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Geliebt und verachtet

Politikerschelte hat hierzulande genau so viel Tradition wie Konjunktur. Da sticht ein Buchtitel ins Auge, der lautet: "Wie ich lernte, die Politiker zu lieben". Ein Buch, das so sehr gegen den Strom schwimmt, bleibt nicht unwidersprochen: "Die Dilettanten" heißt das Gegenprogramm dazu.

Von Helge Buttkereit | 06.07.2009
    Politikerschelte gibt es überall. Oft unter der Gürtellinie. Mit Schmähungen wird nicht gegeizt. Aber nicht nur das Volk schilt seine Vertreter. Öffentlich tun sie es selbst, wie Focus-Chefredakteur Helmut Markwort vergangenes Jahr bei der Medianight der CDU monierte:

    "Führende Politiker nennen sich gegenseitig "scheinheilig", "unehrlich", "verlogen", "unseriös", "nützliche Idioten". Sie werfen sich vor, es "ginge nur ums eigene Portemonnaie" oder ihre Worte seien größer als ihr Verstand. Einer attackiert die Mitbewerber mit der Behauptung: Sie haben "Schaum vorm Mund, gepaart mit Falschaussagen und hysterischen Auftritten". All diese Entgleisungen stammen nicht von Dorfmatadoren, sondern von Spitzenvertretern der Parteien. Wohlgemerkt: Das alles sind öffentliche Äußerungen, fürs Publikum bestimmt, auf Wirkung bedacht."
    Diese Worte nimmt Robin Mishra in seinem Buch "Wie ich lernte, die Politiker zu lieben" auf. Der Hauptstadtkorrespondent des Rheinischen Merkurs will Volk und Volksvertreter wieder zusammenbringen. Denn, so schreibt er, die Beziehung zwischen dem Volk und seinen Vertretern ist gestört. Bis zur völligen Zerrüttung ist es nicht mehr weit, eine Scheidung aber ist keine Lösung. Weder können sich die Politiker, wie von Bertold Brecht vorgeschlagen, ein neues Volk wählen. Noch wären wir Wähler praktisch in der Lage, ein hoch entwickeltes Industrieland mit 82 Millionen Einwohnern nach Art der athenischen Volksversammlung selbst zu regieren.
    Mishras Begründung für die Paartherapie, die er Wählern und Politikern verordnet, ist vom Erhalt des Status Quo mit einigen Modifikationen beseelt. Denn während sich die Politiker kein neues Volk wählen können, wäre eine Wahl neuer Politiker möglich. Man mag einschränken, dass sich dies in der Parteiendemokratie jedoch als schwierig erweisen dürfte. Mishra will dann auch weg von der Dominanz der Parteien. Er will hin zu Verhältnissen wie bei der vergangenen US-Präsidentschaftswahl. John McCain sei ein Verlierer zum Verlieben, schreibt er, da er Barak Obama sofort gratuliert habe. Solche Politiker mit Charisma wünscht sich Mishra auch für den Bundestag, denn:

    Wähler vertrauen auf Menschen, nicht auf anonyme Organisationen. Das deutsche Wahlrecht muss die Parteien entmachten und zugleich Persönlichkeiten aufwerten.
    Dies ginge laut Mishra auch mit einem modifizierten Verhältniswahlrecht, wenn die Erststimme für den jeweiligen Wahlkreiskandidaten einfach mit der Zweitstimme addiert würde. Über die Zweitstimme müsste dann zudem der Wähler Einfluss auf die Listen der Parteien haben. Ob dabei in der derzeitigen Politiklandschaft mehr charismatische und integrierende Köpfe herauskämen?

    Die Ausstrahlung von Schwarz-Rot ist erbarmungswürdig. Es genügt den Regierenden nicht, keine über die Tagespolitik hinaus reichenden Gedanken zu haben. Sie sind auch noch unfähig, sie auszudrücken. Seiner SPD hat einer der wenigen praktizierenden Charismatiker der deutschen Politik, Finanzminister Peer Steinbrück, ins Stammbuch geschrieben, sie verbreite die Aura von "Heulsusen".
    Peer Steinbrück als Charismatiker. Nun ja. So richtig viele Wahlen hat er noch nicht gewonnen, war aber 2005 maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass die SPD nach 38 Jahren in Nordrhein-Westfalen die Macht an die CDU abgeben musste. Daran erinnert Thomas Wieczorek in seinem brandneuen Buch über die bundesdeutschen Politiker, die er im Titel plakativ als "Dilettanten" abqualifiziert. Steinbrück ist dabei für den Autor, der über politische Korruption promoviert hat, einer unter vielen. Ein Lobbyist der Heuschrecken, die der Finanzminister laut einem Spiegel-Artikel aus dem Jahr 2006 als "Segen für die Volkswirtschaft eines Landes" bezeichnet habe. Zudem sei er für Milliardenverluste von IKB und Landesbanken zumindest mitverantwortlich und verschenke lieber Geld an Hedgefonds als warme Mahlzeiten in Schulen zu finanzieren.

    Einem solchen Experten sollte man nicht einmal die Kaffeekasse anvertrauen, geschweige denn die Staatskasse der Bundesrepublik Deutschland. Damit Steinbrück aber dennoch - ob nun die Weltwirtschaft bebt oder in Pinneberg eine Wurst platzt - auch weiter strammen Marktwirtschaftskurs hält, sitzen im Finanzministerium "externe Mitarbeiter" von mehr als einem Duzend Unternehmen und sagen ihm, wo es langgeht.
    Thomas Wieczorek liebt die Polemik. Man könnte mit Robin Mishra auch Politikerbeschimpfung dazu sagen. Seine Kritik geht sehr weit und zuweilen auch über das Ziel hinaus. Denn seine Kurzporträts der Spitzenpolitiker, aus denen ein Großteil des Buches besteht, sind zwar gespickt mit vielen belegten Zitaten, diese werden aber oftmals verkürzt und vereinfacht. Zuweilen hat die Darstellung auch die Form einer Satire, etwa wenn Wiezcorek bei Betrachtung der Berufswege als Ausdruck der Kompetenz der Bundesminister schreibt:

    Würden Sportler für die Olympiamannschaft so nominiert wie Politiker für die Fachressorts, so träte eine gelernte Hochspringerin im Gewichtheben, ein Turmspringer im Freistilringen, eine Diskuswerferin im Dressurreiten und ein Hürdenläufer im Degenfechten an. Wer als heutiger Abiturient später einmal Gesundheitsminister oder Finanzstaatssekretär werden möchte, sollte nicht Medizin oder Volkswirtschaft, sondern "auf Lehramt" studieren.
    So wie Sonderschullehrerin Ulla Schmidt, der im Gesundheitsministerium unter anderem von Deutscher Bank und der bayerischen Kassenärztlichen Vereinigung zugearbeitet wird. Oder wie Lehrer Karl Diller, der als parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium unter anderem mit Mitarbeitern von Deutscher Bank, Deutscher Börse und BASF zusammen arbeitet. Klare Stoßrichtung der Kritik: Wer wenig Fachkompetenz hat, kann von Lobbyisten besser manipuliert werden. Nur kommt einem Wieczoreks pochen auf Fachkompetenz, die er zu oft allein am erlernten Beruf fest macht, so vor, als fordere er eine Regierung von Technokraten. Davon grenzt er sich erst gegen Ende ab. Da schlägt er vor, so zu verfahren wie das Europaparlament bei der Auswahl von EU-Kommissaren. Designierte Bundesminister sollen also von einer unabhängigen und gesellschaftlich anerkannten Kommission auf ihre Fachkompetenz überprüft werden. Wieczorek geht aber noch einen Schritt weiter. Die Fachkompetenz als alleiniges Auswahlkriterium für das politische Personal reicht ihm nicht, weil man damit der neoliberalen Ideologie vom wertfreien Sachzwang auf dem Leim gehe. Wenn es nach dem erklärten Linken Wieczorek geht, dann sollte die Globalisierung der ungehemmten Märkte durch die Globalisierung des Humanismus aufgehoben werden. Oder, um es mit einem über 2000 Jahren alten Satz des Römers Cicero zu sagen: Salus populi suprema lex esto - das Heil des Volkes ist das höchste Gesetz. Das sollte das wichtigste Kriterium auch bei dieser Bundestagswahl sein.
    Handelten die Politiker nach diesen sehr allgemeinen Maximen, würde Wieczorek vermutlich auch wieder von wahren Volksvertretern sprechen. Der konservative Robi Mishra richtet seine Vorschläge auf der Suche nach liebenswerten Politikern konkreter aus. Neben den bereits erwähnten Ideen fordert er mehr Begeisterung im Bundestag statt in Talkshows, eine Quote für Quereinsteiger, weniger Privilegien und dafür mehr Diäten für Abgeordnete und eine Zusammenlegung von Wahlen. Allerdings: Auch er sieht tiefe Verwerfungen in einem System, das vor allem mit der Selbsterhaltung beschäftigt ist und deshalb kaum eine Neigung dazu haben dürfte, diese Reformen umzusetzen. Dass Mishra dies nicht thematisiert, ist ärgerlich. Beide Bücher bieten so zwar keine greifbare Lösung aus dem Dilemma von Inkompetenz und Schmähkritik, liefern aber viele Anregungen zum Weiterdenken.

    Helge Buttkereit über zwei Bücher, die sich mit der Qualität unserer Politiker befassen. Zum einen: Robin Mishra: "Wie ich lernte, die Politiker zu lieben". Erschienen ist es bei Herder, 200 Seiten kosten 14 Euro 95. Und außerdem: "Dilettanten! Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind". Der Autor ist Thomas Wieczorek, sein Buch ist bei Knaur erschienen, hat 325 Seiten und kostet 8 Euro 95.