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Gelebte Widersprüche

Rainer Werner Fassbinders Filme erzählen mit glasklarem Formbewusstsein von Sehnsüchten, Obsessionen, Verzweiflung und Leidenschaften. Sein Schaffen bewegte sich zeitlebens an der Schnittstelle von Kino und Privatleben.

Von Katja Nicodemus |
    Berserker, Multitalent, Ausbeuter und Selbstausbeuter, Drogenkonsument , exzessiver Arbeiter, Genie. Die Person des Rainer Werner Fassbinder wird erdrückt von Klischees und schnellen Assoziationen. Fest steht: Je näher man diesem Regisseur zu kommen versucht, desto klarer und zugleich komplizierter wirkt er.

    Klar, weil aus der Masse der Filme, aufgezeichneten Interviews und Biografien ein feinfühliger, hellsichtiger Mensch hervortritt. Komplizierter, weil unter Fassbinders Eloquenz und der offensichtlichen Souveränität des künstlerischen Zugriffs eine bodenlose Einsamkeit und Verzweiflung zu spüren sind. Aber auch die Sehnsucht nach Veränderung, nach der sogenannten konkreten, mit anderen gelebten Utopie. Kunst war für Fassbinder schon in den frühen Zeiten des Münchner Antitheaters der Versuch, gemeinsam mit anderen etwas über sich und die Welt zu erkennen und diese Welt zu verändern. 1978 blickte er in einem Gespräch mit Peter W. Jansen durchaus selbstkritisch auf diesen Versuch:

    "Es gab damals die weit verbreitete Sehnsucht nach einer Gruppe, nach einer neuen Form von Zusammenarbeit und Zusammenleben. Wir haben ziemlich lange weiter so getan als wären wir eine Gruppe, auch als wir schon begriffen haben, dass wir keine sind."

    Klar und kompliziert: Fassbinder transzendierte die Widersprüche, indem er sie lebte. Er sprach von der Gruppe und war doch ihr Leittier. Er lebte homosexuell und heiratete eine Frau. Er drehte Filme in und über Deutschland und lebte in der Filmgeschichte, in französischen Thrillern oder den Melodramen des Hollywood-Regisseurs Douglas Sirk. Und auch wenn er am Anfang noch nicht wirklich die Mittel dazu hatte: Kino waren schon seine frühen, vermeintlich kleinen Gangster- und Genrefilme wie "Katzelmacher" oder "Liebe ist kälter als der Tod." Kino war sein Star Hanna Schygulla von Anfang an und mit vollendetem Glamour in "Effi Briest" und "Die Ehe der Maria Braun". Kino war die Musik von Peer Raben, war die Künstlichkeit von Sprache und Bewegungen. Kino, das hat seine ehemalige Ehefrau Ingrid Caven einmal gesagt, war Fassbinders Fähigkeit, der Verzweiflung und dem immer währenden Scheitern seiner Helden eine große Form zu geben. Tatsächlich fühlte sich Fassbinder von Caven, mit der er zwei Jahre lang verheiratet war, am tiefsten erkannt:

    "Andererseits ist die Ingrid von all den Schauspielerinnen und Schauspielerinnen, die ich gekannt habe, diejenige, die sich am wenigsten darauf reduzieren lässt, Schauspielerin zu sein, die am maximalsten auch etwas anderes ist: eine Gesprächspartnerin. Wenn man sagt, es gibt Wahlverwandtschaften im Leben, dann ist das für mich die wichtigste."

    Wer war Rainer Werner Fassbinder, der 1982 mit 37 Jahren in seiner Münchner Wohnung an einer Überdosis Drogen starb? Für den die Schmerzen seiner Helden nie nur privat oder nur gesellschaftlich waren? Und der wie kein anderer Regisseur als deutscher Regisseur empfunden und verstanden wurde, obwohl oder vielleicht auch gerade weil er sich in diesem Land nie wirklich wohl fühlte?

    "Ich glaube, dass sich Deutschland gerade in einer Situation befindet, in der vieles sehr rückläufig ist, und dass 1945, als der Krieg zu Ende war, als der Zweite Weltkrieg und das Dritte Reich zu Ende gingen, dass da die Chancen, die Deutschland gehabt hätte, nicht wahrgenommen wurden."

    Klar und kompliziert: Klar, weil sein Unbehagen an Deutschland aus der Art resultierte, wie das christlich-konservative Adenauer-Deutschland über diese Vergangenheit hinweg lebte. Kompliziert, weil es in seinen Filmen keine einfachen Wahrheiten gibt, weil Täter und Opfer, Sadismus und Masochismus, Herren und Knechte, Ausbeuter und Ausgebeutete in einem großen tragischen Weltverhältnis zusammenhängen.

    Klar war Rainer Werner Fassbinder, weil er die Machtverhältnisse der Liebe in so einfache Worte fassen konnte. Kompliziert, weil in seiner Beschreibung das Wissen um das eigene Versagen als Liebender mitschwingt und eine so tiefe wie unerfüllte Sehnsucht, die ihn mit all seinen Heldinnen und Helden verband.

    "Natürlich ist jemand, der liebt oder mehr liebt oder mehr an einer Beziehung hängt, der Unterlegene. Das hat damit zu tun, dass der, der weniger liebt, mehr Macht hat, klar. Damit fertig zu werden, ein Gefühl, eine Liebe, ein Bekenntnis zu akzeptieren - dazu braucht es eine Größe, die die meisten Menschen halt nicht haben."