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Medizin. - Transplantationsmediziner beklagen regelmäßig, dass sie nicht genügend Nieren, Lebern oder Herzen verpflanzen können, weil nicht genügend Menschen zu einer Organspende bereit sind. Seit einiger Zeit versuchen Forscher deshalb, künstliche Organe zu züchten. Zellen des Patienten selbst wären am besten geeignet, denn so könnte man außerdem das Problem der Abstoßung umgehen. Auf einigen Gebieten ist diese "Gewebezüchtung" schon recht weit gediehen, zum Beispiel bei Knorpelgewebe.

08.07.2002
    Von Hellmuth Nordwig

    Vor acht Jahren gelang in Schweden weltweit zum ersten Mal die Transplantation körpereigener Knorpelzellen. Inzwischen wurden mehr als 6000 Menschen am Kniegelenk mit diesem Verfahren behandelt. Matthias Löwel von der Firma co.don im brandenburgischen Teltow:

    Der Zweck ist geschädigtes Knorpelgewebe, dass sich nicht regenerieren kann, zu erneuern. Beispielsweise nach einem Unfall entnimmt man wenige Zellen, vermehrt sie und füllt damit den Defekt auf.

    In Deutschland verletzen sich jedes Jahr immerhin 300.000 Menschen am Kniegelenk. Ist der Knorpel nach einem Unfall geschädigt, dauert die Heilung sehr lange, wenn sie denn überhaupt möglich ist. Doch mit der Transplantation körpereigener Knorpelzellen können die Ärzte den Heilungsprozess bei neun von zehn Patienten erheblich beschleunigen. Löwel:

    Es wird ein Gewebestückchen aus dem Knie entnommen, enzymatisch aufbereitet und daraus Zellen gewonnen. Sie werden in Kultur vermehrt und später als Suspension retransplantiert in den gleichen Patienten.

    Der Arzt entnimmt dem Patienten etwa 50.000 Knorpelzellen, ein Häufchen nicht einmal so groß wie eine Bleistiftspitze. Ein Kurierdienst transportiert sie nach Teltow, wo sie dann gezüchtet werden. Eine Geduldsprobe für den Patienten, denn die Vermehrung dauert etwa drei Wochen. Löwel:

    In dieser Zeit werden alle zwei bis drei Tage die Nährstoffe gewechselt, ebenso das patienteneigene Serum. Auch finden dabei Kontrollen statt, ob die Zellen gut wachsen, ob die Zellzahlen ausreichend sind für die Transplantation. Das Minimum sind 800.000, aber im Schnitt benötigen wir zwölf Millionen Zellen pro Anwendung.

    Zellen kann man nicht einfach sterilisieren wie zum Beispiel Operationsbesteck, denn 120 Grad und Überdruck würden sie nicht überleben. Deshalb darf das Präparat am Schluss keinerlei Keime enthalten, die beim Patienten eine Infektion auslösen könnten. Eine hohe Anforderung, denn schon bei der Entnahme von Knorpel im Operationssaal herrschen streng genommen keine sterilen Bedingungen. Bevor die Züchtung überhaupt beginnen kann, müssen die Zellen daher eine strenge Eingangskontrolle bestehen. Löwel:

    Der Test am Anfang ist der Sterilitätstest der Transportlösung, in der sich die Gewebeprobe befindet. Es wird also getestet auf luftliebende und nicht luftliebende Bakterien sowie auf Pilze und Hefen. Auf Viren wird das Serum des Patienten getestet, etwa auf Hepatitis B und C und auf HIV-1 und HIV-2, also der Erreger, der Aids auslöst. Und wenn das dann steril ist, dann heißt das, dass das Produkt frei von vermehrungsfähigen Keimen war.

    Damit das auch so bleibt, werden die Zellen während der gesamten Vermehrungsdauer ausschließlich in einem so genannten Isolator gehalten. Das ist ein Labor unter Reinraumbedingungen, das nur durch eine Schleuse zugänglich ist. Alle Oberflächen und Gegenstände in diesem Raum werden mit Wasserstoffperoxid keimfrei gemacht. Damit von den Menschen keine Keime ins Präparat gelangen, weht ein steriles Lüftchen ständig von den Zellen zu den Mitarbeitern und nicht umgekehrt. Am Ende erhalten die Laboranten ungefähr ein halbes Schnapsglas voll mit Zellbrühe, die sie in einen sterilen Beutel einschweißen. Einige Tausend Euro kostet diese ganze Prozedur, nicht zuletzt wegen der aufwändigen Hygienemaßnahmen. Immerhin hat co.don noch nie ein Präparat ausgeliefert, das nicht keimfrei gewesen wäre, sagt Matthias Löwel. Aber hundertprozentige Sicherheit, die gibt es natürlich auch hier nicht.