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Geldbeutel- statt Umweltschonung

Umwelt. – Autofahren ist in den Großstädten schon längst kein Vergnügen mehr. Daher findet eine Idee gerade dort Anhänger: Beim Car Sharing verzichtet man auf das eigene Fahrzeug, kann sich aber bei Bedarf aus einem Fuhrpark von Gemeinschaftsautos bedienen. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie hat jetzt das Kundenpotenzial des Car-Sharings in Deutschland untersucht – mit durchaus zwiespältigen Ergebnissen.

Von Sascha Ott | 01.06.2006
    Christian Schäfer entspricht genau dem Modelltyp des Car-Sharing-Kunden: Er ist Mitte 30, gut ausgebildet, wohnt in einem Gründerzeitviertel einer Großstadt und: besitzt kein eigenes Auto. Seit einem halben Jahr nutzt er die Fahrzeuge von Cambio-Car, einem der größten Car-Sharing-Anbieter in Deutschland. Per Internet hat er heute einen Wagen an der Abholstation in der Nähe seiner Wohnung bestellt.

    "Ich habe eine Cambio-Card, sieht aus wie eine Scheckkarte, die halte ich vor den Automaten. Der Automat steht immer in ziemlicher Nähe zu der Station, wo das Auto steht. Dann erscheint auf dem Display: ‚Bitte PIN eingeben!' Ich gebe meine PIN ein. Und dann steht dort: ‚Tür öffnen!' Ich öffne die Tür und da steckt dann der Schlüssel in einem Steckplatz."

    Der Schlüssel aus dem Automaten-Schließfach öffnet das Tor zur Tiefgarage, wo der reservierte Wagen steht. Das Ausleihen kostet zwei bis vier Euro pro Stunde und 20 bis 30 Cent pro Kilometer. Hinzu kommen 30 Euro einmalige Anmeldegebühr und ein Monatsbeitrag von ein Euro 50. Für jeden, der weniger als 10.000 Kilometer pro Jahr fährt, ist Car-Sharing günstiger als ein eigenes Auto. Die Zahl der Kunden stieg in den vergangenen Jahren jeweils um mehr als zehn Prozent.

    "Den ersten Car-Sharing-Betreiber hat es 1988 in Berlin gegeben, Statt-Auto Berlin damals. Und inzwischen sind wir bei etwa 83.000 bis 85.000 Nutzungsberechtigten in Deutschland."

    Georg Wilke hat am Wuppertal Institut untersucht, wie groß das Potenzial von Car-Sharing in Deutschland ist. Dazu wurden 1500 Führerscheinbesitzer in Großstädten befragt. Für ihre Studie haben die Verkehrsforscher allerdings vorausgesetzt, dass die bisherigen Car-Sharing-Angebote in einigen wichtigen Punkten verbessert werden. Bei besserem Service, so die Annahme, könnten sich auch mehr Autobesitzer für das geteilte Auto begeistern. Wilke:

    "Der eine Punkt ist, dass man die Fahrzeuge spontan nutzen kann. Man muss sich nicht vorher beim Betreiber anmelden per Telefon oder online. Der zweite Unterschied ist der, dass man nicht angeben muss, wie lange man das Fahrzeug braucht."

    Sollten die Angebote in diesen Punkten verbessert werden, dann wären - der Wuppertaler Studie zufolge - etwa fünf Millionen Deutsche bereit, ihr Auto mit anderen zu teilen. Falls die Autos nicht nur an Abholstationen, sondern überall am Straßenrand verfügbar wären und an beliebigen Stellen wieder abgegeben werden könnten, stiege die Zahl der Interessenten sogar auf siebeneinhalb Millionen. Aber diesen Service zu erreichen, kostet den Betreiber zunächst einmal viel Geld. Daher ist in den nächsten Jahren nicht damit zu rechnen, dass Car-Sharing so praktisch wird, wie die Forscher es sich vorstellen. Wilke:

    "Also im Jahr 2020 wird es wahrscheinlich nicht so sein, dass wir dieses theoretische Potential von fünf Millionen oder siebeneinhalb Millionen ausgeschöpft haben werden. Realistischer ist es wahrscheinlich, davon auszugehen, dass man unter optimalen Bedingungen im Jahre 2020 mit etwa 500.000 Nutzern rechnen kann."

    Vor allem müsse das Car-Sharing sein Öko-Image ablegen, um jenseits der grünen Stammklientel akzeptiert zu werden. Ein solcher Imagewandel wäre auch durchaus berechtigt, betont die neue Studie: Denn der ökologische Nutzen des Autoteilens ist fast gleich Null. Entgegen der allgemeinen Annahme kommen Georg Wilke und seine Kollegen zu dem Ergebnis, dass insgesamt durch Car-Sharing nicht signifikant weniger Auto gefahren wird. Car-Sharing bedeutet demnach nicht weniger Abgase oder weniger Fahrzeuge auf den Straßen, sondern kostengünstige Mobilität für Menschen, die das Auto nur selten benötigen und ansonsten Bus, Bahn oder Fahrrad fahren. So wie Christian Schäfer.

    "Es ist schon eine bewusste Entscheidung: Ich will kein Auto. Und dann spar ich ja das ganze Geld an Steuern und Versicherung und Benzin. Und dann lohnt sich das auch."