mit drei, vier ihrer Sprachen an europäischen Kulturen partizipiert, könnte man sie als Spiegelbild dieses Europas verstehen. Als ein Europa ’in nuce’. Diesem ’Europa in der Nusschale’ kommt eine besondere Rolle zu. Die des Brückenschlagens. Oder die der Vermittlung. ’Vermitteln’ ist ein beliebtes schweizerisches Tätigkeitswort, vielleicht schon deswegen, weil man beim Vermitteln in der Mitte bleibt und es die andern sind, die etwas abgeben."


    Der Bundesrat - das ist die Schweizer Regierung - demonstriert Gelassenheit und auch die Schweizer Vereinigung der Bankiers ist um Klarstellung bemüht: Die Liechtensteiner Steueraffäre habe mit der Schweiz nichts zu tun - so die einhellige Botschaft. Stiftungen werden in der Schweiz streng kontrolliert: Sie müssen samt Namen, Sitz und Stiftungszweck beim Handelsregister eingetragen werden. Dennoch macht sich Nervosität breit, dass die Liechtensteiner Affäre auch auf die Schweiz überschlagen könnte, zumal die Eidgenossen schon in den letzten Jahren immer wieder in die Kritik geraten sind.

    Obwalden, südlich vom Vierwaldstätter See, ist dafür ein gutes Beispiel. Der Kanton führte im Jahre 2006 sogenannte degressive Steuersätze ein. Vereinfacht heißt das: Je mehr man verdient, desto weniger Steuern zahlt man. Der Coup der Obwaldener zielte ab auf Unternehmer und vermögende Privatleute - auch aus dem Ausland - doch in Obwalden selbst und im Rest der Schweiz gab es Protest. Das Leistungsprinzip, nach dem besser Betuchte stärker belastet werden als die anderen, werde mit dem degressiven Steuertarif ad absurdum geführt. Das Schweizer Bundesgericht, die oberste Recht sprechende Behörde, erklärte Obwaldens Gesetz mit seinen einseitigen Steuerprivilegien schließlich für verfassungswidrig.

    Also gibt es jetzt wieder ein neues Modell: Im Dezember hat der Kanton die Einführung einer Einheits-Steuer beschlossen. Das neue Modell ist so angelegt, dass Obwalden wiederum einen Spitzenplatz einnimmt: Gemeinsam mit Appenzell-Ausserrhoden bietet Obwalden innerhalb der Schweiz nun die tiefsten Steuersätze für Unternehmen an.


    Obwalden. Ein ländlicher Kanton.
    Vormittags in einem Restaurant im Obwaldener Hauptort Sarnen. Zwei, drei Gäste erst, und dennoch hat das Treffen nichts Geheimes - es ist ganz offiziell.

    "Wir sind sehr finanzschwach, also der Kanton ist nicht finanzstark, wir sind sehr stark abhängig von den Zahlungen des Bundes, und der Kanton Obwalden hatte auch Probleme damit, dass ihm die Steuerzahler weggelaufen sind, es sind Firmen nach Zug gegangen, Personen sind abgewandert nach Nidwalden oder nach Schwyz, Zug, und dann haben wir eine Strategie ausgearbeitet, diese sogenannte Steuerstrategie, und haben das jetzt umgesetzt."

    Lucia Omlin, 30. Rosa Bluse. Lucia Omlin ist Obwaldener Kantonsrätin. Sie war Vorsitzende der Steuergesetzgebungskommission.

    "Das hat sehr starke Auswirkungen, wir haben schon gegen hundert Unternehmen angesiedelt, und es sind auch bereits schon Personen nach Obwalden gekommen oder haben signalisiert, dass sie nach Obwalden ziehen möchten."

    Firmen ganz unterschiedlicher Couleur: Finanzgesellschaften, Handelsgesellschaften, Tochtergesellschaften. Eines ist ihnen allen eigen - sie sind beweglich. Sie können, da sie nichts produzieren, heute in diesem und morgen in jenem Kanton sein.
    Eine besondere Stellung nimmt das Örtchen Engelberg ein. In zweifacher Hinsicht: Erstens ist Engelberg eine Exklave, da es zwar zu Obwalden gehört, aber im Kanton Nidwalden liegt; und zweitens ist Engelberg, auch als Ferienort, insbesondere für Wintersportler, sehr beliebt.

    "Viele Deutsche haben dort eine Ferienwohnung oder kommen nach Engelberg in die Ferien, und jetzt sind viele Firmen nach Engelberg auch gekommen, es wurden viele Firmen angesiedelt, und zwar vielfach in den Ferienwohnungen, also die haben ihren Sitz dann in den Ferienwohnungen, oder sind auch neue Deutsche dann interessiert an einer Ferienwohnung in Engelberg, ja."

    Kann Frau Omlin Namen nennen?

    "Nein, das kann ich nicht."

    Schade.

    "Nein, das fällt auf der einen Seite unter mein Amtsgeheimnis, dem ich unterstehe, und auf der anderen Seite auch dem Geschäftsgeheimnis, das ich habe, meinem Arbeitgeber gegenüber."

    Ihr Arbeitgeber? Bis vor kurzem eine Züricher Kanzlei, eine der vier größten in der Schweiz. Die Juristin, schwarze Schuhe, braunes Fleece-Jackett, fuhr fast jeden Tag. Nach Zürich. 1 1/2 Stunden.

    "Ja, ein Weg, ja, bis nach Zürich, mit dem Zug."

    Keine Namen.

    "Ja, ich kann höchstens sagen, wir haben viele internationale Kunden. Viele große Konzerne, in verschiedenen Branchen, ja."

    Und die berät sie in Steuerfragen.

    "Die beraten wir in Steuerfragen, ja."

    Das heißt sie berät sie darin, wie...

    "Wie sie ihre Steuersituation optimieren können, ja."

    Steuerverminderung?

    "Steuerverminderung?, ja. Oder eine optimale Struktur, dass sie nicht viel Steuern bezahlen, ja, ja."

    Auf legalem Weg - mit dem Instrument etwa der Holdingdomizilprivilegien. Andere Firmen organisieren sich so, dass sie im Auslandsgeschäft arbeiten, aber im Kanton eine Verwaltungstätigkeit anmelden.

    Inzwischen arbeitet Lucia Omlin in einer Obwaldener Anwaltskanzlei.
    Schwarze Haare, schwarze Hose, ungeschminkt, kein Schmuck - bis auf eine Perle im jedem Ohr und eine dünne goldene Halskette. Ihre Haare sind nach vorne gekämmt, die Augenbrauen buschig, die Wimpern lang.
    Es geht immer ums Geld.

    "Es geht immer ums Geld, natürlich, ja."

    Wie man das in die Schweiz bringt, eine Auskunft darüber zu geben, verbietet sich für die Beraterin.

    "Äh, was soll ich da sagen, also, es kann sich ja jeder vorstellen, wie man Geld in die Schweiz bringen kann."

    In einem Koffer?

    "Eine größere Fantasie entwickele ich da nicht. Hahaha."

    Nach Schwyz, in den Hauptort des gleichnamigen Kantons, um den Urner See herum, eine knappe Autostunde.
    136.000 Einwohner hat der Kanton, die Stadt 50.000.
    Der Bundesbrief, die Gründungsurkunde der Schweiz, liegt in Schwyz. Eine Stiftung will ihn für 1 Million kaufen, um seine Ausstellung in den USA, in einem Museum, zu verhindern.

    Am Rathausplatz. Das Rathaus, die St. Martin-Kirche, das Hotel "Wysses Rössli".
    Vom Rathausplatz geht die Herrengasse ab. In der Herrengasse sitzen diverse Holdings sowie Betriebs-, Wirtschafts-, Unternehmens- und Finanzberater.
    Schwyz ist neben Zug seit vielen Jahren das zweite Schweizer Steuerparadies.

    In der Herrengasse 14 drei dieser Firmen. Eine davon ist Convisa, 35 Mitarbeiter - Unternehmens-, Steuer- und Rechtsberatung.

    Es geht in ein Besprechungszimmer.

    Nach einem Augenblick... Bernhard auf der Maur. Diplomierter Steuerexperte, blauer Business-Anzug. Schwyzer, ledig, 42, dreisprachig. Seit sechs Jahren bei Convisa. Siegelring an der rechten Hand.

    "Wir sagen immer, das betriebswirtschaftliche Modell, das muss stimmen, und dann muss das Steuermodell an das betriebswirtschaftliche Modell angepasst werden, und nicht umgekehrt. Sonst erleidet man vielfach mal früher oder später Schiffbruch."

    Randlose Brille, blauer Schlips, gepunktet.
    Auf der Maur hat einige Akten mitgebracht.

    "Genau, das sind typische Akten, wenn sich jemand hier in der Schweiz ansiedeln möchte bzw. wenn er hier Geschäftige tätigen möchte, das sind einmal Gegenüberstellungen z.B. der Gesellschaftsformen, typischen Gesellschaftsformen, die es hier in der Schweiz gibt, dann gibt es eine Gegenüberstellung der verschiedenen Gesellschaftsformen mit den entsprechenden Steuersätzen und wie es besteuert wird. Das ist mal eigentlich der Grundeinstieg, damit man sieht, ja, was bietet überhaupt die Schweiz an, welche Gesellschaftsformen sind möglich und eben auch was sind dann die steuerlichen Konsequenzen hier in der Schweiz."

    Dieser Punkt ist meist der Gesprächseinstieg - wenn sich jemand hier niederlassen will.

    "Und dann haben wir hier ja auch sogenannte privilegiert besteuerte Gesellschaften, dort sind die Besteuerungssätze tiefer, die können neun, zehn Prozent sein, je nach dem, welchen Steuerprivilegiertenstatus sie erhalten."

    Weißes Hemd mit blauen und roten Streifen.
    Welche Art Firmen und Gesellschaften betreut die Convisa?

    "Wir haben nicht ein bestimmtes Brachencluster, das wir nur betreuen. Das kann sein Baubranche, das kann sein Dienstleistungsbranche, ja, eigentlich die ganze, die ganze Palette."

    Briefkastenfirmen betreuen sie nicht?

    "Also Sie meinen jetzt Domizilgesellschaften? Doch, Domizilgesellschaften betreuen wir auch, die haben dann vielfach eine sehr bescheidene Tätigkeit, das ist, ja, eben so, ja."

    Keine Namen.
    Aber: Auf der Maur ist einer der wenigen aus diesem Berufsfeld, die überhaupt reden, ja, nahezu freimütig Auskunft geben.

    "Ja, weil wir nichts zu verbergen haben, und ich betrachte das auch als Chance, dass wir auch etwas über die Schweiz oder den Kanton Schwyz im speziellen sagen können und auch über unsere Dienstleistungen und dass da vielleicht jemand das schmackhaft gemacht wird, mal auch einen Schritt über die Grenze zu wagen oder zumindest in Erwägung zu ziehen, es gibt natürlich wie überall im Leben, gibt es Vor- und Nachteile, denen muss man sich bewusst sein, und ein solcher Schritt muss geplant werden, aus reiner Steueroptimierung macht es im größten Teil aller Fälle keinen Sinn."

    Infrastruktur, Lohnnebenkosten, Lebensqualität.
    Und die Frage, wie man Geld am deutschen Fiskus vorbei bringt, empfindet er als fast skandalös.

    "Dazu, also eine Planung, um Erträge oder Einkünfte dem deutschen Fiskus vorbei zu schleusen, dazu müssen wir unsere Hilfe nicht anbieten, wenn das ein Unternehmer selber nicht machen kann, dazu brauch man keine Ausbildung und auch keine Beratung, und die wollen wir auch nicht, die wollen wir auch nicht anbieten."


    Zug zieht an - ein Besuch in einem der reichsten Kanton der Schweiz
    Der Ort ist reinlich und alt, notierte Goethe anno 1797, als er nach Zug kam, Kanton und Stadt in der Zentralschweiz. Heute ist Zug erfolgreich und teuer. Eine Stadt der Superlative. Hier findet man die meisten Briefkastenfirmen und die reichsten Schweizer. Die Mieten sind astronomisch hoch, und vom Kaffee bis zur Kohle ist Zug eine der wichtigsten Metropolen für den weltweiten Handel mit Rohstoffen. All das ist kein Zufall. Auf dem Weltmarkt explodieren die Energiepreise. So versuchen die Unternehmen wenigstens bei den Steuern zu sparen - und ziehen nach Zug. Auch solche, die man gar nicht haben will - dubiose Firmen, die den Ruf gefährden.

    Der Schweizer Globalisierungs-Kritiker Jean Ziegler sprach schon Anfang der neunziger Jahre von sauberem, grauem und schmutzigem Geld, das durch das Schweizer Bankgeheimnis bestens geschützt sei. Heute sind die Behörden in Zug aufmerksamer denn je: Das örtliche Dezernat für Wirtschaftskriminalität wurde verstärkt: Es geht ums Image.


    Peter Hegglin ist Finanzdirektor des Kantons Zug. Sein Amt befindet sich in der Bahnhofstraße.

    Zur Miete. Als maximale Kostenminimierung für den Steuerzahler.


    "Herr Benzner, guten Tag."

    Keine besondere Adresse, die Bahnhofsstraße. Ein paar Restaurants, Boutiquen, Banken, zweispurige Einbahnstraße hier am Rande der Zuger Altstadt und unweit des gleichnamigen Sees.

    "Ähem. So, haben Sie es gut gefunden?"

    Peter Hegglin.
    46, verheiratet, vier Kinder. Zuger aus Menzingen. Der Finanzdirektor war bis 2002 Bauer - mit politischen Ämtern: Präsident des kantonalen und Vizepräsident des Schweizerischen Bauernverbandes. Im Kanton Zug spielt die Landwirtschaft keine Rolle mehr. Zug ist der kleinste Kanton.

    "Äh, Basel-Stadt? Wir sind, gehören zu den kleinsten, aber nicht ganz der kleinste."

    Lichtes, blondes Haar, rot-blonder Oberlippenbart, schwarze, gefütterte Stiefel mit Reisverschluss, grauer Anzug mit dünnen blauen Längs- und Querstreifen.
    Den Hof hat der Finanzdirektor aufgegeben.

    "Den hab ich jetzt inzwischen aufgelöst oder aufgehört, ja, aufgehört. Ich wohne noch auf diesem Betrieb, aber alles geht einfach nicht, oder? ich kann nicht dieses Amt ausfüllen und daneben noch einen Betrieb leiten, der ja für Schweizerische Verhältnisse überdurchschnittlich groß war."

    Bergbauer. Gestreiftes Hemd, gestreifte Krawatte. 25 1/2 Hektar Land, Milchkühe, Legehennen, Obstbau - nach Biorichtlinien. Und Lehrlingsausbildung. Hegglins Büro ist großzügig, viel Glas, großer Schreib- und Sitzungstisch.
    Zehn Mitarbeiter hat er, 130 arbeiten in der Steuerbehörde des Kantons.

    "Das ist alles zentralisiert bei uns, also wir haben nur eine Steuerbehörde im Kanton Zug, und das ist einfacher, oder? Und auch der Zugang natürlich zum Regierungsrat."

    Somit zu ihm selbst, dem Finanzdirektor...

    "...ist relativ einfach, man kennt sich noch, wenn ich auf die Straße gehe, kennen mich fast alle Leute, hahaha, und wenn dann ein Einwohner des Kantons ein Problem hat, ja, dann kommt er direkt, oder sehr schnell."

    Boris Becker allerdings war noch nie bei ihm, und Hegglin, am rechten Handgelenk eine Uhr mit breitem Lederarmband, ist ihm noch nie begegnet.

    "Ich hatte noch nie einen Kontakt mit Boris Becker, und eigentlich auch nicht mit seiner Firma."

    Aber die Adresse ist bekannt?

    "Ich müsste nachfragen, ja, bei mir nicht, weil ich mit ihm nichts zu tun hatte und ich auch nicht mit ihm über Steuern verhandele, das machen wir nicht."

    Der andere ehemalige Sportler? Günter Netzer?

    "Nein, auch nicht, ich habe vom Namen schon gehört, aber ich habe mit ihm noch nie einen Kontakt gehabt."

    Das heißt, etwa die Zusammenarbeit mit diesen beiden Firmen läuft ganz selbstverständlich und ganz normal.

    "Ja, ja, ja. Keine weiteren Umstände oder Bemühungen, es läuft normal."

    Die Orte Zug, Baar, Steinhausen und Cham wachsen zusammen, die Bürokomplexe und Industrieansiedlungen kommen sich an den Rändern immer näher, geisterhaft des Nachts, geschäftig am Tag.
    Zug hat mehrere internationale Schulen, Zug hat einen neuen Bahnhof. Zug-Zürich, Bankenmetropole, 20 Minuten.

    "Früher war Zürich sicher der stärkere Wirtschaftsstandort als Zug und wir hatten sehr viele Pendler, die von Zug nach Zürich gingen, heute hat sich Zug etabliert, ist wesentlich stärker geworden, und heute ist Zug eigentlich auch eine Zupendlerregion. Also es gibt mindestens auch so viele Züricher, die nach Zug kommen an die Arbeit wie Zuger, die nach Zürich gehen. Also der Austausch, die Pendelbewegung ist groß, und das hat sicher damit zu tun, dass die Bahnverbindungen gut und schnell sind."

    65.000 Arbeitsplätze gibt es im Kanton Zug, 20 Prozent der 65.000 pendeln.
    Das Steueraufkommen?

    "Wir partizipieren ja an direkten Bundessteuern, und das sind dann nochmals 140 Millionen, also wir haben Gesamtsteuereinnahmen des Kantons von 580 Millionen Franken."

    369 Millionen Euro - eine ganze Menge Geld. Die Stadt Essen, 600.000 Einwohner und, was die Fläche betrifft eine der größeren der Bundesrepublik, kommt auf einen unwesentlich niedrigeren Betrag.
    Allerdings hat Zug einen Höchststeuersatz von lediglich maximal 16,3 Prozent.

    "Ja. Es ist immer Ansichtssache. Eben, es kommt ja auf die Leute an, 100.000 Einwohner, oder? und dann, und ja, am Ende vom Jahr bleibt auch da nicht mehr viel übrig, hahahaha."

    Seit 30 Jahren hat der Kanton kein Minus gemacht.
    Seit vier Jahren ist Hegglin, Mitglied der CVP, der Christdemokraten, im Amt.

    "Als ich begann hier, da waren wir gerade auch in einer wirtschaftlichen Stagnation, die Steuererträge waren auch tiefer als geplant und die Erfahrung war auch nicht schlecht, mit weniger Geld auszukommen. Also ich fürchte, wie soll ich sagen, auch diese Situation hat ihre Herausforderung und ich scheue die Herausforderungen nicht."

    Er spielt - unaufgeregt - mit seinen Fingern.
    20 Prozent der Zuger - des Kantons - sind aus dem Ausland, davon aus Deutschland...

    "Ich kann das rasch im Sekretariat..."

    Er geht nachschauen.

    2593 Deutsche.

    "Ich habe bis jetzt noch keine negative Erfahrung gemacht mit deutschen Firmen, auch nicht mit deutschen Einwohnern. Für uns ist das kein Problem, ich schätze andere Kulturen und andere Leute und wenn sie ja kommen und direkt was bewegen und mitarbeiten, dann sind sie sicher sehr willkommen, anders ist es, wenn Leute nur kommen, um unser Sozialsystem auszunützen, dort hat der Schweizer generell mehr Mühe, aber Ausländer, die kommen und etwas machen wollen und damit dann auch Geld verdient, dann ist er willkommen."


    "Wär' schön, wenn er zurückkommen würde…" - Besuch in Mels, Heimatort von Josef Ackermann

    Der deutsche Wirtschaftsjournalist und Autor Günter Ogger kennt sich aus in der Welt der Kofferträger und Ökonomen, und immer wieder knöpft er sich die schwarzen Schafe der Branche vor: Spekulanten und Betrüger sind sein Metier. In seinem Roman "Der Absturz" heißt der Schurke Dieter Testorp, ein steinreicher Unternehmer, der den Dollarkurs fälscht und damit ganze Firmen in den Ruin treibt. Handlungsort ist unter anderem der Finanzplatz Zug:

    "Eine halbe Stunde nach dem Bentley hielt ein graues Toyota-Taxi mit Züricher Kennzeichen vor einer weißen, dreistöckigen Villa in Oberaegeri. Das zum Kanton Zug gehörende Dorf am Aegerisee zählte vielleicht nicht zu den glamourösesten Orten der Schweiz, doch es bot, abgesehen von vermögensfreundlichen Steuersätzen, einige nicht zu unterschätzende Vorteile: eine diskrete Adresse, saubere Luft, wohlhabende Nachbarn und eine gepflegte Bilderbuchlandschaft.
    Von außen unterschied sich Testorps europäischer Hauptwohnsitz nicht sehr von den anderen Häusern in der Umgebung, doch sobald der Besucher die hohe, von einer Glaskuppel gekrönte Eingangshalle betrat, zeigte sich die Größe des weit in den Hang hineingebauten Gebäudekomplexes. Er beherbergte nicht nur das Haus- und Wachpersonal, sondern auch zwei Dutzend fest angestellte Finanzexperten.
    Nach der Begrüßung des Personals hatte sich Kirsten in den dritten Stock zurückgezogen, während Testorp zum ’Bunker’ hinüberging, um sich von Dr. Schneebeli, dem Leiter seiner privaten Vermögensverwaltung, den aktuellen Status geben zu lassen."


    "’Dollar und Euro stehen fast pari’, referierte der kleine Schweizer mit dem kahlen Rundkopf, ’und die Europäer fangen an, sich Sorgen zu machen. Wenn der Dollar weiter abtaucht, brechen die Exporte ein. In der Schweiz, wie in Deutschland, Frankreich und Italien stehen zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.’
    ’Ist mir bekannt’, schnitt ihm Testorp das Wort ab und winkte den jungen Männern und Frauen zu, die in dem großen, achteckigen Handelsraum an ihren Monitoren saßen, um sein Vermögen zu mehren. ’Ziehen Sie bis auf weiteres, alle beweglichen Werte aus den USA ab’, empfahl er dem Ex-banker, den er bei der UBS abgeworben hatte, ’und investieren Sie verstärkt in Osteuropa, Japan und China.’
    Nachdem er mit den Anlageexperten noch einige Worte gewechselt hatte, verließ er den ’Bunker’. An der Stahltür, die den Büro- vom Privatbereich trennte, presste er die Kuppe seines rechten Zeigefingers auf den Sensor des biometrischen Erkennungssystems und schlenderte dann, anschwellenden Geräuschen folgend, in Richtung Speisesaal."


    Geben und nehmen - Brüssel und Bern haben das in zwei Vertragspaketen festgehalten: Diese so genannten Bilateralen sind Grundlage für alle politischen und wirtschaftlichen Beziehungen. Böse Zungen sprechen von Rosinenpickerei: Die Schweiz profitiere von der EU als wichtigstem Handelspartner, heißt es. Doch mit den Krisen und den Problemen der 27 Nachbarn wolle das Land mitten in Europa nichts zu tun haben. Für zusätzlichen Zündstoff sorgt die Schweizer Steuerpraxis, die scharenweise ausländische Unternehmen anzieht. Ein klarer Fall von Wettbewerbsverzerrung, heißt es dazu aus Brüssel.

    Besonders der deutsche Fiskus leidet unter der Anziehungskraft der Schweizer Steueroasen. Doch die Eidgenossen schießen zurück: Subventionen, wie etwa Nokia sie erhalten habe, seien ebenfalls schädlich für den Wettbewerb. Und genauso wie Liechtenstein kritisiert auch die Schweiz das deutsche Steuersystem, das ja zu Betrug und schwarzen Konten überhaupt erst einlade. Doch Geld und Moral lassen sich schwerlich gegeneinander aufwiegen. Das hat vor allem einer zu spüren bekommen: Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank und gebürtiger Schweizer. Fürsprecher loben ihn als global denkenden Unternehmer. Doch dass tausende Mitarbeiter der Deutschen Bank in den letzten Jahren trotz Milliardengewinnen entlassen wurden, hat Ackermann bei seinen Kritikern den Ruf einer "Oberheuschrecke" eingebracht.


    Aufgewachsen ist Josef Ackermann in Mels in der Ostschweiz, gelegen im Kanton St. Gallen. Angeblich nennen sie ihn hier noch immer "Seppi"…

    Mels. 8000 Einwohner.
    Heidiland. Ein Getränkeabfüller in Mels-West im Industriegebiet, nennt sich so, ein Musical auch.
    Es ist abends. Die Gasthäuser sind leer, hier und da ein paar Männer, Autos fahren durch den Ort in der "Traube" sitzen junge Leute vergnügt um die Tische herum.

    Am nächsten Tag.
    Um den Rathausplatz Geschäfte, der Briefträger rauscht auf seinem Moped mit Anhänger vorbei, unten im Rathaus eine Weinkellerei, schräg darüber arbeitet Markus Zimmermann.
    "Ja, er ist im ersten Stock, Büro Nummer 23."

    Mels. Keine Holdings, keine Consultings, keine Firmenberater.

    "Wenn, äh, Josef Ackermann bei uns wohnen würde, wären wir vielleicht ein Steuerparadies."

    Markus Zimmermann ist der Gemeindepräsident.
    Seit 2000.
    Ein gebürtiger Melser.

    "Ja. Ja, ja. Ich kenne die Eltern, sein Vater war ja Landarzt bei uns und, äh, man ist zum Dr. Ackermann zum Arzt gegangen."

    Der Sohn. Und dessen Art:

    "Hmmm, da kann man sich drüber streiten, ist die arrogant oder ist die nicht arrogant oder ist die überheblich."

    Ein Ort und damit die Herkunft prägt den Menschen.

    "Ich denke, dass wir Sarganserländer doch von unserer Umgebung geprägt sind, ja, wir sind relativ stark mit unserer Heimat verwurzelt, und viele müssen auswärts Arbeit suchen, vergessen aber ihre Wurzeln sehr selten, kommen immer wieder gerne zurück. Die Umgebung prägt uns vielleicht auch, dass wir ein wenig hartköpfig sind, vielleicht auch ein wenig unnahbar, mal schauen, was da kommt, bevor man Ja und Amen sagt, ich denke schon, dass die Umgebung uns prägt, ja, ja."

    Den Steinbock, der über ihm in seinem Arbeitszimmer hängt, den hat er nicht selbst geschossen.

    "Nein, der ist selber gestorben, der ist selber gestorben, wahrscheinlich eine Lawine oder so was."

    Zimmermann, Bürstenhaarschnitt und ganz in schwarz gekleidet, sieht aus wie ein Existenzialist.

    "Schwarz macht schlank, glaube ich, haha, nein, es gibt keine Verbindung, sie haben sowieso nach gerne dunkle Kleidung an, ja, ja."

    "Ein etwas ländlich strukturierter Ort, mit sehr viel Einheimischen, also sehr viel Bürgeranteil, circa, meines Wissens 60 bis 65 Prozent. Zugewanderte dürften nur etwa 35 bis 40 Prozent sein."

    Ein Elektrofachgeschäft.

    "Elektroinstallationen."

    Mels.

    "Es gibt Einkaufscenter, große, es gibt einige Unternehmen, also Industrien, mittlerer Größe, ansonsten eben Kleinbetriebe, Handwerker."

    Textilindustrie gab es bis vor fünf, sechs Jahren. Die Gemeinde grenzt an den Rhein, Berge bis zu 3000 Meter hoch.
    Die Textilindustrie, das Firmengebäude steht noch, hat pleite gemacht.

    "Ich bin Melser Bürger, ja."

    Clemens Hoobi. Auch er kennt die Familie Ackermann. Aus dem gleichen Grund wie der Gemeindepräsident.

    "Ja sehr gut, der Vater war mein Hausarzt. Und, äh, Jo Ackermann ist mit meiner Tochter und meinem Sohn aufgewachsen. Er war sehr sympathisch und ist allgemein bei uns beliebt."

    Ach.

    "Er ist aber immer noch ein Mensch, der oft seinen Vater besucht und der die Leute im Dorf kennt. Und grüßt."

    Und dieses Victory-Zeichen.

    "War vielleicht etwas ungeschickt. Hahaha, ich bin nicht Deutscher, ich kann es nicht beurteilen, vielleicht beurteile ich einiges anders, weil ich ihn kenne, ja. Und ich weiß, dass man vielleicht einmal etwas Unüberlegtes macht oder sagt, in der Hitze des Gefechtes, das man im Nachhinein denkt, lieber nicht getan zu haben, so beurteile ich es."

    Wie ist Mels politisch aufgestellt?

    "Etwas konservativ. Der größte Teil ist CVP, das heißt also eine konservative christliche Partei, Sozialisten, hmm, vielleicht fünf, sechs Prozent, also sehr sehr wenig, kommt vielleicht daher, dass wir eine ländlich geprägte Gemeinde sind."

    Die Sozialisten sind die Sozialdemokraten.

    "Ja, ja, so, ja haha, genau."

    "Mein Vater war der Cousin von seiner Mutter. Meine Mutter war eine Pieslin, und die Mutter von Jo Ackermann ist auch eine Pieslin, Ackermann-Pieslin, ja."

    Ja.

    "Ja ja, und sind sehr stille Bürger noch, ja, ja, die leben beide noch. Übrigens, wenn Sie sich etwas umschauen in der Gemeinde Mels, da ist das Kloster, das Kapuzinerkloster, und dort in der Nähe wohnt sogar sein Bruder."

    Der Bruder des Vaters.

    Am Ortseingang war eine Tafel aufgestellt: "Ein Band für’s Leben" - vielleicht kommt Josef Ackermann eines Tages zurück nach Mels.
    Markus Zimmermann, der Gemeindepräsident:

    "Wäre schön, wenn er zurückkommen würde, also wir würden ihn sicher gerne bei uns aufnehmen. Natürlich auch mit dem Hintergedanken an die Finanzen, oder? Ich weiß nicht, wie viel Geld er hat in diesem Sinne, aber ich kann mir vorstellen, dass da etwas auf der Seite ist und dass es doch uns helfen könnte, den Finanzhaushalt unserer Gemeinde doch aufzubessern."

    Mit dem "Band für’s Leben" waren allerdings Sicherheitsgurte gemeint.


    Macht Geld glücklich? - Ein Philosophieprofessor aus Zürich antwortet
    Der Schweizer Journalist und Publizist Hugo Loetscher lässt in seinem Glossenband "Der Waschküchenschlüssel und andere Helvetica" keine Gelegenheit aus, einen ironischen Blick auf das Wesen der Schweizer zu werfen: Wenn der Liebe Gott Schweizer wäre…

    "Was wäre passiert, wenn der liebe Gott Schweizer gewesen wäre? Die Frage ist keineswegs müßig, wie einige meinen könnten, denn es besteht der berechtigte Verdacht, dass manches anders herausgekommen wäre.
    So vermessen ist die Überlegung nicht. Andere Völker okkupieren den Lieben Gott ebenfalls.
    Da heißt es zum Beispiel, einer ’lebe wie der Herrgott in Frankreich’. Warum soll es dem Lieben Gott ausgerechnet in Frankreich gefallen? Wegen des Essens? Weshalb heißt es nicht: Er lebt wie der Herrgott in der Schweiz? Bei uns sind die Verhältnisse viel gesicherter. Wir haben eine weltweit anerkannte Hotelindustrie. Aber anderseits ist natürlich zu bedenken: die, welche sich wohl fühlen, könnten am Ende noch bleiben wollen.
    Und die Amerikaner sagen zum Beispiel, ihr Land ’sei Gottes eigenes Land’. Was für Amerika recht sein mag, ist für uns noch lange nicht billig - bei unseren Bodenpreisen. Haben wir unsere Geschichte nicht damit begonnen, dass wir unseren Boden verteidigten; den lassen wir uns von niemand nehmen, und an Besitzverhältnissen rütteln wir nicht. Die Schönheit dieses Bodens offenbart sich sowieso nur jenem, der Grenzsteine zu setzen weiß und Zäune ziehen kann.
    Schweizer, das sind nur wir, eine kleine Zahl, dafür sind wir es umso tüchtiger. Natürlich leuchtet es uns ein, dass alle Schweizer werden möchten, aber da muss man Zurückhaltung üben, nicht nur wegen des Gedränges in einem so kleinen Land. Wenn einer Schweizer werden will, muss er sich das schon was kosten lassen; was es kostet, das ist von Gemeinde zu Gemeinde verschieden."


    Mehrere hunderttausend Wert schöpfende Arbeitsplätze sind in der Schweiz in den letzten zwölf Jahren verloren gegangen, dazu kommen noch einmal über 30.000 Ausbildungsplätze. In Kantonen wie Schwyz oder Zug steigen die Lebenshaltungskosten kontinuierlich an. In den kommenden Jahren rechnet Zug mit weiteren zig hundert Firmen, die sich aus dem Ausland in der Schweiz niederlassen werden. Das bedeutet indes nicht, dass diese Firmen tatsächlich dort angesiedelt sind. Die real schöpfende Wirtschaft verlässt den Kanton derweil, weil es zu teuer ist dort zu produzieren.

    97 Prozent der weltweiten Geldmenge haben nach Berechnungen von Fachleuten keinen realen Hintergrund mehr, Vermögen werden auf internationalen Finanzmärkten hin und hergeschoben. Gelagert, das heißt gespart, wird das Geld am Ende in der Schweiz. Dort aber mehren sich die Stimmen der Kritiker: Es sei ein Irrtum, zu glauben, dass man nur von Banken und Versicherungen leben könne.


    Ein Treffen in Zürich, und ein Gespräch über Geld und Verantwortung:

    In der Züricher Universität.
    Im Hauptgebäude wird gebaut, die Glaskuppel über der Halle ist renovierungsbedürftig.
    Der Fußboden ist abgedeckt, die Siegesgöttin Nike, die in der Halle steht, Holz verkleidet.

    Im Hauptgebäude residiert das Philosophische Seminar.

    "Ja, was ist Geld? Geld ist ein Zahlungsmittel, ein Aufbewahrungsmittel, ein Medium."

    Professor Georg Kohler, Emmentaler, aber schon lange in Zürich, Vorsteher des Philosophischen Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für Politische Philosophie. 61, verheiratet, kinderlos.
    Ortswechsel.

    In einer Züricher Bank. In einem Bankhaus. In seinem Saal. Wenige Schalter, viel Marmor, eine Sitzecke.

    "Eine dieser, ja, Zürcher Geldverwaltungsinstitute, man muss ja wissen, dass die Stadt Zürich zwar einerseits über diese wirklich big players verfügt, UBS und Credit Suisse, aber auch eine Reihe von Privatbanken, und die Schweiz, das darf man ruhig sagen, ist so etwas wie der Tresor der Welt, ich hab irgendwo mal gelesen, dass schätzungsweise 30 Prozent des auf der ganzen Welt verfügbaren privaten Vermögens irgendwo verbandelt ist, sagen wir mal auf Schweizer Banken, die eben vermögenden Leuten helfen, ihr Geld sicher und dann auch Gewinn bringend anzulegen."

    Graue Hose, graues Hemd, die Knöpfe auf, Hose aus Baumwolle, Hemd aus Flanell, weißes Unterhemd mit rundem Kragen, roter Schal.

    "Warum will man Geld, mehr Geld und immer mehr Geld, Geld lässt zu, dass alles mit allem getauscht werden kann, und wer Geld hat, kann mit dem Geld eben eintauschen, was er möchte, Geld ist nicht selbst schon Macht, aber es ist das Instrument für Macht, oder ist, wenn man so will, pure Macht, die noch nicht eingesetzt ist."

    Ein Herr in Anzug geht vorbei.

    Die Schuhe klacken. Professor Kohler trägt Wanderstiefel.

    "Und je empfindlicher jemand ist für die Erfahrung, dass Macht eben auch immer bedroht ist, desto mehr versucht man sich gewissermaßen abzusichern, man hat nie genug Macht. Das andere, warum machen Unternehmer immer weiter? Also ein Unternehmer ist ja im Gegensatz zu jemandem, der einfach reich und Angst hat um sein Geld, ist jemand, der eben etwas bewirken will, und zur Unternehmerschaft gehört das Gefühl für die Dinge, die sich bewegen, die eigene Position, die nie ganz gesichert ist, die Wirklichkeit ist immer unterwegs, und deswegen ist es tatsächlich so, dass ein Unternehmer, der nicht in irgend einer Weise sich erneuert und wohl auch wächst, dass der eher am absteigenden Ast ist, es ist ein Vitalitätszeichen, zu wachsen. Und ein anderes Problem ist, was die reichen Leute für ein Gefühl dafür haben, dass sie der Gesellschaft, dank der sie so reich haben werden können, was sie der zurück zu geben zu haben. Und es stört mich, wenn sie das Gefühl haben, sie seien sozusagen vollkommen zu Recht Inhaber dieser enormen Vorteile in einer Gesellschaft, die an sich durchaus auch auf Gleichheit ausgerichtet ist."

    Kohler trägt eine Brille mit hellem Hornrand.
    Ist die Schweiz auf Gleichheit ausgerichtet?

    "In der Schweiz gibt es einen tiefen Zug zum Egalitarismus, auf der anderen Seite eben ist die Schweiz in Bezug auf Verteilung von Vermögen von außerordentlicher Ungleichheit."

    Am Zürichsee. Auf einer Bank.
    Die Ostseite, das Mythenufer. Ein Segelboot, Möwen, keine Spaziergänger, dem Professor war es zu kalt.
    Es ist kalt. Bei warmem Wetter treffen sich hier die jungen Banker und machen an den Imbissbuden Mittag.

    Zurück in der Bank.

    "Geld ist ein ungeheueres Beschleunigungsmittel, und diese Beschleunigungen haben immer mehr zugenommen, weil alles so über ein Maß, nämlich das Maß des Geldwertes vergleichbar geworden ist, also die Beschleunigung und die Komplexität und alle Chancen, die daraus entstanden sind, hängen mit der Monetarisierung der Gesellschaft zusammen."

    Sein lichtes Haar scheint über seinem offenen Gesicht.

    "Und eine Gesellschaft wie die unserige, die nach ’89 einen ganz ungeheueren Schub in Richtung Monetarisierung, in Richtung Vergleichbarkeit von allem mit Geldwert gemacht hat, sie läuft in die ganz große Gefahr und in die Falle hinein, dass man Werte oder Ideale zu verwechseln beginnt mit dem Geldwert. Menschliches Leben gelingt nicht, wenn es davon ausgeht, dass alles käuflich ist. Das, was letzten Endes wirklich zählt, sind unbedingte Einstellungen, sind Ideale, sind Prinzipien, die eben gerade nicht zu kaufen sind."

    Und?
    Eine Haltung. Eine Position. Ein Standpunkt.
    Professor Kohler setzt seinen Gedanken fort.

    "Eine Erscheinung, die in jeder Hinsicht zu kritisieren ist und die letzten Endes Lebensglück, das einzelne wie das soziale, zutiefst bedroht. Also ein philosophisches Verhältnis heißt, das Geld so zu nehmen wie es ist, als eine notwendige Voraussetzung, aber es nie zum Selbstzweck werden zu lassen. Geld hat die Tendenz, Menschen sehr unfrei werden zu lassen."

    Kennt Kohler unglückliche Reiche?

    "Ja selbstverständlich. Aber ich kenne auch unglückliche Arme. Also Geld macht per se sicher nicht glücklich, das ist falsch, es macht auch nicht notwendiger Weise unglücklich, aber es wohnt zu viel Geldbesitz durchaus die Chance inne, dass man daran scheitert."